Schwarzwälder Karriere

Franz Xaver Winterhalter im Augustinermuseum

Franz Xaver Winterhalter war ein Bauernsohn aus Menzenschwand – und der bekannteste Porträtmaler Europas im 19. Jahrhundert. Das Augustinermuseum in Freiburg widmet ihm eine Ausstellung.

Er malte die Prominenz seiner Zeit: Königliche Hoheiten, Fürsten, Prinzessinnen. Franz Xaver Winterhalter war der bekannteste Porträtmaler Europas im 19. Jahrhundert. Heute ist der Bauernsohn aus Menzenschwand kaum mehr bekannt. Jetzt hat ihm das Augustinermuseum in Freiburg eine große Ausstellung gewidmet, die am 28. November eröffnet. Es ist die erste in Deutschland. Und der Sender Arte dreht gerade einen 60-Minuten-Film über den Maler.

Anfang des 19. Jahrhunderts war der Hochschwarzwald eine weltabgewandte, bildungsferne Gegend. Dort, in Menzenschwand, am Fuße des Feldbergs, wurde Franz Xaver Winterhalter am 20. April 1805 geboren und wuchs, zusammen mit seinem Malerbruder Hermann und den anderen Geschwistern, unter ärmlichen Bedingungen auf. Dennoch wurde er zu einem der bedeutendsten Künstler seiner Zeit. Wie nur war es möglich, dass sich dieser Bauernsohn gegen alle Wahrscheinlichkeit schon in jungen Jahren in Paris als Maler durchzusetzen vermochte? Und wie kam es, dass das Werk des Künstlers kurze Zeit nach seinem Tod im Sommer 1873 in Deutschland nahezu vollständig in Vergessenheit geriet?

Bereits 1837 feiert Winterhalter im Pariser Salon mit seinem "Decamarone", einem Genrebild nach Boccaccio, einen großen Erfolg. Bald wird Winterhalter Hofmaler Louis-Philippes: Bis zum Ausbruch der Revolution von 1848 steht er in Diensten des Hauses Orléans und porträtiert dessen Angehörige. Viele der zahlreichen Bilder werden kopiert. Sie dienen der Legitimierung der neu an die Macht gekommenen Herrscherfamilie und werden schon von der zeitgenössischen Kritik zurecht als "politische Porträts" verstanden. Häufig reist der Fürstenmaler, der sehr bald schon selbst als Malerfürst wahrgenommen wird, auch nach Großbritannien. Dort porträtiert er die gesamte königliche Familie. Im Laufe der Jahre entstehen weit mehr als hundert Gemälde.1847 stellt Winterhalter im St. James-Palast aus, und 100 000 Besucher kommen.

Dann bricht im Jahr 1848 in Paris die Februarrevolution aus. Der König dankt ab, die Republik wird ausgerufen. Winterhalter geht ins Ausland. Als die Beben und Nachbeben der Revolution abgeklungen sind, wird er Hofmaler Napoleons III. Sein Atelier und andere Werkstätten beliefern die Provinzstädte mit ungezählten Kopien; Lithographien und Photographien gehen in die gesamte Welt. Und Winterhalter widmet sich, unterstützt von seinem Bruder und anderen Künstlern, dem Hochadel von ganz Europa, von Nord nach Süd und von West nach Ost, "so weit die Crinoline reicht", wie das "Kunstblatt" im Jahr 1857 ironisch formuliert. Crinoline, das ist der Reifrock. Winterhalter wird hier nicht zu Unrecht als Modemaler gesehen – und dies sogar im doppelten Sinn des Wortes.

