Haut-Koenigsbourg

Des Kaisers neue Burg

Auf der Haut-Koenigsbourg kommen Kinder voll auf ihre Kosten - und die anderen?

Wilhelm II. bekam eine Ruine geschenkt und machte daraus ein Disneyland der Historie. Heute ist die Haut-Koenigsbourg eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Frankreichs – jedoch vornehmlich von Familien.

Warum nicht mit 28 einmal wieder einen Ort der Kindheit aufsuchen: Die Haut-Koenigsbourg, der ewige Garant glücklicher Familienausflüge. Als solcher war mir die Festungsanlage zumindest im Gedächtnis. Dass es jedoch kaum Menschen gibt, die die Burg ohne Kind und Kegel aufsuchen, stellen wir erst vor Ort fest. Zwischen Kinderwagen und offenen Schuhen, die gebunden werden wollen, bahnen wir uns den Weg ins Burginnere – gut dokumentiert auf diversen Familienselfies. Um den Gruppen in der Folge fern bleiben zu können, leihen wir einen Audioguide. Wer diese Geräte scheut, dem sei gesagt: Auf der Haut-Koenigsbourg sind Audio-Guides eine gute Alternative zu den regelmäßigen Führungen. Sie sind nicht nur eine Flucht vor der Masse und suggerieren Geschäftigkeit, wie das gezückte Telefon an der Bushaltestelle, sondern sie geben tatsächlich sehr viel mehr Information als die Ausstellungstexte vor Ort. Und für die Geschichte sind wir schließlich hergekommen.

Ähnlich Neuschwanstein ist die Haut-Koenigsbourg, wie wir erlauschen, nicht wirklich alt. Sie ist eine Rekonstruktion, die ab 1899 aus einer Ruine wiedererstanden ist. Damals schenkte Sélestat dem deutschen Kaiser bei seinem Besuch die große Ruine. Dieser zeigte sich begeistert und ließ die Hohkönisgburg mit großem Aufwand und damals modernster Technik wieder aufbauen. Zahlen musste dafür übrigens Elsass-Lothringen selbst.

Sie soll ein Lieblingsprojekt des Kaisers gewesen sein und man kann sich noch heute gut vorstellen, wie er bei der Eröffnung 1908 durch die Hallen schritt, lobte und vom Deutschtum am Fuße der Vogesen schwadronierte – und insgeheim Schlossherr spielte. Das reich verzierte Jagdzimmer ist komplett mit Geweihen von Wild dekoriert, das Wilhelm II. selbst geschossen hat. Es ist jedoch kein elsässisches Wild, sondern stammt von Jagden in Brandenburg. Und so ist vieles an dieser Burg mehr Romantik als echtes Mittelalter. Selbst auf den Kanonen ist noch in deutscher Fraktur eingeprägt: "Nachguß nicht zum Gefecht geeignet!"

Wir frieren derweil mit unserem Audioguide. Zumindest die Temperaturen sind in der ganzen Burg authentisch-mittelalterlich. Daneben betrachten Kinder die Kanonenrepliken voller Staunen, machen "Peng, Peng!" und "Wow!" und zerren ihre Eltern erwartungsvoll am Handgelenk. Für sie ist das alles hier kolossal. Wo könnte man auch besser Ritter und Burgfräulein spielen? Wen interessiert es da, dass der Festsaal erst gute 100 Jahre alt ist und vielleicht im 16. Jahrhundert gar nicht so aussah, oder dass das Ganze entstand, um den gerade wieder einmal deutschen Elsässern ein Machtsymbol auf ihre Weinberge zu setzen? Akribisch wurden für diese Inszenierung deutscher Vergangenheit Fragmente aus dem Schutt geborgen, katalogisiert. Das kann man sich in der wiedererstandenen Burg ansehen.

Gut gucken kann man vor allem in die Ferne

Dennoch wirkt das Ergebnis mehr fantastisch als historisch. Unbestreitbar real ist dagegen der grandiose Ausblick vom Großen Bollwerk. Bei guter Sicht soll man den Schwarzwald und in der Ferne sogar ein paar Alpengipfel erblicken. Bei schlechterem Wetter – wie heute – tauchen die Vogesenhügel mystisch aus den Nebelfeldern hervor. Für all das braucht es jedoch ein wenig Kondition, denn auf dem Weg durch die Ritterburg steigt man Treppen, Treppen und wieder Treppen – für Kinderwagen eher schwierig.

Am Ende des Rundgangs durch diesen gemauerten Ameisenhügel bleibt uns die Frage: "War das wirklich alles?" Ungläubig drehen wir uns um und suchen die Fenster ab. Wir haben nichts ausgelassen. Nur der große Bergfried ist der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Verwundert über diese Raumstruktur, die Hogwarts in nichts nachsteht, gehen wir uns in der Burgschenke stärken. Diese scheint jedoch im Umbau und so speisen wir in einer Art Zelt, dessen Deko eine Bibliothek vortäuschen soll. Direkt daneben gibt es Accessoires für junge Fräulein, Barden und Raubritter zu kaufen. Disney lässt grüßen. Die 15 Euro für eine Tarte au Munster mit Salatbouquet und einer Cola bestätigen es.

Wir verlassen die Festung und ziehen weiter gen Kaysersberg. Inmitten der Weinreben von Bergheim blicken wir nochmal zurück nach oben. Die einmaligen Silhouette der Burg ist in Abendlicht getaucht und ich muss mir eingestehen, dass der Anblick tatsächlich etwas sehr Romantisches hat. Auf die Burg werde ich dennoch erst wieder kommen, falls mein Neffe in naher Zukunft leidenschaftlich Ritter spielen sollte. Dann stehe ich mit ihm gerne an die wilhelminischen Kanonen und mache "Peng!".
Haut-Koenigsbourg täglich geöffnet von 9.30 Uhr bis 16.30 Uhr (saisonal abweichend), Adresse: 67600 Orschwiller, Elsass, Frankreich, weitere Infos unter: http://www.haut-koenigsbourg.fr/de
von Uwe Baumann
am So, 23. Februar 2020

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