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Das Berliner Performance-Kollektiv She She Pop zeigt "Oratorium" in der Kaserne Basel

Das Berliner Performance-Kollektiv She She Pop mit "Oratorium" in der Kaserne Basel.

Die Kaserne Basel gehört seit Jahren zu dem Netzwerk, in und mit dem das Berliner Performance-Kollektiv She She Pop seine Stücke produziert. Nun gastiert das Ensemble, ergänzt um einen aus regionalen Performern und Performerinnen gebildeten "Chor der Delegierten", mit seinem im Februar am HAU in Berlin uraufgeführtem Stück "Oratorium" am Rheinknie.

She She Pop belebt die Theaterlandschaft seit fast einem Vierteljahrhundert mit unkonventionellen Ansätzen. Dabei greift das in den 1990er-Jahren am Institut für Angewandte Theaterwissenschaften in Gießen entstandene Performance-Kollektiv, das überwiegend aus Frauen besteht und seine Basis 1998 nach Berlin verlegte, gesellschaftlich relevante Themen auf und rüttelt an Tabus. In "Testament", das die Gruppe 2010 international bekannt machte, ging es um Väter und Generationenverträge, in "Schubladen" (2012) um deutsch-deutsche Geschichte, in "Frühlingsopfer" (2014) um Mütter, in "50 Grades of Shame" nach Wedekinds "Frühlingserwachen" um Scham und Sexualität.

Der Stoff wird dabei über die Biografien der Performer und Performerinnen erschlossen, und die Umsetzung knüpft an populäre Genres an – vom Bilderbogen bis zur Seifenoper. Die neue Produktion "Oratorium" nimmt das Thema Eigentum in den Blick. Sie integriert einmal mehr biografische Aspekte, spielt aber auch mit Bertolt Brechts Lehrstück-Konzept und dem ans antike Theater angelehnten Sprechchor und kehrt zu interaktiven Spielelementen zurück, die die frühe Phase der Gruppe prägten.

Schon Karl Marx kam in seiner Gesellschaftstheorie Mitte des 19. Jahrhunderts zu dem Schluss, dass Eigentum konstitutiv ist für moderne Herrschaftsverhältnisse. Der fast religiöse Charakter, den Eigentum in den marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften inzwischen hat, schwingt im Untertitel des Stücks mit. "Kollektive Andacht zu einem wohlgehüteten Geheimnis" ist eine augenzwinkernde Anspielung auf diesen Kontext.

Was aber bedeutet Eigentum für die Einzelnen? Für die, die es nicht haben, ist es meist eine schmerzliche Leerstelle, für die anderen im Idealfall eine Verpflichtung, in der Realität vor allem ein Beruhigungsmittel. Allem gemeinsam ist, dass über Geld, Besitz und Eigentum nicht gesprochen wird – zumindest hierzulande. Genau das praktiziert She She Pop in "Oratorium" – und leuchtet die Gräben aus zwischen Besitzenden und Habenichtsen.

Einen roten Faden dafür liefert die Fabel von Entmietung und Verdrängung, die an die jeweiligen lokalen Gegebenheiten angepasst wird, schildert She She Pop-Mitgründerin Ilia Papatheodorou. Dazu kommt der von einem regionalen "Chor der Delegierten" gesungene "Katechismus vom Eigentum", der die Gesetzeslage darlegt. Unterm Strich ließe sich das auch als Gentrifizierungsgeschichte lesen.

Doch in "Oratorium" werden keine politischen Positionen proklamiert; vielmehr verdeutlichen die unterschiedlichen Akteure verschiedene ökonomische Ausgangslagen. Der Zwang wird sichtbar, um die materielle Existenz kämpfen zu müssen – oder eben nicht. Diese Konstellationen sollen die Verwerfungen des Sozialstaates ausleuchten – auch in Interaktion mit dem Publikum, beschreibt Papatheodorou. Tatsächlich hat dieses eine wichtige Rolle in der Performance: Denn es ist gehalten, sich in chorischen Aktionen und im Wechsel mit den Darstellern in eingeblendeten vorgegebenen Texten einzubringen und zu outen. Das hat auch etwas Liturgisches. Letztlich sei "das Chorsprechen ein Bekenntnis", sagt Ilia Papatheodorou denn auch. Das klinge je nach Ort unterschiedlich, sei im armen Berlin lauter und lustvoller gewesen als im reichen München.

Im Ganzen wird aus dem Schutzraum Theater, wie im Untertitel der Performance angedeutet, tatsächlich ein Andachtsraum, in dem vielstimmige Gruppen und Sprechchöre, der Chor der Delegierten als Stellvertreter der regionalen Gesellschaft, ein Chor der Erbinnen, aber auch Einzelstimmen hörbar werden und Fragen zum Thema Eigentum aufwerfen – durchaus bekannte, mitunter moralisierende, aber allemal bedenkenswerte.

Termine: Basel, Kaserne, 25. und 26. Mai,
je 20 Uhr. http://www.kaserne-basel.ch
von Michael Baas
am Fr, 25. Mai 2018

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