"Es ist eine Überlebensgeschichte"

TICKET-INTERVIEW: "Dunkirk"-Regisseur Christopher Nolan über seine Sichtweise und unbekannte Darsteller.

Unter der Regie von Christopher Nolan entstanden Kinokracher wie "The Dark Knight", "Inception" und "Interstellar". Mit seinem neuesten Werk "Dunkirk" aber entfernt sich der 46-jährige Brite vom Fantasy-Kino und präsentiert einen gewaltigen Kriegsfilm über die Evakuierung von 400 000 britischen, belgischen und französischen Soldaten, die vom 26. Mai bis 4. Juni 1940 in der französischen Hafenstadt Dünkirchen von deutschen Truppen eingekesselt wurden. Markus Tschiedert traf Nolan zur Weltpremiere seines neuen Films in London.

Ticket: "Dunkirk" ist beklemmendes Kino über das Gefühl des Ausgeliefertseins. Warum haben Sie darauf den Schwerpunkt gesetzt?
Nolan: Zunächst einmal sehe ich "Dunkirk" nicht unbedingt als Kriegsfilm. Für mich ist es eine Überlebensgeschichte – was mir aber erst klar wurde, als ich mich mit den historischen Begebenheiten auseinandersetzte. Ich las immer wieder paradoxe Geschichten etwa über Jungs, die in einem gestrandeten Schiff auf die nächste Flut warteten. Physikalisch gesehen, ist das paradox. Dann wurden sie auch noch vom Feind umzingelt. Das hat es wirklich gegeben, genauso wie die Situation auf den Seebrücken, die zeigt, welchem physikalischen Paradoxon sich Menschen aussetzen, wenn sie keinen Ausweg mehr finden.
Ticket: Das müssen Sie erklären...
Nolan: Ich wusste zwar um die Ereignisse in Dünkirchen, aber mir war nicht bewusst, dass sich Soldaten kilometerlang anstellten, um auf einer 2,50 Meter breiten Brücke mit 1000 anderen eingepfercht zu werden, in der Hoffnung, dass sich am Ende ein Schiff befindet, das sie mitnimmt. Sie nahmen dafür sogar die Gefahr in Kauf, dass es auf der Brücke kein Entrinnen mehr gab, sollten sie von feindlichen Flugzeugen angegriffen werden. Ich glaube, das sagt viel über das paradoxe Vorgehen von Menschen, die alles versuchen, um zu überleben.
Ticket: Den deutschen Angreifern geben Sie noch nicht mal ein Gesicht. Normalerweise gibt es in Filmen über den Zweiten Weltkrieg das Bild vom bösen Nazi...
Nolan: Uns lag viel daran, nur die Sicht der Soldaten, die evakuiert werden sollten, wahrheitsgetreu einzunehmen. Nur wenige von ihnen standen den Deutschen von Angesicht zu Angesicht überhaupt gegenüber. Ich glaube auch, dass so die Spannung im Film noch gesteigert wird. Der Terror entsteht durch die Angst vor dem Unbekannten. Man hört Schüsse aus Maschinengewehren, weiß aber nicht, woher sie kommen. Dann die Stukas, die im Sturzflug auf einen zukommen. Ich finde das furchterregender und wahrheitsgemäßer. Außerdem hatte ich immer ein Problem damit, wenn in einem Kriegsfilm plötzlich die Sicht des Feindes eingenommen wird.
Ticket: Stand die Entscheidung, keine Deutschen zu zeigen, von Anfang an fest?
Nolan: Für mich war das klar, doch als es darum ging, die Kampfszenen am Himmel zu drehen, kam von meinem Team die Frage auf, wo im Cockpit einer Messerschmitt die Kamera positioniert werden soll. Ich sagte nur, das brauchen wir gar nicht. "Und für den Fall, dass du deine Meinung ändern solltest?", war die Antwort. Wieder wehrte ich mich, dass ich nur aus der Perspektive britischer Piloten aus einer Spitfire filmen werde. Mir war es als Filmemacher wichtig, die Dinge nur aus einer Sichtweise zu sehen.
Ticket: Diesmal besetzten Sie wichtige Rollen mit noch relativ unbekannten Darstellern. Warum?
Nolan: Das hat nichts damit zu tun, dass ich mich mit berühmten Darstellern nicht wohlfühlen würde. Ich bin es gewohnt, mit Stars wie Leonardo DiCaprio, Al Pacino oder Matthew McConaughey zu arbeiten, aber mein Job als Regisseur ist es, das Potenzial eines Schauspielers zu entdecken. Davon haben Fionn, Harry und die anderen beim Vorsprechen viel gezeigt. Man darf nicht so viel darauf geben, in wie vielen Filmen jemand mitgespielt hat, sondern man muss darüber hinaus schauen.
von tsc
am Fr, 28. Juli 2017

Info

Dunkirk

Regie: Christopher Nolan
Mit Fionn Whitehead, Harry Styles, Tom Hardy, Mark Rylance, Kenneth Branagh, Cillian Murphy u. anderen
107 Minuten, frei ab 12 Jahren
Die Story
Im Mai 1940 werden 400 000 alliierte Soldaten in Dünkirchen von den Deutschen eingekesselt. Die einzige Flucht würde übers Meer führen. Aber dafür fehlen die Boote. Es kommt zu einer britischen Rettungsmission, an der Zivilisten mit ihren Kuttern teilnehmen, die zunächst für aussichtslos gehalten wird.  

Autor: bz

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