Bühne

Interview mit Joachim Król, der im Freiburger Theater Albert Camus rezitiert

TICKET-INTERVIEW: Joachim Król über Albert Camus – und was ihn mit ihm verbindet.

Mit einer Adaption aus Albert Camus’ postum erschienenem fragmentarischem Roman "Der erste Mensch" ist Joachim Król auf Tour. Konstantin Görlich hat mit ihm über Camus gesprochen – und erstaunliche Parallelen in beider Biografien entdeckt.

Ticket: Wie fühlt sich die Produktion an – nach den ersten Aufführungen?
Król: Wir sind in Braunschweig ziemlich gefeiert worden. Auch in Hamburg war die Resonanz ähnlich. Wir sind ausverkauft, und man hat uns gesagt, dass man die Hanseaten nicht oft so euphorisch erlebt. Natürlich wünscht man sich, dass es klappt mit einem neuen Text – aber man kann sich nie sicher sein, sonst hätte man die Formel für Gold. Mein Vortrag soll auch eine musikalische Qualität haben. Ich lese nicht im eigentlichen Sinn, sondern versuche, in der von Christoph Dangelmaier komponierten Musik und im Ensemble eine Stimme zu sein. Das funktioniert sehr gut – und darum ist jede Vorstellung anders. Es wird immer auch für uns ein spannender Abend bleiben.
Ticket: Warum Albert Camus?
Król: Ich war erst sehr skeptisch, weil ich ein bestimmtes Bild von Camus hatte: der Existenzialist, der Philosoph, der streitbare Freund von Sartre. Aber das, was wir haben, diese Geschichte aus "Der erste Mensch", bezieht sich auf Geschichte und Jugend von Camus, ist dicht dran an ihm. Er wollte sich neu erfinden, den Erzähler in sich entdecken – und dafür ist es literaturgeschichtlich ein profundes Mittel, sich auf die eigene Biografie zu besinnen. Bei ihm war es die Vatersuche und die Suche nach der Kindheit, und daraus ist dieses leider fragmentarisch gebliebene Werk entstanden, das nach der Veröffentlichung gefeiert wurde. Fachleute haben gesagt, man müsse vor dem Hintergrund dieser erzählerischen Qualitäten das Werk von Camus noch mal neu betrachten.
Ticket: Trägt das Stück dazu bei?
Król: Sicher ist es eine Einladung, Camus mal wieder hervorzuholen – was er unbedingt verdient hat. Die Passage, die wir behandeln, taugt sehr gut für eine Bühnenadaption, weil sie in der Sprache relativ offen ist. Die Bearbeitung von Martin Mühleis ist eine runde Sache.
Ticket: Was verbindet Sie mit Albert Camus?
Król: Natürlich hat man in meiner Jugend Camus gelesen, es war auch Unterrichtsstoff – und über Existenzialismus zu diskutieren war schick, man konnte das mit Rotwein und schwarzen Zigaretten dekorieren. Aber wenn man sich so intensiv mit einem Text beschäftigt, berührt man zwangsläufig Punkte, die mit der eigenen Biografie zu tun haben. Zum Beispiel die Szene, wo der Lehrer beschließt, in diesen armen Frauenhaushalt zu gehen, mit dem halb tauben Onkel, um die Empfehlung auszusprechen, dass der Junge aufs Gymnasium soll. Ich will jetzt nicht einen Bergarbeiterhaushalt der 60er Jahre mit einem Analphabetenhaushalt im Algerien der 20er Jahre vergleichen – aber diese Situation hat es bei mir genau so gegeben. Irgendwann klingelt es, wir sitzen am Abendbrottisch, und mein Lehrer steht vor der Tür – und hat genau dieses Gespräch mit meinem Vater gesucht, um ihn davon zu überzeugen, dass ich aufs Gymnasium soll.
Ticket: Gegen Widerstand?
Król: Überhaupt nicht. Ich weiß nur nicht, ob meine Eltern das zu diesem Zeitpunkt von allein durchgesetzt hätten. Da war die Stimme des Lehrers einfach lebensentscheidend für mich. Wie Camus dann beschreibt, wie er in diesen völlig anderen großbürgerlichen Kosmos eindringt – diese Empfindungen habe ich auch gehabt. Wir waren Exoten als Arbeiterkinder auf diesem Gymnasium.
Ticket: Wie aktuell ist das Thema?
Król: Also erst mal betonen wir die literarische Qualität von Camus, seine Biografie, seine Dimension. Aber darüber hinaus führt kein Weg daran vorbei, immer wieder zu sagen, dass der Schlüssel für die Lösung vieler Probleme, die wir heute haben, in der Investition in Bildung liegt. Mich emotionalisieren diese Momente auf der Bühne. Darum ist für mich jeder Abend neu und lebendig. Wenn ich diese einfachen Sätze lese und mir vergegenwärtige, was für eine Dimension das hatte für diesen Jungen, den es wirklich gegeben hat, der zu diesem Mann geworden ist: Wer das nicht begreift, der begreift gar nichts.

Termin: Freiburg, Joachim Król & l’Orchestre du Soleil: "Der erste Mensch" – Die unglaubliche Geschichte einer

Kindheit. Theater, Großes Haus,

Di, 16. Jan., 19.30 Uhr.
von kmg
am Fr, 12. Januar 2018

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