Kino-Interview

Andrew Garfield über „Solange ich atme“

TICKET-INTERVIEW: Andrew Garfield über "Solange ich atme", über Krankheit, Liebe, Freude, Kino und Theater.

Sein Spider-Man-Kostüm legte der amerikanisch-britische Schauspieler Andrew Garfield (34) vor vier Jahren ab, um sich auf dramatischere Rollen konzentrieren zu können. In Mel Gibsons "Hacksaw Ridge" überzeugte er als Pazifist, der ohne Waffe seinen Kriegsdienst ableistete. Dafür bekam er sogar eine Oscar-Nominierung. Zuletzt sah man ihn in Martin Scorseses "Silence" als Jesuit im 17. Jahrhundert, der in Japan das Christentum verbreiten will. In der wahren Geschichte "Solange ich atme" beeindruckt er nun den an Polio erkrankten Robin Cavendish, der sich zeitlebens für die Gleichstellung von Behinderten einsetzte. Markus Tschiedert traf ihn dafür in London.

Ticket: Der echte Robin Cavendish konnte nur mit einem Beatmungsgerät überleben. Wie oft haben Sie versucht, nicht zu atmen, um sich selbst ein Gefühl dafür zu geben?
Garfield: Eigentlich die ganze Zeit, um in den Rhythmus der Beatmungsmaschine zu kommen. An der Maschine angeschlossen zu sein, muss für Robin ein Gefühl gewesen sein, permanent ein Musikinstrument spielen zu müssen. Auf die gleiche Weise bin ich vorgegangen, um nicht die ganze Zeit überlegen zu müssen, wann ich wieder atmen darf.
Ticket: Wie schwer war es für Sie, auch noch Ihren Körper fast komplett ausschalten zu müssen?
Garfield: Das war auch hart, gehörte aber zum Job. Aber es war eine erstaunliche Erfahrung, die mir geholfen hat, mich in Demut zu üben. Als Neugeborenes hatte ich eine Form von Meningitis. Bei mir wurde das Coxsackie-Virus diagnostiziert, das mich hätte umbringen können. Bei manchen Betroffenen kann das Virus auch Lähmungen hervorrufen. Insofern hat sich in meinem Körper vielleicht ein gewisses Bewusstsein dafür abgespeichert.
Ticket: Das müssen Sie erklären...
Garfield: Ich habe mal den Film "Murderball" über eine Gruppe von Basketballspielern im Rollstuhl gesehen. Als einer von ihnen in die Kamera sprach, dass er wegen des Coxsackie-Virus im Rollstuhl sitzt, brach ich in Tränen aus. Plötzlich hatte ich ein Bild vor Augen, was mit mir hätte passieren können. Ich glaube schon, dass sich ein Körper von Geburt an Dinge merken kann.
Ticket: Bereits in "Silence" und "Hacksaw Ridge" ging es um die Gratwanderung zwischen Leben und Tod. Warum interessiert Sie dieses Thema so sehr?
Garfield: Woran sollte man sonst denken? Es geht immer um Leben und Tod, welche Bedeutung man seinem Dasein gibt und was Liebe heißt. Das sind Fragen, die unmöglich zu beantworten sind. Im Grunde genommen handelt jede Geschichte davon.
Ticket: Sind Sie durch Ihre Rolle Antworten näher gekommen?
Garfield: Nur ganz vage, wenn überhaupt. Aber das ist auch nicht der Punkt. Wir finden keine Antworten, aber sehnen uns danach. Je näher man glaubt, Antworten zu kommen, desto mehr realisiert man, wie weit weg man eigentlich davon ist.
Ticket: Zu welchen Erkenntnissen sind Sie gekommen, als Sie sich Ihrer Filmfigur genähert haben?
Garfield: Schon als ich das Drehbuch las, war ich so überwältigt und berührt, dass ich dachte, hier haben wir eine Vorlage davon, wie man ein Leben voller Freude führen kann – selbst in einer Situation, in der man glaubt, alles verloren zu haben. Im Angesicht des Todes entscheidet man sich für das Leben. Dem Leid gegenüberstehend, trotzdem für die Liebe. Für Robin Cavendish war das noch intensiver, denn er war täglich mit dem Tod konfrontiert und hat sich jeden Tag für das Leben entschieden.
Ticket: Wie schwierig ist es, nach so einer intensiven Rolle wieder ins richtige Leben zu kommen?
Garfield: Es ist nicht ganz einfach. Zumal ich auch noch Theater spiele. Irgendwann muss man sich regenerieren, um sich anschließend neuen Aufgaben zu stellen. Was mir hilft, sind Freundschaften und die Natur.
Ticket: Warum eigentlich auch noch Theater?
Garfield: Weil einem das als Schauspieler noch sehr viel mehr gibt. Der Flow wird am Theater nicht unterbrochen. Während am Filmset sehr oft das Wort Stopp fällt – was anstrengend werden kann. Beim Theater hängt natürlich alles vom Publikum ab. Wenn es ein gutes Publikum ist, ernährt es dich mit seiner Energie. Es herrschen also jeweils andere Bedingungen.
von tsc
am Fr, 20. April 2018

Info

SOLANGE ICH ATME

Regie: Andy Serkis
Mit Andrew Garfield, Claire Foy, Tom Hollander, Hugh Bonneville u. a.
118 Minuten, frei ab 12 Jahren

Die Story
Bisher hatte Robin Cavendish (Andrew Garfield) nur Glück im Leben. Doch dann wird bei ihm Polio diagnostiziert. Sein Körper ist bald gelähmt, und er braucht ein Beatmungsgerät. Ein Todesurteil, doch so schnell gibt Robins Frau Diana (Claire Foy) nicht auf...  

Autor: bz

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