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Quirin Privatbank

Strategie emotional durchhalten

Fr, 08. Februar 2019 um 09:43 Uhr

Anzeige Prof. Dr. Stefan May, Leiter Anlagemanagement der Quirin Privatbank, über die Lehren aus 50 Jahren Finanzmarktforschung und was das für Anleger bedeutet.

Prof.Dr. Stefan May  | Foto: Sven Serkis
Prof.Dr. Stefan May Foto: Sven Serkis
Prof. May, die Zuspitzung der Finanzkrise 2008/2009 mit dem Aus für Lehman Brothers liegt gut zehn Jahre zurück. Was ist für Ihr Geschäft die wichtigste Lehre aus diesem Jahrhundertereignis?

Jahrhundertereignis? Hier wäre ich mit dem Superlativ eher vorsichtig. Heftige Kurseinbrüche hat es auch in der Vergangenheit schon des Öfteren gegeben und wird es wieder geben. Denken Sie nur an die Technologieblase im Jahr 2000. Doch zu Ihrer Frage: Für mich ist die wichtigste Lehre tatsächlich die, dass sich die Anlegermentalität – wenn überhaupt – nur äußerst schwer verändern lässt. Wir müssen uns auf eine andauernde Auseinandersetzung mit dem psychologischen Investmentzyklus unserer Kunden einrichten, d.h. den nur schwer zu bändigenden emotionalen Drang, im Börsentief panikartig zu verkaufen und im Hoch euphorisiert zu kaufen. Ein gegenteiliges Anlageverhalten können und werden wir nicht erreichen.

Zumal dies erfolgreiches Market-Timing wäre, welches – wie die Finanzmarktforschung zweifelsfrei gezeigt hat – langfristig nicht funktioniert. Was eine wirklich gute Beratung dagegen durchaus erreichen kann, ist, mit dem Kunden eine Anlagestrategie zu verabreden, welche er – rein wirtschaftlich betrachtet – auch in Krisenzeiten durchhalten kann. Und ihn anschließend fortlaufend so zu informieren, dass er diese Strategie tatsächlich auch emotional durchhält und eben nicht in die Falle des psychologischen Investmentzyklus tappt – die übrigens auch aktuell wieder zuzuschnappen droht.

Nie war der Performancegegensatz von US-Aktienmärkten und anderen Aktienmärkten der Welt größer als im laufenden Jahr. Das liegt vor allen an einer Handvoll großer Technologiewerte. Muss man heute in US-Technologieaktien übergewichtet sein oder zeichnet sich hier die nächste Blase ab?

Wir raten grundsätzlich von punktuellen Schwerpunktsetzungen in den Portfolios ab. Letztlich sind dies immer Spekulationen auf bestimmte Entwicklungen und diese können aufgehen oder eben auch nicht. Das ist für Kunden manchmal schwer zu akzeptieren, weil die entsprechenden Szenarien in der Regel sehr schlüssig und überzeugend klingen. Tatsächlich verlaufen die Entwicklungen aber nicht so rund, wie sie sich nachträglich immer darstellen. Oder, um ein aktuelles Modewort zu gebrauchen: Sie gehorchen keinem "Narrativ". Ich persönlich würde sogar so weit gehen, zu behaupten: Je überzeugender die Investmentstory klingt, desto größer das Risiko, desto mehr Vorsicht ist angebracht. Also: Finger weg von punktuellen Schwerpunkten in den Depots. Das gilt auch für die genannten US-Technologiewerte.

Spielen heute politische Unsicherheiten an den Kapitalmärkten eine immer größere Rolle? Erinnert sei nur an Stichwörter wie "Handelskrieg" oder "Schwächung internationaler Organisationen von EU bis WTO".

Wir alle neigen dazu, die Vergangenheit als harmonischer anzusehen, als sie tatsächlich war. Dadurch werden die Risiken, die es auch in der Vergangenheit reichlich gab, unangebracht kleingeredet. Denken Sie an die Kubakrise vom Oktober 1962. Da stand die Welt kurz vor einem atomaren Schlagabtausch! Geringere Unsicherheiten in den guten alten Zeiten? Ich wage das zu bezweifeln.

Die Dekade seit dem Herbst 2008 war von einer extrem expansiven Notenbankpolitik geprägt, die im Euro-Raum ab 2019 – wie bereits zuvor in den USA – zurückgefahren werden dürfte. Registrieren Sie vor diesem erneuten Umbruch einen erhöhten Beratungsbedarf Ihrer Kunden? Wenn ja, in welcher Hinsicht?

Die expansive Nullzinspolitik der EZB selbst ist es, welche einen hohen Beratungsbedarf erzeugt; weniger eine mögliche Zinswende 2019, die alles andere als sicher ist. "Vom risikolosen Zins zum zinslosen Risiko" – dieses Zitat unseres Chefvolkswirtes umschreibt das aktuelle Anlegerproblem und damit auch unseren Beratungsauftrag: Die Anleger müssen begreifen, dass sie gewisse Finanzmarktrisiken eingehen müssen, nur um ihr Vermögen zu erhalten. Und hier ist es unsere Aufgabe, deutlich zu machen, dass die entscheidenden Erfolgsfaktoren einer Finanzmarktanlage zunächst eine fundierte Anlagestrategie und dann die "handwerkliche Kärrnerarbeit" des Portfoliomanagements sind – und eben nicht die seherischen Fähigkeiten irgendwelcher Marktpropheten und Star-Portfoliomanager. Dies ist letztlich das zentrale Ergebnis einer über 50-jährigen unabhängigen Finanzmarktforschung.


Ist vor dem oben angesprochenen Hintergrund aktuell ein erhöhter Informations- und Orientierungsbedarf auch bei vermögenden Privatkunden zu spüren, die noch nicht Kunde Ihrer Bank sind? Können Sie davon profitieren?

Der oben beschriebene Beratungsschwerpunkt gilt grundsätzlich für alle Anleger. Was die Investmentkultur anbelangt, ist Deutschland noch fast im Zustand eines Entwicklungslandes. Wir hoffen natürlich, dass uns das beschriebene Marktumfeld der Nullzinsen dabei hilft, unseren wissenschaftlich fundierten Ansatz weiter zu verbreiten.

Wie wird bei Ihnen der Begriff der ganzheitlichen Beratung eigentlich ganz konkret mit Leben erfüllt?

Ich möchte es mal so ausdrücken: Für die wenigsten Menschen sind Geld und Vermögen ein reiner Selbstzweck. Vielmehr sollen damit bestimmte Ziele erreicht werden. In den meisten Fällen sind diese Ziele noch nicht einmal klar festgelegt – trotzdem aber sind sie vorhanden. Unsere Berater versuchen nun, diese Ziele so weit wie möglich auszuloten. Denn erst dann kann eine sinnvolle, auf genau diese Ziele zugeschnittene Anlagestrategie formuliert werden. Das Wertpapierportfolio des Kunden ist dann der Motor, der die Kundenstrategie antreibt. Die Aufgabe des Anlagemanagements besteht darin, diesen Motor am Laufen zu halten.

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