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Gastarbeiter

Eine Zündapp für Armando Rodrigues

  • Fr, 27. November 2009, 10:26 Uhr

Armando Rodrigues de Sá war der einmillionste Gastarbeiter in Deutschland. Gleich nach seiner Ankunft am Bahnhof Köln-Deutz wurde er von einem Empfangskomitee mit Blumen und einem Moped beschenkt.

Die Werkskapelle spielt Bizets "Auf in den Kampf Torero!", Honoratioren, Neugierige und Journalisten drängen sich am Bahnhof Köln-Deutz. "Wir haben ihn", schreit einer.

10.September 1964: Armando Rodrigues de Sá ist nach drei Tagen Zugfahrt übernächtigt und unrasiert aus Vale de Madeiros, 250 Kilometer südöstlich von Porto, am Rhein eingetroffen. Er weiß nicht, wie ihm geschieht. Als sein Name über Lautsprecher ausgerufen wird, erschrickt er, der 38-Jährige fürchtet sich vor der Verfolgung durch Portugals politische Polizei. Dabei war er in seiner Heimat nicht politisch aktiv. Ein Dolmetscher klärt das Missverständnis auf. Der Gesuchte lupft vorsichtig-freundlich den breitkrempigen Hut.

Armando Rodrigues de Sá ist der einmillionste Gastarbeiter in Deutschland. Der Arbeitgeberchef drückt dem gelernten Zimmermann einen Strauß Nelken in die Hand und schenkt ihm ein zweisitziges Moped, Marke Zündapp. Der Gefeierte lächelt irritiert in das Blitzlichtgewitter hinein. "Jetzt geht es an die Arbeit", schreibt das Handelsblatt einen Tag später. "In diesem Sinne: Auf in den Kampf Senhor Rodrigues!"

Armando Rodrigues de Sá bleibt nur wenige Stunden in Köln. Er fährt weiter nach Stuttgart-Degerloch, arbeitet später in Blaubeuren. Er wohnt in einer Baracke, lebt sparsam, gönnt sich kaum etwas.

Die Zündapp bringt er beim ersten Weihnachtsurlaub nach Portugal. Vom dem Ersparten kauft er sich ein Haus und verschiedene kleine Grundstücke. 1970 kehrt er nach einem Arbeitsunfall nach Portugal zurück. In seiner Heimat wird ein Magentumor festgestellt. Er gibt seine Anstellung in Deutschland auf. Der Großteil seiner Rücklagen geht für Arztbesuche und Medikamente drauf.

Niemand habe ihm gesagt – so seine Familie später – dass er Anspruch auf Krankengeld habe. Als das Geld knapp wird, lässt sich die Familie die Rentenansprüche auszahlen. 1979, mit 53 Jahren, stirbt Armando Rodrigues de Sá.

Das Haus der Geschichte macht sich auf die Suche nach dem Moped – zunächst ohne Resultat. Ein zweiter Anlauf im Jahr 1988 ist erfolgreicher. Die Familie meldet sich bei der deutschen Botschaft in Lissabon. Die Maschine ist echt, das ergibt ein Vor-Ort-Termin. Die Zündapp verstaubt neben Gartengeräten in einer Garage. Doch die Verhandlungen mit der Witwe, der Tochter und einem Enkel gestalten sich alles andere als einfach. "Wir hatten das Gefühl, dass wir über den Kauf der britischen Kronjuwelen verhandeln", erinnert sich ein Mitarbeiter. Bei 10 000 Euro wird man sich schließlich handelseinig. Die Zündapp ist heute samt Führerschein, Reisepass und Legitimationskarte im Haus der Geschichte zu sehen.

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