Der Künstler aus dem Schwarzwald verkehrt nun mit den Mächtigen der Welt auf Augenhöhe. Ein Beispiel: Im Jahr 1864 hält sich Winterhalter in Wien auf, um Kaiser Franz Joseph und seine Frau Elisabeth zu malen. Am 1. November 1864 schreibt Franz Joseph folgendes an seine Mutter: "Späterhin nahmen mir die Sitzungen bei Winterhalter mehr als meine freie Zeit, doch mit großem Erfolge, denn das Porträt ist außerordentlich geworden. Auch die zwei Bilder, die er von Sisi machte, sind ganz scharmant geworden und sind die ersten ähnlichen Porträts von ihr. Jetzt malt er Therese und dann soll er nach Stuttgart, um die dortigen Majestäten zu malen, sodaß Sie, liebe Mama, sehr bald kommen müssten, wenn Sie sich noch von ihm wollen malen lassen.
Er ist nämlich ein sonderbarer und unabhängiger Mann, mit dem man nicht disponieren kann und eigentlich nur tut, was er will. Er würde kaum unbeschäftigt hier warten wollen, umso mehr als man ihn in Stuttgart erwartet." Dass ein Maler einem Potentaten des 19. Jahrhunderts "sonderbar" erscheinen muss, wenn er nur seinem Gusto folgt, ist leicht nachvollziehbar. Um vieles weniger gilt das für den geradezu märchenhaft anmutenden Aufstieg des Künstlers aus dem abgeschiedenen Menzenschwand. Noch einmal: Wie war diese unglaubliche Karriere möglich?

Ein Kind der Revolution

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts brach die französische Monarchie unter der Last einer wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Krise zusammen. Es ist hier nicht der Ort, auf die Ereignisse im einzelnen einzugehen, die in einer langen Kausalkette zur Revolution, schließlich zu Napoleon und, im Hinblick auf unser Thema, zur Säkularisierung der Abteien im deutschen Südwesten führten. Betroffen war auch das Kloster St. Blasien. Das Gros der Mönche wanderte nach St. Paul im Kärntner Lavanttal aus. Nicht so ein gewisser Berthold Liber, der 1808 Pfarrer und Lehrer in Menzenschwand wurde. Er erkannte die Begabung der beiden Winterhalter-Brüder und ermunterte ihren Vater dazu, Franz Xaver gegen ein nicht geringes Lehrgeld in Freiburg, vor allem im Herderschen Verlag, zum Zeichner und Grafiker ausbilden zu lassen.

Bei Herder bleibt Franz Xavers Talent nicht verborgen. Er ist noch nicht einmal 15 Jahre alt, erhält aber bereits Sonderaufträge. Gegen Ende seiner Lehrzeit bewirbt sich der junge Winterhalter an der Münchener Akademie – und wird sofort angenommen. In der bayerischen Residenz unterzieht er sich einer breiten künstlerischen Ausbildung. Auch aus der Distanz wird Franz Xaver dabei stets von seinem Vater im Hochschwarzwald auf liebevolle Weise begleitet, der sich nichts Anderes wünscht, als der "Vater zweier Künstler" zu sein, wie er 1824 schreibt – erstaunlich für einen Bauern im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Und seine schönsten Hoffnungen scheinen schon bald in Erfüllung zu gehen: Franz Xaver schafft den Sprung von der Grafik zur Ölmalerei.

Den Aufenthalt in München finanziert sich der angehende Künstler mit Auftragsarbeiten. Vor allem hat längst der Unternehmer von Eichthal die Bühne betreten, einer der wichtigsten badischen Steuerzahler, der seit 1810 Mitinhaber einer großen Fabrik ist, die im aufgelassenen Kloster St. Blasien produziert. Auf Anregung Eichthals wendet sich Winterhalter im Februar 1825 mit zwei Bildgeschenken und einem Bittschreiben an den Großherzog. Und Franz Xaver wird fortan tatsächlich von Karlsruhe unterstützt. Wichtiger als das Stipendium erscheint der Umstand, dass Winterhalter jährlich eine Zeichnung an den Großherzog abzuliefern hat, denn damit ist ein direkter Kontakt zum Hof hergestellt, der sich in der Folge für den jungen Künstler als echtes Sprungbrett erweist.

Vor und nach 1830 hält sich Winterhalter mehrfach am Karlsruher Hof auf und porträtiert mehrere Mitglieder des Hauses Baden. In der Rückschau zeigen sich die kleinformatigen Arbeiten, die in Karlsruhe entstehen, als maltechnisch perfekte "Fingerübungen" für die großen Werke, mit denen Winterhalter kurze Zeit später an den europäischen Höfen Erfolge feiert. Von 1832 bis 1834 unternimmt er dann, wieder mit staatlicher Unterstützung, eine Italienreise, die für seine künstlerische Selbstfindung von größter Bedeutung ist – insbesondere im Hinblick auf die Verschmelzung von Genremalerei und Porträt. Erwähnung verdient auch der Umstand, dass sich Winterhalter in Italien zugleich als ein Landschaftsmaler von hohen Graden erweist.

