Dem Lärm im Kopf begegnen

Florian Wetters Fassung von Virginia Woolfs Mrs Dallowayim Theater der Immoralisten.

Kühle weiße Kacheln, "Fuck Brexit"-Graffiti. Wir sind in Bond Street, im Londoner Untergrund und irgendwie riecht man ihn, den unterirdischen Muff, wäre nicht überrascht, den Sog einer einfahrenden Bahn zu fühlen. Es ist das Bühnenbild zu "Mrs Dalloway", dem Stück des Freiburger Theaters der Immoralisten, das am Donnerstag Premiere feiert.

Nach der berühmten Romanvorlage von Virginia Woolf hat Florian Wetter eine neue Fassung geschrieben. Woolfs Vorlage erschien 1925 und führte mit dem "Stream of Consciousness" (Bewusstseinsstrom) eine ungewöhnliche Erzähltechnik ein: Gedanken und innere Monologe hörbar machen, unmittelbar von Vergangenheit zur Gegenwart wechseln – all das setzt die 1882 in London geborene Schriftstellerin und Verlegerin ein, um die Charaktere ihrer Romanfiguren sichtbar zu machen, Handlung subtil zu transportieren oder die Geschichten ihrer Protagonisten miteinander zu verknüpfen.

"Vor hundert Jahren war London für Woolf schon ein Moloch, die zahlreichen Sinneseindrücke Lärm im Kopf", erklärt Florian Wetter, der seine Mrs Dalloway ebenfalls in der britischen Hauptstadt angesiedelt hat.

Er habe keine konventionelle Adaption machen wollen, sondern ein komplett neues Stück, sagt der Schauspieler und Regisseur, der selbst in der Rolle des Peter zu sehen ist. Während Woolfs Hauptfigur Clarissa Dalloway – inspiriert vom befreundeten lebenden Vorbild der Londoner Aristokratin Lady Ottoline Morrell – im Original einen kompletten Tag in der britischen Hauptstadt verbringt, ist Wetters Fokus auf eine einzige Minute ausgerichtet – die Dauer einer U-Bahn-Fahrt von der Bond Street bis zur Oxford Street. Richard, Peter, Clarissa, Sally, Evans, Septimus und Lucrezia sitzen sich hier in zwei Reihen gegenüber. Zufällig oder vom Schicksal verbunden? "Mein Verhältnis zu Virginia Woolf ist sehr alt", sagt Florian Wetter, der "Mrs Dalloway" im Alter von 18 Jahren zum ersten Mal las und begeistert war von Woolfs Auseinandersetzung mit zutiefst Menschlichem: der Frage nach Alternativen, der Auseinandersetzung mit vermeintlich Versäumtem und ungenutzten Chancen. Mit "Lärm im Kopf" muss sich ihre 52-jährige Romanfigur Clarissa Dalloway auseinandersetzen – konfrontiert mit Jugendliebe Sally oder Peter, den sie einst zu lieben glaubte … oder doch nicht richtig liebte und daher auch nicht geheiratet hat? Auch er ist ein ewig Suchender und wird für Wetters Clarissa – mehr sei nicht verraten – im entscheidenden Moment inspirierend sein.

Wie kann es gelingen, den "Monkey Mind", das stete Beobachten und Kommentieren, zu beenden? "Mind" steht auch auf dem Boden der Station und "Mind your step" erinnert die Bahnfahrenden als wiederkehrende Lautsprecher-Ansage ans Gegenwärtige: den durch Kriegserlebnisse in Afghanistan verstörten Septimus Warren Smith ebenso wie Peter, nach Aufenthalt im thailändischen Kloster buddhistisch gewandet.

Vielfältige Lebenswelten treffen während der Fahrt aufeinander, für den Zuschauer verwirrend nur in der Anfangsszene. "Alle reden zunächst durcheinander, doch die Kakophonie des Anfangs baut sich sukzessive zurück", skizziert Wetter die Handlung. Wenn man dem Bewusstseinsstrom der Akteure folgt, weicht die zwangsläufig auch im Zuschauerkopf entstandene Konfusion langsam einer Ahnung der Zusammenhänge und logischen Verknüpfungen der einzelnen Schicksale. Erinnerte Episoden setzen sich zu Lebensläufen zusammen, ermöglichen Einblicke in die innerliche Zerrissenheit der Figuren.

Wie schafft man es nun, sich vom ewigen Räsonieren zu lösen, Beobachten und Kommentieren zu beenden? Das Ende des Stücks gibt eine Antwort, die auch ein Yogi oder Zen-Meister geben würde: Sich bewusst sein. Und einfach ein- und ausatmen.
Mrs Dalloway, Von Florian Wetter nach Virginia Woolf, Theater der Immoralisten, Ferdinand-Weiß-Straße, 9-11, Premiere am Donnerstag, 25. April, viele weitere Aufführungen, Informationen und Daten im Internet über http://www.immoralisten.de
von Katja Russhardt
am So, 21. April 2019

Badens beste Erlebnisse