Skepsis gegenüber Macht und Rolle

ROMANVERFILMUNG: "Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 2" beschließt die kluge, düstere Kinoreihe nicht nur für junge Leute.

Der letzte Teil eines Kinofranchise-Unternehmens ist meist eine recht langweilige Angelegenheit. Die Charaktere sind vertraut, die Geschichte auserzählt und die Helden bestens gerüstet für die epische Schlacht zwischen Gut und Böse. Das Gemetzel beginnt, wird durch Rückschläge auf eine abendfüllende Spielfilmlänge gestreckt und findet mit dem spektakulären Ableben des Oberschurken seinen dramatischen Höhepunkt. Danach kehren die edlen Sieger nach Hause zurück und leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage, sofern sie nicht von einem Remake, Prequel oder Spin Off heimgesucht werden.

So könnte es auch Katniss Everdeen ergehen – der von Jennifer Lawrence gespielten, eloquenten Heldin von "Die Tribute von Panem". Über drei Folgen hinweg hat sie sich von dem tapferen Mädchen, das aus einem Beschützerimpuls heraus für ihre jüngere Schwester in die moderne Gladiatorenarena gestiegen ist, hin zu einer revolutionären Symbolfigur entwickelt, die der zynischen Diktatur den Kampf angesagt hat. Aber Suzanne Collins, Autorin der dreibändigen Romanvorlage, ist an vorhersehbaren Genremustern nicht interessiert und hat ihrer jungen Heldin nicht nur Mut, sondern auch Selbstreflexionsvermögen und eine tiefe Skepsis gegenüber autoritären Strukturen mit auf den Weg gegeben.

Die Schimmer der Hoffnung sind sparsam verteilt

Gerade hat Revolutionsführerin Coin (Julianne Moore) den Distrikt 2, der auf der Seite des Kapitols kämpft, bombardieren lassen und dabei zahllose Ziviltote in Kauf genommen. Ihre Rolle als revolutionäre Galionsfigur, die in Propagandavideos das Volk auf die Seite der Rebellion einschwört, füllt Katniss immer weniger überzeugend aus. Als der Sturm aufs Kapitol beginnt, schmuggelt sie sich an die Front, mit dem festen Vorsatz, den Präsidenten selbst zu töten, um weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Aber auch innerhalb des Rebellenlagers kann Katniss sich nicht mehr sicher fühlen. Coin hat in ihr längst eine konkurrierende Leitfigur erkannt, die ihrem Machtkalkül als Märtyrerin mehr nutzen würde denn als Überlebende. Damit sind die Grundlagen für ein Finale gelegt, in dem die Grenzverläufe zwischen Gut und Böse auf politischer wie persönlicher Ebene fast bis zur letzten Filmminute in Bewegung bleiben.

Vergleicht man diesen letzten "Panem"-Teil etwa mit dem Finale von Peter Jacksons "Hobbit", wo stundenlang Heerscharen von Orks als Inkarnation des Bösen abgeschlachtet wurden, wird die Qualität dieses außergewöhnlichen Franchise-Unternehmens noch einmal vor Augen geführt. Über vier Folgen hinweg hat "Die Tribute von Panem" seine Heldin durch einen komplexen emotionalen, politischen und philosophischen Diskurs geführt. Darin wurden die Grundfragen von Liebe und Loyalität genauso reflektiert wie die Machtmechanismen autoritärer Regimes, der Voyeurismus der modernen Mediengesellschaft, das zunehmende ökonomische Gefälle in der globalisierten Welt, die Rolle der Propaganda in Zeiten des Kriegs oder die moralischen Verwerfungen von Bürgerkrieg und Revolution.

Kein kleines Programm für eine Kinoserie, die sich als popkulturelles Event vornehmlich an jugendliche Zuschauer richtet. Dabei hat sich die dystopische Geschichte zum Ende hin deutlich verdüstert und auch im letzten Teil sind die Schimmer der Hoffnung sparsam verteilt. Man spürt im Film deutlich, dass sich Collins’ Geschichte von den Propagandaschlachten und Kriegsbildern in Sarajevo und Bagdad genährt hat. Dabei wird das große, kriegerische und die Gesellschaft umwälzende Ganze immer wieder mit den persönlichen Entscheidungen der Heldin abgeglichen, die ihre Skepsis gegenüber der Macht und ihre eigene Rolle in der Arena bis zum Schluss bewahrt.

Und mit diesem Abgleich zwischen einem weltgeschichtlichen Status Quo, der wenig Anlass zur Hoffnung gibt, und den individuellen Handlungsmöglichkeiten ist "Panem" sehr nah am Lebensgefühl einer jungen Generation, die angesichts düsterer Zukunftsprognosen nach eigenen Wegen sucht.

"Die Tribute von Panem – Mockingjay Teil 2" von Francis Lawrence läuft morgen an, Vorpremieren heute Abend. (Ab 12)
von Martin Schwickert
am Mi, 18. November 2015

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