Zurück in Karlsruhe, wurde er zwar zum großherzoglich-badischen Hofmaler ernannt, reiste jedoch bald nach Paris weiter. Das Haus Baden förderte den jungen Künstler damit nach Kräften, denn die französische Metropole war in jenen Jahren die internationale Hauptstadt der Kunst schlechthin. Unterstützt wurde Winterhalter mit hoher Wahrscheinlichkeit vor allem von der badischen Großherzogswitwe Stéphanie, der Adoptivtochter Napoleons I., die in der französischen Metropole über beste Beziehungen verfügte. 1836 errang Winterhalter im Salon mit seinem "Dolce far niente", das offenbar den Nerv einer mehr und mehr hektischen Welt traf, einen ersten Erfolg. Seine Genreszenen bildeten fraglos die Basis seiner Karriere als Porträtmaler. Aber dass er schließlich im unmittelbaren Umkreis des Bürgerkönigs Louis-Philippe Fuß zu fassen vermochte, hatte er vor allem seinem Netzwerk im Hochadel zu verdanken, zu dem man ihm in Karlsruhe Zugang verschafft hatte.

Fasst man zusammen, kommt man um folgende Schlussfolgerungen nicht herum: Ohne die Krise der Monarchie keine Revolution, ohne die Revolution und die Revolutionskriege kein Napoleon, ohne sie, ohne ihn keine Säkularisation des Stifts St. Blasien, ohne sie kein Pfarrer Liber in Menzenschwand, ohne die Säkularisation auch kein Unternehmer Eichthal in den Mauern des Klosters, keine Ausbildung Winterhalters in Freiburg, ohne den St. Blasier Fabrikherrn kein schneller Kontakt zum badischen Hof und kein Stipendium für München, für eine Reise nach Italien, ohne das Haus Baden mit seinen Beziehungen zum französischen Hochadel kein rascher Erfolg in Paris. Usw. Man sieht: Winterhalters Karriere verdankte sich längst nicht nur seinem außergewöhnlichen Talent, seinem Fleiß und seinem Geschäftssinn, sondern mehr noch vielleicht dem Umstand, dass er, seiner geografischen und sozialen Herkunft zum Trotz, der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war, dass er sich mit seiner künstlerischen Kompetenz passgenau in eine konkrete politische und gesellschaftliche Situation einzufügen vermochte. Es war die Übergangsphase hin zum bürgerlichen Zeitalter, die den Rahmen für Winterhalters sozialen Aufstieg und seine Karriere bot. Hochadel und Adel waren seine Auftraggeber. Dennoch hatte Winterhalter, der treue Monarchist, seine Karriere neben seinem künstlerischen Talent und der Fähigkeit, seine Kunden in ihrem Sinne positiv in Szene zu setzen, im Grunde vor allem der Revolution zu verdanken. Recht besehen war er, wie manche seiner wichtigsten Auftraggeber, ihr Kind.

Der "Französling"

Als Winterhalter in Frankfurt am Main starb, schrieb Friedrich Pecht, einer der damals tonangebenden Kunstkritiker: "Seit Holbein hat Deutschland wohl keinen bedeutenderen Bildnismaler mehr hervorgebracht... ." Und Queen Victoria notierte: "Seine Arbeiten aber werden in späterer Zeit mit denen von Van Dyck konkurrieren." Doch wie konnte es dennoch geschehen, dass der Schwarzwälder nach seinem Typhustod am 8. Juli 1873 in Deutschland so rasch in Vergessenheit geriet?

