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Darf Kunst politisch sein – oder muss sie sogar?

Vincent Daiber

Von Vincent Daiber

Sa, 09. November 2013

Neues für Schüler

JuZ-Redakteur Vincent Daiber war auf Studienfahrt in Prag – und macht sich seine Gedanken über eine außergewöhnliche Skulptur.

Inzwischen abgebaut: der Stinkefinger   | Foto: dpa
Inzwischen abgebaut: der Stinkefinger Foto: dpa
Über Kunst kann man bekanntlich streiten. Über streitsüchtige Kunst noch viel mehr. Ein solch provokantes Kunstwerk war sicherlich der mittlerweile berühmte "Prager Stinkefinger" (die BZ berichtete), dessen voller Titel noch einmal aggressiver war, als der ausgestreckte lila Mittelfinger an sich. "Ein Fuck-Zeichen für die beschissenen Kommunisten" nennt David Cerny seine Skulptur, deren Titel leicht variiert, je nach dem, wen man fragt. Aber einen hundertprozentig eindeutigen Titel hat der Stinkefinger gar nicht nötig – er spricht für sich selbst.

Wenn man allerdings keine Ahnung hat, was die Skulptur bedeuten soll, findet man sie einfach nur seltsam. So erging es mir, als ich von der Schule aus auf Studienfahrt in Prag war. Unübersehbar schwamm die Skulptur in der Moldau und nach kurzem Überlegen befand ich schließlich, dass mir die Sache gefällt. Nicht, weil ich den durch sie ausgedrückten Protest verstand – ich hatte mich zu meiner Schande vor Antritt der Reise kein bisschen über Land und Leute informiert – sondern weil es ein Kunstwerk ist, an dem man nicht heruminterpretieren kann, bis man keine Ahnung mehr hat, was es eigentlich bedeuten soll. Der Prager Stinkefinger gefiel mir, auch wenn ich nicht wusste, gegen wen er sich richtete. Einfach deshalb, weil er eine klare Sprache spricht.

Obwohl wir nicht viel darüber gesprochen haben, denke ich, dass zumindest einige meiner Mitschüler das Kunstwerk aus ähnlichen Gründen mit ähnlichen Sympathien bedachten. Erstens sieht man so etwas nicht alle Tage. Zweitens denken wir auf Leistung konditionierten Schüler immer sofort daran, was wohl passieren würde, lieferten wir eine ähnliche Arbeit im Kunstunterricht ab. Und kaum war so etwas gedacht, standen die erheiternden Worte, man könne so ein Werk ja auch mal seinem Kunstlehrer widmen, im Raum.

Weitere Gedanken widmeten wohl zunächst nur wenige der schwimmenden Skulptur – bis wir eines Abends am Moldauufer entlanggingen und Menschen in Schwimmwesten auf dem Schwimmer des Fingers beobachten konnten. Sogar ein Fernsehteam war vor Ort. Das war rückblickend – wenn man sich vor Augen führt, an (oder besser gegen) wen sich das Kunstwerk richtet – nicht sonderlich verwunderlich. Leider konnten wir das Geschehen nicht länger beobachten, aber das, was ich gesehen habe, reicht mir um zu erkennen: Die Sache wird ernst genommen. Und gewisse Personen nehmen wohl auch Anstoß daran.

Das führte mich zu der Frage, ob Kunst ein geeignetes Mittel zur politischen Beteiligung darstellt. Zunächst scheint es, als sei dem so. Selbst absolut uninformierte Touristen wie ich haben sich wohl ihre Gedanken darüber gemacht. Andererseits besteht bei aller Kunst, auch wenn sie noch so eindeutig ist, die Gefahr einer Fehlinterpretation. Und das macht die Sache in meinen Augen gefährlich. Versucht man sich am Übertragen einer komplizierteren Botschaft, läuft man als Künstler Gefahr, nicht verstanden zu werden, wohingegen jeder normale Mensch sich durch Worte exakt ausdrücken kann. Außer natürlich die betreffende Person ist Politiker... Ich glaube, dass es gute Gründe dafür gab, dass die alten Römer angehende Politiker in der Kunst der Rhetorik schulten und nicht in der Bildhauerei.

Ressort: Neues für Schüler

Dossier: Jugendredaktion Lahr

  • Veröffentlicht in der gedruckten Ausgabe der BZ vom Sa, 09. November 2013:
  • Zeitungsartikel im Zeitungslayout: PDF-Version herunterladen

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