Nervenkitzel unter Tage

Höhlenforschertour im elsässischen Tellure: Abgleiten in steinerne Welten.

Ein Klick, Gottogott ist das dunkel, tiefschwarz. Und still, grabesstill. Es riecht feuchtkalt und steinig, die Kälte kriecht in alle Poren. Welt und Zeit stehen still, eine Sekunde, zwei Sekunden, drei Sekunden, dann gehen mit einem Klick die Stirnlampen wieder an, wie auf Kommando – zu gruselig ist so ein Selbstversuch, wie dunkel es tief unter der Erde ist, in der Silbermine von Tellure.

Höhlenforschertour heißt das, was uns heute ins Elsass gelockt hat. Dort, wo sich Bergleute seit 1549 in mühevoller Arbeit durch die Untertagewelt gegraben haben, wollen wir auf ihren Spuren wandeln. Doch erst einmal erinnert nichts an das 16. Jahrhundert. Im modernen, verglasten Gebäudekomplex direkt über der St. Jean Engelsbourg Mine, begrüßt uns Pascal, der die Führung leitet. Er erklärt auf Französisch im deutsch-englisch-Hand-und-Fuß-Sprache-Mix und stattet alle mit Overalls samt Helm, Gummistiefel und Klettergurt aus – los geht’s.

Ein Schwall Kühlschrankluft empfängt unsere Glühwürmchenparade. Nur die Stirnlampen erhellen den schrittweise dunkler werdenden Stollen, Lichtkegel wandern an den noch breiten Wänden entlang. Der Grund knirscht unter den Stiefeln, die Klettergurte klackern. "Da geht’s lang", Pascal fährt mit dem Finger den Parcours auf einer Wandtafel ab. Anno 1549 begann der Abbau der Silberader St. Jean, heute gebe es keine nennenswerten Erzvorkommen mehr. Dafür können Besucher einen kleinen Teil des Stollensystems, das sich auf zwölf Kilometer durch den Berg zieht, je nach Führung durchwandern oder durchklettern.

Nach einer Abzweigung wird’s richtig eng – nichts für klaustrophobisch Veranlagte oder Menschen ab einer gewissen Wohlbeleibtheit. Wir zwängen uns durch schmale Gänge, durch eine erstaunlich bunte, steinerne Pracht. Von Milchweiß bis zu erdigen Orangetönen reicht das Farbenspiel der Minerale, vereinzelt durchziehen türkisblaue Adern das Gestein. Dann öffnet sich eine Galerie, kurzes Verschnaufen. Pascal erzählt aus der wechselhaften Geschichte die Mine, von Schließungen und Wiedereröffnungen nach Kriegen, dass erst Silber, später Kupfer für Kanonenkugeln sowie Kobalt und Arsen abgebaut wurde. Stillgelegt wurde der letzte Stollen 1976.

Es geht tiefer hinein in den Berg, immer kniffliger wird der Weg und mündet in eine riesige Galerie, so hoch und tief, dass sich der Funzelstrahl im Dunkeln verliert. Jetzt beginnt der Kletterpart, eine Metallleiter führt senkrecht nach oben – und ist zum Glück mit stählernen Verstrebungen ummantelt. Glücklich und mit zittrigen Knien oben angekommen, sorgt ein Klettersteig, der einen schmalen Felsvorsprung entlangführt, für noch mehr Nervenkitzel. Nun heißt es Karabiner einklicken, das Atmen nicht vergessen. Die Hände klammern sich ans Seil, der Blick samt Lampenstrahl geht zu den Füßen, die sich langsam, Schritt für Schritt weitertasten. Rundherum nur Dunkelheit und das Gefühl von bodenloser Weite. Endlich tasten Hände und Füße sich ums Eck – geschafft.

"Habt ihr schon die Struktur der Wände bemerkt?", fragt Pascal. Nur ausgerüstet mit Hammer und Meisel haben die Bergleute im 16. Jahrhundert den Wänden ein Rippenmuster verpasst und die Stollen so um zwei bis 12 Zentimeter pro Tag vergrößert, je nach Gruppengröße und Manneskraft – unvorstellbar, dass für einen Teststollen ein Mann jahrelang in völliger Einsamkeit vor sich hinschaffte.

Unsere Tour neigt sich dem Ende zu, mit dem Höhepunkt zum Schluss: Auf einer Seilrutsche überwinden wir eine unterirdische Felsenschlucht – halb juchzend, halb ängstlich – ehe Pascal uns mittlerweile mutiger Gewordene zum Abschluss ins Abseilen einweist. Nacheinander gleiten wir durch die dunkle Tiefe, nehmen dabei meterweise Abschied vom größten von Menschhand geschaffenen, unterirdischen Hohlraum des Vogesenmassivs und treten nach einen kurzen Fußmarsch wieder ins Licht.

Weitere Infos: Höhlenforschertour "Grand Colonne", ab 8 Jahren, Dauer: 2 Stunden, Preis samt Ausrüstung: 32 Euro. Anfahrt: A 5 Richtung Norden, Ausfahrt Riegel Richtung Marckolsheim, Sélestat, Sainte-Marie-aux-Mines, Col des Bagenelles. Infos und Anmeldung: http//mehr.bz/hoehlentour
von anita fertl
am Fr, 25. Mai 2018

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