Literatur

Interview: Der Tschechow-Experte Heinz Setzer zum Literaturforum Badenweiler

TICKET-INTERVIEW: Tschechow-Experte Heinz Setzer zum Literaturforum Badenweiler.

Seit Anton Tschechow 1904 in Badenweiler starb, stehen die Zeichen in diesem Kurort auf Russland. Das 20. Internationale Literaturforum widmet sich dem Theaterreformer Konstantin Stanislawski. Bettina Schulte sprach mit dem Kurator der Veranstaltungsreihe Heinz Setzer.

Ticket: Was verbindet Stanislawski mit Tschechow?
Setzer: Stanislawski und Nemirowitsch-Dantschenko haben als Regisseure am 17. Dezember 1898 mit der legendären Premiere der Komödie "Die Möwe" den weltweiten Erfolg Tschechows als Dramatiker begründet. Die beiden hatten im gleichen Jahr das "Moskauer Künstlertheater" (MChAT) gegründet. Es führte ein neues Theatersystem ein, das sich nicht am Helden orientiert, sondern an einer Gruppe von Menschen, vereint durch Atmosphäre und Stimmungen, was eine naturalistisch-realistische Darstellung erforderte. Tschechow schrieb alle Stücke für das Künstlertheater. Nach seinem Tod realisierten Stanislawski und der russische Gesandte am badischen Hof in Karlsruhe das weltweit erste Denkmal für Tschechow in Badenweiler. Stanislawski machte Tschechow in Deutschland populär, indem er eine Gastspielreise unter anderem ans Deutsche Theater von Max Reinhardt unternahm. Reinhardt war von Stanislawskis Inszenierungsstil zutiefst beeindruckt. 1923 bis 1924 war Stanislawski mit dem MChAT auch in den USA. Sein "System" , das dort als "method" bekannt wurde, hatte durch Michael Tschechow (Sohn des Bruders von Tschechow), der am berühmt gewordenen Actors studio in New York lehrte, und Lee Strasberg durchschlagenden Erfolg bis heute.
Ticket: Welche Rolle hat Stanislawski in der russischen Kulturszene seiner Zeit gespielt?
Setzer: Stanislawski hat lange als Regisseur gearbeitet: von 1898 bis 1938. Noch in den letzten Lebenstagen hat er an seinem dreibändigen Hauptwerk "Die Arbeit des Schauspielers an der Rolle" und "Die Arbeit des Schauspielers an sich selbst" geschrieben. Ein Großteil dieser Arbeit ist in Badenweiler entstanden. Er war vor der Oktoberrevolution der bekannteste Regisseur Russlands. Nach 1918 geriet das MChAT bei den bolschewistischen Kulturmachern als zu bürgerlich unter Kritik. Der erste sowjetische Kulturminister Lunatscharski sorgte für den Fortbestand.
Ticket: Und seine Beziehung zu Badenweiler?
Setzer: Stanislawski kam 1928 herzkrank noch einmal nach Badenweiler, um sich bei Josef Schwoerer, der schon Tschechow behandelt hatte, in Behandlung zu begeben. Insbesondere der Opernbühne gab Stanislawski neuen Auftrieb gerade in seiner Badenweilerer Zeit, was bisher so gut wie nicht bekannt war. Deswegen ist das Thema Badenweiler–Stanislawski sogar für die Russen neu!
Ticket: In einer Podiumsdiskussion geht es um Stanislawski und das zeitgenössische Theater. Inwiefern strahlt Stanislawskis Auffassung vom Theater auf die heutige Theaterszene aus?
Stetzer: Stanislawskis System beruht auf der Überzeugung der "psychischen Handlung": Der Schauspieler soll durch Übungen so in seine Rolle hineinwachsen, dass Augenblicksregungen ausgeschlossen sind. Am Ende setzte Stanislawski aber auch auf die individuelle Freiheit des Schauspielers. Die Diskussion wird zwischen den Polen klassisches Autorentheater und Regietheater geführt werden. Dazu wird der Chefdramaturg des Freiburger Theaters, Rüdiger Bering, Filmausschnitte von Aufführungen zeigen.
Ticket: Im Kurhaus Badenweiler ist eine deutsch-russische Ausstellung über Stanislawski zu sehen sein. Wo liegen ihre Schwerpunkte?
Setzer: Erstmals haben drei Museen ihre immens reichen Bestände zur Verfügung gestellt. Aus Sicherheits- und Kostengründen ist es unmöglich, sie im Original zu zeigen, doch wurden sie zum Teil erstmals digitalisiert. Das Museum zur Geschichte der russischen Literatur in Moskau, das Museum des MChAT und das Moskauer akademisch-musikalische Theater haben 154 Exponate geschickt.

Termine: Badenweiler, Tschechow-Woche,
Kurhaus, 15. bis 22. Juli;
Info: Tel. 07632/799300.
Weitere Infos unter http://www.deutsche-tschechow-gesellschaft.de

von bs
am Fr, 13. Juli 2018

Badens beste Erlebnisse