Kino-Interview

Gary Oldman über seine Rolle als Churchill in "Die dunkelste Stunde"

TICKET-INTERVIEW: Der britische Schauspieler Gary Oldman über seine Rolle als Churchill.

Auf Winston Churchill würde man nicht kommen, wenn man Gary Oldman betrachtet. Aber genau den spielt der 59-jährige Brite in dem Kriegsdrama "Die dunkelste Stunde" – und wurde dafür gerade mit dem Golden Globe ausgezeichnet. Markus Tschiedert traf den vielseitigen Schauspieler in seiner Heimatstadt London.

Ticket: Mit welchen Gefühlen und Gedanken haben Sie sich der Figur Winston Churchill genähert?
Oldman: Er ist natürlich eine Ikone, ein Mythos, der über die Jahre schon von vielen fabelhaften Schauspielern dargestellt wurde. Somit bin ich nicht nur in die Schuhe von Winston Churchill geschlüpft, sondern auch in die anderer großer Kollegen. Nicht, dass mir das unbekannt gewesen wäre, schließlich musste ich mich schon mit Alec Guinness vergleichen lassen, als ich 2011 die Rolle des George Smiley in "Dame, König, As, Spion" übernahm. Das funktioniert nur, wenn man sich in die sicheren Hände eines Regisseurs geben kann, was auch diesmal wieder mit Joe Wright gegeben war.
Ticket: Wobei sicherlich hinzukommt, dass Churchill auch noch historisch eine große Bedeutung hat...
Oldman: Da wusste ich aber, dass ich mich mit Joe Wright als Regisseur in gute Hände begeben würde. Das war sehr hilfreich, um sich bei aller Aufregung, dass ich nun Churchill spielen würde, wieder auf das Ausgangsmaterial zu konzentrieren und den Mann zu betrachten, den ich porträtieren sollte. Ich entdeckte dabei Aspekte an ihm, die meines Erachtens bisher noch nicht aufgezeigt wurden. Letztlich wollte ich mir aber sicherlich nicht die Chance nehmen lassen, Churchills berühmte Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede vor der Kamera zu halten.
Ticket: Wie fühlten Sie sich dabei?
Oldman: Na ja, ich fragte mich, was wäre das Schlimmste, was mir dabei passieren kann. Selbst wenn ich in meiner Rolle so furchtbar wäre, dass sie mir keiner abnimmt, würde es mit meinem Leben weitergehen. Man wird mich dafür ja nicht erschießen (lacht).
Ticket: Wie wichtig ist ein Film wie "Die dunkelste Stunde", um auch junge Menschen mit den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs zu konfrontieren?
Oldman: Es fanden in Amerika und Großbritannien etliche Testvorführungen statt, die mich überrascht haben. Man könnte es Amerikanern vielleicht noch verzeihen, dass sie nicht wussten, wie Europa in jener Zeit untergegangen ist, aber die Engländer wussten es auch nicht. Es gab auch die Dinge, die ich nicht wusste, als ich erstmals das Drehbuch las. Ich dachte, so nah waren wir damals dran, vor den Nazis zu kapitulieren, indem wir einen Friedensvertrag aushandeln wollten?
Ticket: Das war Ihnen also gar nicht so klar...
Oldman: Ich kenne mich etwas in der Geschichte aus, auch durch meine Eltern, die den Zweiten Weltkrieg noch hautnah miterlebt haben. Mein Vater diente in der Royal Navy, weshalb ich gewiss ein Verständnis für jene Zeit mitbekommen habe. Aber in welchem Tief Großbritannien am Anfang des Zweiten Weltkriegs lag, war mir so nicht bewusst. Unser Film ist heutzutage gewiss sehr unterhaltend, aber für die junge Generation von Zuschauern funktioniert er sicherlich auch wie eine Lektion in Geschichte.
Ticket: Haben Sie bei der Vorbereitung auf Ihre Rolle etwas über Churchill herausfinden können, was Sie vorher nicht wussten?
Oldman: Ich glaube, ich beurteile ihn heute ganz anders als je zuvor. Allein, wie er ins Amt gekommen ist und vor den König treten muss. Er nahm ein schweres Erbe an zu einem Zeitpunkt, als die Invasion der Deutschen für möglich gehalten wurde und das eigene Militär geschwächt war. Dazu musste er sich auch noch mit der inländischen Politik auseinandersetzen und sah sich dem Widerstand im eigenen Kabinett ausgesetzt. Er muss also komplett unter Stress gestanden haben, was ihn bestimmt auch mental mitgenommen hat. Nachzuvollziehen, welche Energie er aufbringen musste, um das alles zu bewältigen: Das ist schon etwas.
Ticket: Sie wollten Churchill so menschlich wie möglich spielen, als jemanden, der auch seine Fehler hatte. War er letztendlich vielleicht nur ein gewöhnlicher und verletzbarer Mann?
Oldman: Es ist wirklich schwer, das im Einzelnen zu sehen. Wonach man als Schauspieler sucht, sind Gefühle und Empfindungen, weniger nach dem intellektuellen Wesen. Ein Beispiel: Churchill hält seine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede und bekommt plötzlich einen Frosch im Hals. Er nippt an einem Wasserglas. Als er es wieder absetzt, sieht man in seinem Gesicht ein Aufblitzen und er sagt: "Das tue ich nicht oft." Gemeint ist, dass er nicht oft Wasser trinkt. Das sind kleine Details, die man für sich selbst interpretieren muss, um sie mit Empfindungen auszufüllen.






von tsc
am Fr, 19. Januar 2018

Info

Die dunkelste Stunde

Regie: Joe Wright
Mit Gary Oldman, Kristin Scott
Thomas, Ben Mendelsohn, Lily James und anderen. 126 Min., frei ab 6.

Die Story
Winston Churchill (Gary Oldman) wird im Mai 1940 Premierminister und soll mit Deutschland einen Frieden aushandeln. Denn die Nazis sind den Briten militärisch weit überlegen. Doch der alte Kauz denkt nicht daran. Er will sein Land im Kampf gegen Hitlers Terrorregime vereinen. Mit seiner Überzeugung steht er jedoch zunächst ziemlich allein.

 

Autor: bz

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