Ein Ort, an dem die Zeit stillzustehen scheint

GERNE WIEDER:die Ranch Auberge du Hinterberg in den Vogesen.

ie unterschiedlich die Menschen doch ticken! Die einen sind immer auf der Suche nach dem Unbekannten, die anderen zieht es Jahr für Jahr an den gleichen Urlaubsort oder sie machen den gleichen Wochenendausflug. Und freuen sich immer wieder aufs Neue, Vertrautes neu zu entdecken. Autoren der BZ schreiben in unserer Serie "Gerne wieder", warum es sie immer wieder an den gleichen Ort zieht. Viel Vergnügen!

WDie Welt verändert sich rasant, manchmal kann man kaum mithalten. Wie gut es da tut, an einen Ort zurückzukehren, an dem die Zeit stillzustehen scheint. Die Ferme Auberge Hinterberg ist so ein Ort, oberhalb von Metzeral in den Vogesen gelegen. Nicht nur das niedrige Steinhaus mit seinen verblichenen Fensterläden und den grünen Stühlen im Hof kuschelt sich seit Jahrzehnten unverändert in den Buchenwald hinterm Berg. Auch dem Hausherrn und seiner Frau, die auf den schönen Namen Schildknecht hören, scheinen die Jahre nichts anzuhaben. Sie sehen immer gleich aus, die hagere blonde Frau und der großgewachsene Herr mit den buschigen Brauen.

Die Zeremonie, mit der Herr Schildknecht den Deckel seines elsässischen Tontopfs lüftet, in dem er das Essen drei Stunden lang in Weißwein gegart hat, ist jedes Mal exakt dieselbe: Zuerst zerbricht er behutsam den Ring aus Teig ("nur Wasser und Mehl, das kann man nicht essen"), mit dem er den ovalen Topf abgedichtet hat. Dann hebt er mit seinen rotweiß karierten Topflappen feierlich den Deckel, lässt den Dampf entweichen und gibt den Blick frei auf sorgsam geschichtete Kartoffelscheiben und ein Sträußchen Thymian. "Sie wissen ja, wie’s geht", sagt er in seinem markanten Elsässerdeutsch – und erklärt es sicherheitshalber doch nochmal: Drei Sorten Fleisch enthält der Eintopf, dazu Zwiebelringe und Karottenscheibchen, nicht zu vergessen "ein paar Schweinsfüß".

So einfach wie genial ist dieses traditionelle Gericht. Die Bäuerinnen sollen es früher morgens, wenn sie aufs Feld gingen, beim Dorfbäcker in den Ofen geschoben haben, um es mittags fertig wieder abzuholen, daher der Name: Bäckeroffa. Nirgendwo im Elsass haben wir ihn je so schmackhaft gegessen.

In der gemütlichen Gaststube sind stets alle Tische eingedeckt, obwohl Herr Schildknecht und seine Frau niemals so viele Gäste erwarten. Mit uns können sie freilich seit rund zwei Jahrzehnten rechnen, mindestens einmal jährlich, in unterschiedlicher Besetzung. Anfangs kamen wir mit befreundeten Paaren nach langen Wanderungen, genossen lange Gespräche und reichlich Riesling zum Bäckeroffa. Ließen uns spätabends vom Hausherrn mit der Taschenlampe zu Bett geleiten: einmal ums Gebäude herum und von hinten hinein ins obere Stockwerk mit sechs kiefernholzverschalten Schlafräumen und zwei einfachen Bädern. Ein paar Jahre später lag der kleine Sohn unserer Freunde schlafend im Wäschekorb unter dem Tisch; er hat dieses Jahr Abi gemacht.

Auch unsere Kinder haben die Schildknechts aufwachsen sehen, mittlerweile kennen sie unsere komplette Verwandtschaft und sämtliche Freunde. Anmerken lassen sie sich das nicht. Wenn wir euphorisch die Gaststube betreten, "Wir sind’s wieder!", zeigt er kaum Anzeichen des Erkennens. Sie streckt nur äußerst selten den Kopf aus der winzigen Küche. Wortkarg sind sie, wie Einsiedler.

Seit 1982 machen die beiden das dort oben, und einmal in all den Jahren hat es doch eine kleine Revolution gegeben: Wo immer nur Kerzen für Licht gesorgt hatten, hielt plötzlich die Elektrizität Einzug. Halogenlämpchen quer durch die Gaststube! Licht auf der Toilette! Und das Radio dudelte unentwegt. Wir fanden: schade um den Romantikfaktor. Die Schildknechts aber werden froh gewesen sein und auch wir haben uns mit der Zeit dran gewöhnt, zumal das Radio inzwischen wieder schweigt.

Unverändert geblieben sind die rotrosa Geranienkästen draußen auf den Fensterbänken, die üppige Dekoration mit Plastikblumen drinnen in der guten Stube, die Teddybären auf dem Kaminsims neben dem Waldhonig, der zum Verkauf bereitsteht. Unverändert weist auch das Schild an der Straße zum Gaschney den Weg zur "Ranch Auberge" – auch wenn die Zeiten, als der Hausherr Ausritte anbot, längst vorbei sind. "Die Pferde sind in Rente", hat er dieses Jahr verraten, ungewöhnlich gesprächig, und auch er sei nach 34 Jahren "ein bisschen müde". Ich solle deshalb nicht all zu viel Werbung machen, bitte schön. Gäste bekocht er übrigens nur nach Voranmeldung – telefonisch. Das Internet ist noch nicht angekommen.
von Ulrike Schnellbach
am Sa, 03. Dezember 2016

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