Theater

Sibylle Bergs „Und jetzt: die Welt! – am Wallgraben-Theater Freiburg

TICKET-INTERVIEW mit Sahar Amini, die ein Stück von Sibylle Berg inszeniert.

Es ist eine Premiere im doppelten Sinne, wenn im Freiburger Wallgraben-Theater ab Samstag das Stück "Und jetzt: die Welt! – Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen" von Sibylle Berg gezeigt wird (Termine und Tickets) . Die Regisseurin Sahar Amini, Jahrgang 1982, arbeitet erstmals mit dem Theater. Mit Dorothee Soboll sprach sie über die Überforderung durch die Gesellschaft und verschiedene Facetten des Ichs.

Ticket: Frau Amini, sagt es Ihnen etwas, das sogenannte Draußen?
Amini: Mit der Aussage des Titels kann ich auf jeden Fall etwas anfangen. Sobald ich morgens aufstehe und das Radio anmache, überfordert es mich, das Draußen, weil ich die Ereignisse nicht mehr sortiert bekomme. Etwa: Wie kaufe ich heute ein? Es muss fair sein, biologisch abbaubar, politisch korrekt. Und da ist eine neue Kriegsinformation, wie verhalte ich mich dazu? Flüchtlingshilfe – ich wollte doch noch ein Paket dort vorbeibringen. Außerdem habe ich Größe 38, sollte ich nicht langsam anfangen, Größe 34 zu haben? Zu dem Stück gibt es sehr viele Anknüpfungspunkte. Deswegen kommt Berg auch so schonungslos, direkt und nah an einen heran. In der Gänze, die das Ich in dem Stück darstellt, findet man mehr als einen Punkt, um anzudocken.
Ticket: Sie sprechen das Ich an, das Berg als Text für eine Person mit mehreren Stimmen beschreibt. Wie haben Sie das gelöst?
Amini: Frau Berg lässt die Zahl der Darsteller offen und verzichtet auch auf sonstige Regieanweisungen. Ich habe mich für drei Schauspielerinnen entschieden und gehe von einem gesplitteten Ich aus. Wir alle haben ganz viele Ichs in uns, stellvertretend habe ich drei Stimmen auf die Bühne gebracht.
Ticket: Können Sie die drei Ichs beschreiben, die Sie inszeniert haben?
Amini: Jede Facette hat einen eigenen Schwerpunkt, ohne das gemeinsame Ich zu verlieren. Ein Schwerpunkt sind die Liebe und der Kummer, den die große Liebe Lina bereitet. Der zweite ist die Halbschwester Gemma, die sich über das Shoppen definiert und sich dem Materialismus verschrieben hat. Der dritte ist Minna, Mitbewohnerin und beste Freundin, die mit hypergesunder Ernährung und Sportbesessenheit den Körperkult vertritt.
Ticket: Haben Sie vorher schon Erfahrung mit Sibylle Berg gesammelt?
Amini: Mit ihr als Theaterautorin nicht, aber mit dieser Textart. Es ist immer die Frage, wie man mit einem Fließtext umgeht, der keine Figuren festsetzt, bei dem die Regie absolut freie Hand darüber hat, wie die Komposition des Abends ist.

Ticket: Wie ist die Zusammenarbeit für das Stück entstanden?
Amini: Es war ein glücklicher Zufall. Ich kannte das Stück vorher schon. Als das Wallgraben-Theater auf mich zukam, dachte ich: Dazu fällt mir etwas ein. Ich finde es toll, Gegenwartsdramatik zu machen und dass sich das Theater aktuellen Stücken widmet, weil ich das überhaupt nicht selbstverständlich finde, sich so nah am Puls der Zeit aufzuhalten.
Ticket: Ist es eine Herausforderung, dieses Stück zu inszenieren?
Amini: Es ist eine große Aufgabe für die Produktion, für die Schauspielerinnen. Im Vorfeld habe ich die Stimmen verteilt, bin das sehr musikalisch angegangen, wie eine Komposition. Es findet viel chorisches Sprechen statt. Das gedrittelte Ich schmilzt auch immer wieder zusammen. Bei drei Leuten, die ein Ich spielen, muss man sich da sowohl in der Rollenfindung als auch in der Gestaltung herantasten. Es ist ein Puzzle.

Ticket: Setzen Sie Musik ein?
Amini: Ja, sie ist eine atmosphärische Unterstützung für das Ich, das allein zu Hause sitzt und Hochs und Tiefs erlebt. Von Marlene Dietrich bis Beastie Boys ist alles dabei.

Ticket: An wen richtet sich das Stück?
Amini: An alle. Das Ich ist der Mikrokosmos, der eine Gesellschaft wiedergibt. Deswegen kann sich darin jeder finden. Zentrales Thema ist die Überforderung durch die heutige Gesellschaft: leistungsorientiert, materialistisch im Informationszeitalter.

Termine: Freiburg, "Und jetzt: die Welt! – Oder: Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen", Wallgraben-Theater,
Premiere: Sa, 6. Feb., 20 Uhr; weitere Aufführungen: 10., 12., 13., 16. bis 20. und 23. bis 27. Feb., je 20 Uhr
von dso
am Fr, 05. Februar 2016

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