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Badens junge Genussprofis

Interview: Wie macht man Kindern Lust auf gesundes Essen?

Michael Neubauer

Von

Fr, 19. Oktober 2018 um 21:45 Uhr

Gastronomie

Wie bringt man Kinder dazu, sich gesund zu ernähren? Der Freiburger Koch Ben Kindler erzählt im Interview, wie er den Kleinen hin und wieder Spinat unterjubelt.

Ben Kindler inmitten von Kindern aus einem seiner Kochkurse. Foto: Joss Andres
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Genussprofis haben in unserer Serie erzählt, was guten Geschmack ausmacht und wie man Qualität erkennt. Aber was ist mit den Genießern von morgen? Wie bringt man Kinder dazu, sich gesund zu ernähren und Lust auf gutes Essen und Abwechslung zu haben? Ben Kindler (36) kocht und lehrt Kochen – denn er ist Inhaber von Bensels Kochschule in Freiburg. Im Interview mit Michael Neubauer verrät er zum Beispiel, wie er Kindern Lust auf Spinat macht.

BZ: Herr Kindler, Sie schrieben einmal, wir alle hätten unsere "Lieblings". Definieren Sie bitte Lieblings.
Ben Kindler: Bei Lebensmitteln sind Lieblings das, wo ich mich reinlegen könnte. Für mich als Kind waren das Semmelbrösel in Butter. Die streute meine Großmutter auf Spätzle oder Gemüse. Die Italiener machen das auch: Sie rösten zum Beispiel altes Ciabatta langsam in Olivenöl, und wer sich keinen Käse leisten kann, streut das über die Pasta. Diese Brösel entstanden, weil man früher sehr respektvoll mit älterem Brot umging.

BZ: Welches Kindergericht essen Sie als Erwachsener immer noch gern?
Kindler: Fischstäbchen! Aber nicht die aus dem Supermarkt, ich mache sie zusammen mit meinen Kindern selbst. Viele Kinder wissen leider gar nicht, wo der Fisch fürs Fischstäbchen schwimmt. Wenn ich die aber selber mache, kann ich ihnen etwas erzählen über den Kabeljau, der bei mir in der Küche liegt. Oder ich kann ihnen beibringen, dass Zander aus dem See kommt oder eine Zuchtforelle aus unserer Gegend.

BZ: Warum erzählen Sie Ihren Kindern das?
Kindler: Wenn Kinder Genuss erlernen sollen, ist es wichtig, bei ihnen das Interesse zu wecken für die Frage: Was ist das, was ich esse? Wo kommt es her? Und Kinder finden es meistens interessant zu erfahren, wie etwas wächst oder wie etwas gefangen wird.

BZ: Aber nicht, wie etwas geschlachtet wird.
Kindler: Kinder essen zwar gerne Fleisch. Aber in unseren Kursen erleben wir oft, dass sie rohes Fleisch nicht anfassen mögen. Auch Fische in der Pfanne mit Augen stoßen sie ab. Dennoch: Es geht darum, behutsam einen Bezug herzustellen zwischen dem Tier und dem Teil davon, der auf unserem Teller liegt. Uns Erwachsenen geht es ja oft ähnlich. Ich habe neulich erstmals selbst ein Huhn geschlachtet. Der Respekt vor dem, was man isst, wird größer, wenn wir darüber Bescheid wissen.

BZ: Was bringt Kinder dazu, dass sie sich für gesunde und vielfältige Nahrungsmittel interessieren?
Kindler: Ganz einfach: Indem zu Hause gut und vielfältig gekocht wird. Auch bei der Ernährung sind Eltern die wichtigsten Vorbilder. Wir wissen ja: Nudeln mit Tomatensauce, das geht immer. Der Trick ist, den Kindern zu zeigen, dass eine frische Sauce besser schmeckt als eine Fertigsauce aus dem Supermarkt. Also kaufe ich schöne vollreife Tomaten auf dem Markt und mache damit eine tolle Sauce mit frischem Basilikum.

BZ: Zu Ihren Kochkursen kommen Kinder ab sechs Jahren. Wie vermitteln Sie denen Geschmack?
Kindler: Natürlich dürfen die Rezepte nicht zu kompliziert sein. Es müssen Dinge sein, die sie kennen und mögen, die sie frei wählen können: Burger, Pommes, Würstchen zum Beispiel. Wir verändern diese Gerichte ein bisschen mit Lebensmitteln, die sie nicht kennen. Sie sind dann fast immer überrascht, dass ihnen das schmeckt.

BZ: Zum Beispiel?
Kindler: Bei den Fischstäbchen nehme ich eben verschiedenen Fisch, manchmal sogar frische Garnelen. Wir panieren das, machen eine selbstgemachte Mayonnaise dazu mit frischen Eiern (das Rezept dazu finden Sie auf BZ-Online – siehe "Schauen Sie mal").

BZ: Und wie machen Sie den Burger?
Kindler: Da verwende ich schon mal gehacktes Wildschwein vom Metzger, lege ein paar gebratene Pilze obendrauf und eine Scheibe Bergkäse vom Markt statt den in Plastik eingeschweißten Billig-Scheiblettenkäse. Garniert wird das mit einer in Scheiben geschnittenen Feige. Eine Feige allein würden sie vermutlich nicht essen. Aber in Kombination mit dem Burger finden sie das toll.

