Klassik & Electronica

Jazzpianist Ralf Schmid macht im Humboldtsaal Klänge sichtbar

Jazzpianist Ralf Schmid stellt sein Synästhesieprojekt Pyanook Lab in Freiburg vor.

Ralf Schmid möchte Klänge sichtbar machen. Dafür arbeitet der Freiburger Jazzpianist mit Entwicklern aus der ganzen Welt zusammen. Einblick in sein Schaffen gibt er in der Konzertreihe Pyanook Lab.

Samen eines Löwenzahns fliegen durch einen dunklen Raum. An ihren flauschigen Schirmchen schweben sie viele Meter weit. Trotzdem berühren sie nie den Boden. Sie lösen sich in der Dunkelheit auf. Ganz so wie die akustischen Signale, unterkühlte, metallische Klänge, verhallen, die ihren Flug begleiten.

Ralf Schmid, 49, steht an einem Konzertflügel in seinem Studio. Der Jazzpianist, Professor an der Musikhochschule Freiburg, hebt und senkt seine Arme. Er schließt seine Finger zur Faust, öffnet sie, spreizt die Finger ab. Je nach Bewegung wächst oder welkt die Pusteblume, die den Samenstand des Löwenzahns trägt. Entsprechend verändern sich auch die Klänge, die er zuvor an seinem Konzertflügel eingespielt hat. Schmid steuert die Klänge mit zwei Datenhandschuhen, sogenannte "Mi.Mu data gloves". Entwickelt hat sie ein in London ansässiges Team aus Ingenieuren und Musikern. Sie bilden die technische Grundlage seines Musikprojekts Pyanook, das er im September 2017 beim Jazzfestival Freiburg erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt hat. Mit seiner Konzertreihe Pyanook Lab, deren Auftakt im Mai in Freiburg stattfand, geht er jetzt den nächsten Schritt.

Schmid erweitert in seinem Lab, englische Kurzform für Labor, sein Klavierspiel um eine visuelle Ebene. Sie verläuft parallel zur Musik. Dafür greift er auf eine Software zurück, die der Karlsruher Informatiker Tom Brückner zusammen mit Paul Wehner, einem Programmierer und Entwickler aus Los Angeles entwickelt hat. Beide traten damit bei einem Ideenwettbewerb auf dem South by Southwest (SXSW) im texanischen Austin, dem weltweit bekanntesten Festival für Musik, digitale Medien und Technologien, an – und entschieden ihn für sich.

Marble AR heißt diese Software. Die Abkürzung AR steht für Augmented Reality, also erweiterte beziehungsweise angereicherte Wirklichkeit. Mit ihr kann Schmid dreidimensionale Bilder in den Raum projizieren. Und zwar so: Die Bilder, darunter ein Baum, Asteroiden und die Pusteblume, hat der Lichtkünstler Pietro Cardarelli am Zentrum für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe entworfen. Cardarelli entwarf auch schon die psychedelischen Wolkenbilder für Schmids Pyanook-Premiere 2017.

Die Bilder befinden sich als silberne Linien auf einem Schaumstoff-Würfel, dem Merge Cube. Eine Kamera liest die Bilddaten ein. Der Aufnahmesensor eines Smartphones genügt dazu. Brückners Software wandelt sie anschließend in das räumliche Bild um, ähnlich einem Hologramm. Über eine Drahtlos-Schnittstelle, die sich auf jedem Handrücken seiner Datenhandschuhe befindet, koppelt Schmid die Bilder an seine Musik. Diese steuert er ebenfalls mit Handbewegungen. Jeder Bewegung ist ein akustischer oder visueller Effekt zugeschrieben. So verwebt Schmid den stofflich-physikalischen, akustischen und virtuellen Raum zu einer Einheit. Die Konzertbesucher sitzen mittendrin.

Im Anschluss an den konzertanten Teil stellt sich der Künstler den Fragen und Anmerkungen des Publikums. So bleibt auch der Werkstatt- und Laborcharakter gewahrt.

Termine: Freiburg, Humboldtsaal (Freiburger Hof), Fr, 22. Juni, 20 Uhr; Lörrach, Burghof, Mi, 10. Oktober, 20 Uhr
von Bernhard Amelung
am Fr, 22. Juni 2018

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