Berühmte Bildtafeln

Musée Unterlinden: Kunst mit Kindern

Das Musée Unterlinden zeigt berühmte Meisterwerke – und wie sie erhalten werden.

Vielleicht neun, zehn Jahre alt mag sie sein. Mit ernstem Blick guckt sie gebannt auf das Bild. Mit ihrem neugierigen Gesicht, umrahmt von blonden Locken, eine kleine, stille Gestalt im schwarzen Mäntelchen, sieht sie fast selbst aus wie ein Gemälde.

Ein Kind im Museum, das Kunst betrachtet? Das wäre nichts Ungewöhnliches. Was die Szene aber so besonders macht, ist das nicht gerade kindgerechte Kunstwerk, vor dem sie steht: Sie blickt auf die oberste Tafel des berühmten Isenheimer Altars mit drastischem Kreuzigungsmotiv, einem, das selbst uns Erwachsenen den Boden unter den Füßen wegzuziehen vermag.

Der Anlass für dieses Meisterwerk der Spätgotik liegt im Kleinen – und ist ein unerfreulicher dazu: Das Mutterkorn war es, ein Getreidepilz, der nach dem Verzehr von damit verunreinigtem Roggen zum Antoniusfeuer führte, einer Krankheit des Mittelalters. Der Antoniter-Hospitalorden nahm sich der Kranken an, die unsägliche Schmerzen litten. Ihnen zum Trost beauftragte das Antoniterkloster von Isenheim den Maler Matthias Grünewald und den Bildschnitzer Niklaus von Hagenau zwischen 1512 und 1516, einen Altar zu erbauen, so dass die Gepeinigten Trost fänden und vor ihm beten konnten, nach dem Motto: Seht her, hier leidet einer mindestens ebenso wie ihr.

Und wie er leidet, der Jesus am Kreuz, wir können die Augen nicht abwenden: Von der fahlen Farbe des Gemarterten, den im Schmerz gekrümmten Fingern, von den blauen Lippen und dem in Atemnot hochgezogenen Oberkörper, an dem sich jede Rippe einzeln abzeichnet. Von dem mit schwerem Nagel durchbohrten, angeschwollenen, blau gefärbten Fuß – kein Wunder, dass die Darstellung als eine der ergreifendsten und authentischsten der westlichen Kultur gilt.

Dabei ist das Musée Unterlinden – vorbehaltlich der lebensechten Kreuzigungsszene Christi – durchaus ein Museum für Jung und Alt, wie wir an den vielen Familien sehen, die durch das Gebäudeensemble schlendern, das alt und neu vereint, seit es 2015 von den Basler Architekten Herzog und Meuron komplett umgestaltet wurde. Es gibt das herrliche Kloster mit geschlossenem Innenhof, schmuckem Kreuzgang und Kapelle, die als Höhepunkt den Altar beherbergt. Die beiden alten, würdigen Bauten werden miteinander verbunden durch eine unterirdische Galerie, wo sich Kunstwerke des 19. und 20. Jahrhunderts von Schuler, Renoir und Monet finden. Im neuen Prachtbau, ausgekleidet mit Ziegelsteinen und Kupfer, ist passend dazu moderne Kunst inklusive der Dubuffets und Picassos zu Hause.

Großer Anziehungspunkt bleibt aber der Flügelaltar selbst, der wie ein riesiges Aufklappbild aus mehreren Bildtafeln mit biblischen Szenen besteht, die je nach Anlass geöffnet oder geschlossen werden konnten. Zwar ist der Altar nicht in seiner Urform zu besichtigen; aber durch die Aufteilung in drei, durch Tragekonstruktionen gehaltene Kunstwerke kann man die elf Bilder einzeln betrachten.

Ein weiterer Hingucker hängt an der Wand: Besonders Kinder stürzen dorthin und lieben es, die Flügelbilder des Altars am Minimodell auf- und zuzuklappen, so dass alle drei Varianten sichtbar werden. Dazu kommt der Audioguide, der auf Knopfdruck die passende Erklärung liefert.

Und noch eine weitere Attraktion gibt es: Seit vergangenem Jahr kann man mit etwas Glück den Restauratoren bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen. Wenn man eine der Wochen (etwa jede dritte) erwischt, an der das Museum selbst zur Werkstatt wird, kann man zusehen, wie die Kunsthandwerker Malschichten an den Bildtafeln vor Ort fixieren und die Firnisschichten abtragen – leider ist heute kein solcher Tag. Doch uns bleibt die Großartigkeit des Altars – und das ein oder andere lebende Kindkunstwerk, das davor im Anblick versunken verweilt.

Weitere Infos: Musée Unterlinden, Place Unterlinden, Colmar, täglich außer Di 9–18 Uhr, jeden ersten Do im Monat bis 20 Uhr; 13 Euro, 12–18 Jahre 8 Euro, darunter frei; http://www.musee-unterlinden.com
von Anita Fertl
am Fr, 15. Februar 2019

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