Als der Deutsch-Französische Krieg beginnt, begibt sich Winterhalter nach Karlsruhe und lässt sich dort nieder. Geschäftlich vermag er allerdings in Baden nicht mehr Fuß zu fassen. "Hier ist keine Aussicht auf Beschäftigung", schreibt er frustriert nach Menzenschwand. Hatten die Zeitläufte Winterhalter zu Beginn seines Lebens unter die Arme gegriffen, so hatte sich inzwischen das Blatt gewendet. Im wilhelminischen Deutschland galt Winterhalter bald als "Französling". Franzosenfeindlichkeit und ein rigider Nationalismus schlugen ihm und seinem Werk entgegen, setzten seiner europäischen Künstlerexistenz ein Ende. Diese negativen Rahmenbedingungen trugen wohl wesentlich dazu bei, dass Winterhalters Werk im Deutschen Reich rasch in Vergessenheit geriet. Unterstützten die revolutionären Ereignisse und die allmähliche Transformation der Gesellschaft Winterhalter zu Beginn seiner Laufbahn in entscheidender Weise, so trugen die gesellschaftlich-politischen Verhältnisse der Gründerzeit wesentlich zum Bedeutungsverlust seines Schaffens bei.

Als Winterhalter 1873 starb, hinterließ er ein für das 19. Jahrhundert riesiges Vermögen in Höhe von mehr als 2,3 Millionen Gulden. Dass er der Gemeinde Menzenschwand 50 000 Franken zugunsten einer Stiftung für junge Auszubildende und gebrechliche Alte testamentarisch vermacht hat, dass er für große Bauvorhaben im Südschwarzwald wie zum Beispiel für die Errichtung des Hotels Höchenschwand, des späteren Kurhauses, viel Geld gegeben hatte, trug sicherlich dazu bei, dass der Künstler rund um den Feldberg in guter Erinnerung blieb. Doch für das restliche Deutschland galt dies nicht. Und dieser Sachverhalt änderte sich auch im 20. Jahrhundert keineswegs, als nach den Verheerungen des Ersten Weltkriegs und der Installierung der wackligen Weimarer Republik ein Fürstenmaler, also letztlich ein Fürstendiener, der im vordemokratischen Europa tätig gewesen war, offenbar als obsolet erschien. Und im "Dritten Reich" blieb ein durch und durch nobler Künstler vom Schlage Winterhalters ohnehin chancenlos.

Anderes kommt hinzu: Winterhalter hat an keiner Akademie unterrichtet, er hat keine nennenswerten Schüler hervorgebracht, und auch das schwächte die Position seines Werks. Noch wichtiger ist womöglich, dass bereits zu Winterhalters Lebzeiten eine andere bedeutende Karriere begann: die der Fotografie, die der Künstler selbst frühzeitig nutzte. Jetzt rächte es sich auch, dass Winterhalter nach der italienischen Reise sein Tätigkeitsfeld auf die Kunst des Porträts eingrenzte und die Landschaftsmalerei nicht weiter verfolgte. Das alles zog Winterhalters Position im deutschen Kunstbetrieb bis auf den heutigen Tag in Mitleidenschaft.

Während sein Werk in Großbritannien und Frankreich in der Öffentlichkeit nach wie vor präsent ist, während man Winterhalter in der Londoner National Portrait Gallery (1987) und im Pariser Petit Palais (1988) mit einer großen Retrospektive und einem üppigen Katalog würdigte, haben die deutschen Museen den deutschen Künstler aus Menzenschwand bis dato im Grunde nicht mehr zur Kenntnis genommen.

Winterhalter war ein Maler von europäischem Rang. Er vor allem war es, der die Herrscher Europas in jenen Jahrzehnten des allmählichen Wandels hin zur bürgerlichen Gesellschaft und zur Demokratie mit seinen politischen Porträts künstlerisch inszenierte und vermarktet hat. Mit seinen Herrscherbildnissen verkörperte Winterhalter in gewisser Weise den Typus eines künstlerischen PR-Managers und hatte damit eine Funktion inne, wie sie spätestens seit dem 20. Jahrhundert von Fotografen und Filmern wahrgenommen wird. Darüber hinaus wirkte er, was Gesellschaft und Mode angeht, stilbildend. Auch die Damen der Gesellschaft verstand der einstige Bauernjunge aus dem Schwarzwald politisch korrekt und zugleich attraktiv in Szene zu setzen, oftmals mit perfekt gemaltem Tüll in Hülle und Fülle. Auf diese Weise schuf er profane Ikonen wie etwa das Staatsporträt von Kaiserin Elisabeth von Österreich, die bis heute wirkungsmächtig sind.

von Jürgen Glocker
am Sa, 21. November 2015 um 00:00 Uhr

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