Interview: Erziehung und Medien

Was tun, wenn bei Kindern nur noch das Smartphone zählt?

Wenn der Nachwuchs nur noch auf sein Smartphone starrt, reagieren Eltern häufig mit Verboten. Doch es gibt nicht nur eine Lösung: Für Eltern und Kinder ist gute Medienerziehung oft ganz schön schwierig.

Verbote und zeitliche Begrenzungen: Für Patricia Cammarata, die zum Thema Medienerziehung ein Buch geschrieben hat, sind solche starren Regelungen der falsche Ansatz. Gute und entspannte Medienerziehung geht für die Autorin und Bloggerin anders.

Der Sonntag: Frau Cammarata, Ihr Buch heißt "30 Minuten, dann ist aber Schluss!" Warum?



Weil genau diese starren Zeitgrenzen das Patentrezept der Medienerziehung sind. So einfach ist es aber nicht. Es gibt ja nicht die Medien oder das Internet, sondern unterschiedliche Plattformen und Inhalte. Der richtige Umgang mit Medien hängt von verschiedenen Faktoren ab. Das sind die Inhalte – aber dazu kommen das Alter des Kindes, sein Entwicklungsstand und die Familiensituation. Es macht einen Unterschied, ob ältere Geschwisterkinder im Haus sind oder nicht. Das alles in die simple Formel "30 Minuten, dann ist Schluss" zu pressen, greift zu kurz.

Der Sonntag: Warum gibt es dann trotzdem eine solche Sehnsucht nach einfachen Lösungen?



Weil es für die Eltern eine pragmatische, zeitsparende Lösung ist – gerade dann, wenn die nicht mit dem Internet aufgewachsen sind. Es ist aber nicht möglich, den Umgang mit Medien allein über den Faktor Zeit zu regeln. Selbst 30 Minuten Horrorfilm sind schon zu viel.

Der Sonntag: Viele Eltern setzen auf technische Sperren, Überwachungs-Apps oder Filter. Das spielt in Ihrem Buch keine Rolle. Warum?

Weil das höchstens eine Behelfslösung für jüngere Kinder ist – spätestens mit sieben, acht Jahren stößt man da an die Grenzen. Es gibt ja Lösungen wie Youtube Kids. Aber da sind dann eben auch die ganzen populären Influencer nicht zu finden, die Kinder ab einem gewissen Alter sehen wollen. Und gleichzeitig sind Kinder oft in der Lage, die technischen Sperren auszuhebeln. Die Tutorials dafür gibt es ja bei Youtube. Davon abgesehen finde ich es unmoralisch, Kinder ungefragt und ohne ihr Wissen zu überwachen.

Der Sonntag: Wenn es nicht Sperren sind, und auch nicht die Zeitlimits – wie geht Medienerziehung dann?

Das muss über ein Gespräch gehen, über Beziehungsarbeit – und darüber, dass ich mich mit dem beschäftige, was meine Kinder da machen. Das fängt ganz klassisch bei einem Bedürfnis der Kinder an: "Ich will dies und jenes sehen, in meiner Klasse spielen alle das." Dann kann man sich das zusammen anschauen und überlegen, wie man damit umgeht.

Der Sonntag: Was, wenn ich die Spiele oder Youtube-Kanäle, die meine Kinder nutzen wollen, doof finde?



Das kommt darauf an. Ist das eine Geschmacksfrage oder habe ich pädagogische Bedenken? Mir passiert das selbst auch: Meine Kinder schauen irgendwelche Videos und lachen sich kaputt – und ich sehe mir das an und finde da nichts lustig dran. Aber ich bin halt auch nicht mehr acht. Und dann ist die Frage nicht, ob etwas lustig ist – sondern eher, ob etwas harmlos ist oder nicht.

Der Sonntag: Wo hört der Spaß bei Ihnen dann auf?

Das ist eine Wertefrage. Geht es da um Pranks (Witze), die wirklich gemein sind, werden da problematische Männer- und Frauenbilder transportiert, wird zum Beispiel das Wort "behindert" als Schimpfwort benutzt? Das sind alles Bedenken, die ich als Erwachsener mit Argumenten untermauern und worüber ich mit meinen Kindern dann diskutieren kann. Jüngere hören dann vielleicht darauf, Ältere rollen eher mal mit den Augen – aber ich kann eben konkret sagen, was mich stört, statt nur "Ich find das doof!" zu sagen. Das demonstriert dem Kind dann auch, dass ich es ernst nehme.

Der Sonntag: Sich so intensiv mit Medieninhalten zu beschäftigen, klingt ganz schon aufwendig.

Zeit kostet das auf alle Fälle. Aber für viele Themen ist es ganz normal, dass wir Zeit investieren. Selbst wenn wir uns einen neuen Toaster kaufen, recherchieren wir dazu ein paar Stunden – wieso sollten Toaster wichtiger sein als Interessen unserer Kinder?

Der Sonntag: Ersetzt dieser Ansatz Regeln – oder geht es nicht ohne?

Ganz ohne Grenzen geht es nicht. Wobei ich zwischen Regeln und Grenzen unterscheide. Bei Regeln geht es darum, wie viel Mediennutzung wann erlaubt ist. Und diese Regeln kann man immer wieder neu aushandeln. Das verstehen Kinder auch, sogar die jüngsten. Grenzen sind eher eine Haltungs- oder Wertefrage – Grundprinzipien wie ein respektvoller Umgang miteinander, die für uns Erwachsene unverhandelbar sind.

Der Sonntag: Apropos flexible Regeln: Jetzt gerade in der Corona-Krise dürfen ja viele Kinder mehr Medien nutzen – weil sie mehr zu Hause sind. Was würden Sie da raten?

Produzieren ist besser als konsumieren und ich würde dementsprechend Angebote suchen, an denen Kinder Spaß haben. Stop-Motion-Apps, Scratch-Tutorials, Malen auf einem Tablet. Man findet sehr schnell Angebote, die den Interessen und dem Alter des Kindes entsprechen.

Der Sonntag: Ist diese Art der Medienerziehung eine neue Herausforderung?

Es ist nicht wirklich neu. Kinder schauen heute im Schnitt noch immer 90 Minuten Fernsehen pro Tag. Da ist mein Eindruck aber, dass das inzwischen gar nicht mehr diskutiert wird, weil Fernsehen längst akzeptiert ist.

Der Sonntag: Im Gegensatz zu Youtube und Videospielen...

Genau. Diese Medien sind für viele Erwachsene unbekannt und undurchschaubar. Und das macht uns Angst, weil wir es nicht einschätzen können.

Der Sonntag: Versperrt uns diese Angst den Blick auf die guten Seiten dieser neuen Medien?

Ja, total. Dabei wäre das optimal: Dass man seine Vorbehalte und Vorurteile weglässt und sich anschaut, was Kinder da mit den Medien eigentlich machen.

Das Gespräch führte Tobias Hanraths (dpa)


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von Tobias Hanraths
am So, 26. April 2020 um 07:00 Uhr

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