Zeitgenössische Malerei

Boris Ferreiras "Lost Ningbo" in der Libbsclas Gallery Offenburg

Die Libbsclas Gallery präsentiert die erste Offenburger Einzelausstellung des Malers und Philosophen Boris Ferreira.

OFFENBURG. Die Kunstszene in Offenburg häutet sich. Eigengewächse wie Stefan Strumbel oder Martin Sander stehen für deren Selbsterneuerungskraft. Doch es gibt auch neue Einflüsse von außen. Mit dem Maler und promovierten Philosophen Boris Ferreira hat sich seit vier Jahren ein Protagonist der jüngeren portugiesischen Kulturgeschichte in Offenburg niedergelassen. Mit seiner ersten hiesigen Einzelausstellung in Klaus Abels Libbsclas Gallery zeigt Ferreira sein komplexes Werk erstmals einer breiteren Ortenauer Öffentlichkeit.

Das hat man in Offenburg so bisher nicht gesehen. Die Fülle und Vielfalt der Bildkonstituenten, die Vielschichtigkeit der Tiefendimension, die räumliche Mehrdeutigkeit, die aus den großen Malereitableaus im Format 200 mal 140 bei Libbsclas spricht, knüpft an kaum etwas an, das man aus den Galerien der Region kennt. Dort dominiert immer noch das Gestische, Aleatorische, Surreale oder Minimalistische. Doch Boris Ferreiras titellose Tableaus lenken den Blick ins Kosmische. Ihr dynamisches Chaos wirkt teils wie die Nahsichtaufnahme einer Sternenexplosion: ein Artenwirbel der Formen, transparent und opak, organisch und anorganisch, Lichtträger und Partikel dunkler Materie fluten fragmentiert dahin in unbestimmter Raumdimension.

Anknüpfungspunkte in der Kunstgeschichte mögen einem in den Sinn kommen. Im informativen und unterhaltsamen Interview, das der Schriftsteller Jens Rosteck bei der Vernissage mit Boris Ferreira führte, kommen Hieronymus Boschs paradiesische und höllische Wimmelbilder als Referenzpunkt zur Sprache. Die Unergründlichkeit der Räume lässt aber auch an Piranesis kafkaeske Architekturfantasien denken. Die so dynamische wie kalkulierte Abstraktion Kandinskys grüßt von fern ebenso wie die drängend-lärmende Formenvielfalt des Futuristen Boccioni. Und schließlich – von Rosteck und Ferreira darauf hingewiesen – vermeint man darin auch noch die Aufbruchstimmung der Movida zu spüren, jenes gesellschaftlichen Frühlingserwachens nach dem Ende der Salazar-Diktatur in Portugal, in die Boris Ferreira als Neunjähriger verpflanzt wurde. Damals kehrte sein Vater mit Familie nach Lissabon aus Deutschland zurück, wohin er vor der Diktatur geflohen war.

Nimmt man Heinrich Wölfflins Kunsthistorische Grundbegriffe von 1915 zur Hand, so stehen die Malereien von Ferreira dem Begriff der "Vielheit" nahe im Gegensatz zu "Einheit". Verkürzt gesagt, bedeutet das, dass Epochen mit einer klaren kulturellen Agenda – wie zum Beispiel die Renaissance mit der Wiederentdeckung des antiken Erbes – für klare und zentrierte Bildaufbauten stehen, wohingegen orientierungsschwache Zeiten wie etwa das Barockzeitalter zu vielgliedrigen, stark bewegten Bildkompositionen tendieren. Boris Ferreira bekennt sich – auch wenn er dazu noch etliche Anmerkungen hätte – zu Letzterem. Erhellend ist dabei seine Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis seiner beiden Professionen als Philosoph und Maler. Ein Peintre-Philosophe, wie ihn die französische Aufklärung hervorgebracht hat, könne und wolle er nicht sein. Die geschlossenen Weltbilder der Philosophie und der Malerei im Frankreich des 17. Jahrhundert machten heute ja keinen Sinn. Der Hintergrund, auf den sich seine Bilder bezögen, sei vielmehr die Unsicherheit menschlicher Verhältnisse. So sei auch der Ausstellungstitel "Lost Ningbo" zu verstehen. Mitglieder des Künstlerkreises Ortenau, dem Boris Ferreira angehört, hatten fürs Frühjahr 2019 eine Ausstellung in der chinesischen Millionenstadt Ningbo vorbereitet, die kurzfristig von chinesischer Seite abgesagt wurde. Eine herbe Enttäuschung, für die die Offenburger Ausstellung immerhin ein Trostpflaster sein mag.

Boris Ferreira, "Lost Ningbo", Libbsclas-Gallery, Okenstr. 57, Offenburg, nach Anmeldung unter Tel. 0172-7101861, Finissage: Sonntag, 31. März 15 bis 19.30 Uhr.
von Ralf Burgmaier
am Do, 28. März 2019

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