BZ: Gut, Burger, das funktioniert. Aber ich sage nur: Spinat.
Kindler: Kündigen Sie Spinat nicht an mit dem Satz: Heute gibt es Spinat. Sie müssen den Spinat unterjubeln, dass die Kinder ihn erst mal nicht merken.

BZ: Wie jubeln Sie den unter?
Kindler: Skepsis bei Lebensmitteln ist ja etwas Natürliches. Spinat ist ein sehr erdiges, kräftiges Gemüse – damit haben Kinder ein Problem. Sie mögen von Geburt an Süßes. Also auch lieber süßliches Gemüse wie Karotten, Pastinaken und Kartoffeln. Schneiden Sie den Spinat klein und mischen Sie ihn unter das Kartoffelpüree, statt ihn anzuschwitzen. Oder pürieren Sie den Spinat und machen Sie Butter und Sahne dran. Oder kaufen Sie kleine Blättchen von jungem Spinat und mischen Sie ihn unter den Salat.

BZ: Sie haben ja in Ihren Kursen oft Kinder aus gut betuchten Elternhäusern. Manche kinderreiche Familien haben aber eben nicht das Budget für Garnelen und Bergkäse vom Markt.
Kindler: Es ist völlig falsch zu denken, dass Genuss teuer sein muss. Die Frage ist doch: Welche Vorstellung habe ich von einem guten Essen? Wenn dazu immer ein Stück Fleisch oder Fisch gehören muss, ist das verkehrt. Viele haben das so gelernt, für sie ist das tägliche Fleisch ein Statussymbol. Stattdessen sollte es schick werden, auf dem Markt frisches Gemüse einzukaufen.

BZ: Oder gutes Brot beim Bäcker?
Kindler: Genau. Keinesfalls eines, das von einem Automaten aufgebacken wurde. Ein gutes Roggenbrot mit etwas Biobutter, ein bisschen Meersalz darauf und geschnittenen Schnittlauch: Das bedeutet für mich Genuss. Und das ist wie eine gute, selbst gemachte Tomatensauce gar nicht so teuer.

BZ: Will heißen: Bei Ihnen gibt es nicht so oft Fleisch?
Kindler: Ich kaufe ab und zu ein Biohähnchen auf dem Markt, aber nicht oft. Für meine Kinder ist das dann fast wie Fernsehen: Sie stehen vor dem beleuchteten Backofen, schauen dem Brathuhn beim Braunwerden zu, freuen sich und kennen sogar den Bauern, der das gezüchtet hat. Wir genießen das dann mit allen Sinnen, nagen am Ende die Knochen ab. Da braucht es keine abgefahrene Beilage, sondern wir legen einfach Kartoffeln um das Huhn herum und es gibt einen frischen Salat dazu.

BZ: Wie wichtig ist es, die Kinder beim Kochen mit einzubeziehen?
Kindler: Sehr wichtig, nicht nur beim Tischdecken und Abwaschen. In der Erbsenzeit kann man sie zum Beispiel frische Erbsen auseinanderbrechen lassen. Die meisten Kinder kennen Erbsen nur aus der Tiefkühlfach-Packung, die schmecken ja auch nicht schlecht. Aber wenn man Kinder eine Schüssel mit Erbsen vom Markt hinstellt, fragen die sofort: So sehen Erbsen aus? Da kann man mal eine roh probieren, dann kullert eine umher, das hat etwas Spielerisches. Klar, nach einer halben Schüssel haben die keine Lust mehr auf die Arbeit. Dann zwinge ich sie nicht, weiterzumachen.

BZ: Was ist für Sie noch wichtig in dieser Vorbildrolle?
Kindler: Die wichtigste Frage für uns Erwachsene ist doch: Welche Priorität hat Ernährung? Wenn die Eltern am Abend sagen: Lass uns schnell eine Fertigpizza in den Ofen schieben, damit wir noch Fernsehen schauen können, dann liegt eben die Priorität beim Fernsehen, nicht bei der Ernährung. Bei mir sitzen die Kinder oft dabei, wenn ich koche, sie schauen zu und wir reden. So lernen sie nebenbei die Namen und die Zubereitung von Lebensmitteln. Meine eine Tochter hat, als sie noch kaum ein Wort sprechen konnte, plötzlich "Dill" gesagt. Das hatte sie beim Dabeisitzen in der Küche aufgeschnappt.
Zur Person

Ben Kindler (auch nach seinem Jugendspitznamen "Bensel" genannt) hat drei Kinder: zwei Mädchen im Alter von 8 und 13 Jahren und einen fünfjährigen Sohn. Er lernte zu kochen im Restaurant Eichhalde in Freiburg, in den Hotels Almhof Schneider in Lech und Madinat Jumeirah in Dubai sowie im Restaurant Fischerzunft in Schaffhausen. In einer der besten Kochschulen in Thailand machte er eine Zusatzausbildung zum Thai-Chef. Seit 2010 gibt es seine Kochschule Bensel in Freiburg. Im vergangenen Jahr ist sein zweites Kochbuch erschienen: "Ben Kindler kocht badisch" (Belser Verlag).

Ressort: Gastronomie

Dossier: Genussprofis

  • Zum Artikel aus der gedruckten BZ vom Fr, 19. Oktober 2018:
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