Installationskunst in Gengenbach

Becherers babylonischer Bildersturm

Die unübersichtliche Vielheit der Welt und des Cyberspace macht Alexander Becherer in seinen Installationen erfahrbar. Zu erleben nur an diesem Wochenende in Gengenbach.

Viel Raum und Licht benötigt das opulente Werk des Gengenbachers Alexander Becherer. Mühelos füllt der Skulpteur und Sprühlackvirtuose das großzügige Volumen, das die Ausstellungshalle der Firma Aliseo im ehemaligen Gengenbacher Hukla-Komplex bietet. Limitiert scheint einzig der zeitliche Rahmen: Die Ausstellung ist nur am kommenden Wochenende zu sehen.

Was Becherer macht, kann man nicht mit den Begriffen Maler und Bildhauer umschreiben. Mit Graffiti hat er angefangen. Heute sind es keine Außenwände mehr, sondern konventionelle Leinwände auf Keilrahmen in großen Formaten, die er mit Sprühlack und Schablone bearbeitet. Bei der Skulptur, der dominierenden Werkgruppe in der aktuellen Ausstellung, kommt ihm seine Ausbildung im Bereich Formenbau und Spritzguss zugute. Ausgangsmaterial sind Styrodurplatten, aus denen er mit der Heißen-Draht-Maschine alles schneidet, was er für seine Objekte braucht. Das können Buchstaben sein, Gesichter oder vielerlei Gegenstände, die für sich genommen bedeutungslos wären, geclustert jedoch ein sprechendes Ganzes ergeben, etwa einen Totenschädel, eine menschliche Figur oder ein Schaukasten voll aufgespießter Insekten.

Die ungeheure Menge dieser kleinen und kleinsten Artefakte ist das erste, was einen vor den Arbeiten Becherers anspringt. Diese sind zuerst einmal gewaltige Anhäufungen, Berge und Wogen von Sinnbezügen, Assoziationen, Bildern, Flashs. Ein Abbild der Lebenswelt, die uns umgibt. Useless Information. Aber nicht nur, wir müssen das wenige Wesentliche herausfiltern, um durchzukommen. Diese Welt ist so reich, bunt und verlockend wie abgründig, sinnentleert und gefährlich. Nichts, was es nicht gibt, und alles gleichzeitig, neben- und ineinander. Um das Gefühl von Wirrnis und Ohnmacht angesichts dessen zu bekommen, muss man nicht wie Becherer nach Berlin gehen. Drei Jahre hat er dort gelebt und gearbeitet, Molochstudien betrieben. Es gibt dort Leute, sagt er, die in irgendeinem Club durchfeiern, sieben Tag am Stück, natürlich unter Drogen. Mit denen sei ein Gespräch, ein wechselseitiges Verstehen nicht möglich.

Der 1983 in Lahr geborene Becherer aber will nicht flüchten, sondern verstehen, das reiche Angebot an Einflüssen sortieren. Vieles geht ihm durch den Kopf, das er ausdrücken will. Seine Kunst ist nicht chiffriert und unzugänglich, sondern teilt sich dem Betrachter mit, ohne dessen Fantasie beschäftigungslos zu lassen. Eine der herausragenden Skulpturen ist ein in liegender Position schwebender Mensch, umpackt von Würfeln, die aus nichts als den Namen von Künstlern bestehen. Wasser fließt in einem Schlauch durch die Figur und sammelt sich in einem darunter befindlichen Auffangbecken, in das die Buchstaben BRANDNEW eingearbeitet sind. Nicht sofort, aber bei näherem Hinsehen ist das gut zu verstehen. Nicht nur der Künstler selbst und sein Schaffen, der Mensch im allgemeinen ist auch Produkt des Einflusses anderer Personen, wodurch in ihm Neues, Eigenes entsteht. Ein Sinnbild des schöpferischen Prozesses. Becherer zeigt, wie es ist, ohne allzu aufdringlich zu werten. Das Gesamtbild ist durchaus nicht pessimistisch, obwohl das vorherrschende Schwarz und Grau, auch das kalte Weiß seiner Büsten und Figuren zu der Annahme verleiten könnte. Da ist auch viel Gold.

Becherers Arbeiten erfüllen wesentliche Kriterien, die Kunst ausmachen. Das eine ist, dass man nicht an ihnen vorübergeht. Sie packen und kommunizieren. Das andere ist der Wow-Effet, dieses Das-könnte-ich-nicht-Gefühl. Damit verbunden der Respekt vor dem ungeheuren Fleiß und der Hingabe. Ein Drittes ist die Originalität. Becherer erkennt man immer.

Die Vernissage ist am Samstag, 20. Mai, um 19.30 Uhr. Catering plus Musik von DJ Jama, Berlin. Am Sonntag, 21. Mai, ist die Schau in der Leutkirchstraße 63 von 12 bis 18 Uhr geöffnet.
von Dierk Knechtel
am Do, 18. Mai 2017 um 16:03 Uhr

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