Interview

Wie der öffentliche Parcours der Art Basel aufgebaut ist

22 Stationen am Basler Münsterhügel bilden den öffentlichen Parcours der Kunstmesse Art Basel. Mit dabei: Ai Weiweis "Iron Tree". Über sein Konzept spricht Samuel Leuenberger im Interview.

Der Projektraum Salts im Basler Vorort Birsfelden hat Samuel Leuenberger den Ruf eingebracht, einer der innovativsten Kuratoren für zeitgenössische Kunst in der Schweiz zu sein. Seit 2016 kuratiert er auch den Parcours der Art Basel, eine für Besucher kostenlose Plattform, die die Basler Innenstadt mit zeitgenössischer Kunst bespielt. Heuer gibt’s 22 Stationen um den Münsterhügel, an denen Leuenberger ein ähnliches Konzept verfolgt wie im Salts. Michael Baas hat nachgefragt.

BZ: Herr Leuenberger, Sie haben schon in einem Auktionshaus und als Unternehmensberater gearbeitet. Hilft das beim Parcours?
Leuenberger: Zugegeben: Ich habe einen bunten Background, habe in fast allen Metiers um die zeitgenössische Kunst gearbeitet. Und diese Bögen zwischen dem kommerziellen und dem nichtkommerziellen Kunstbetrieb geschlagen zu haben, hilft wirklich.

"Unser Anliegen ist es, Aha-Momente zu kreieren"

BZ: Warum?
Leuenberger: Der Parcours ist angewiesen auf Projekte der Galerien, die an der Art Basel teilnehmen. Ich kann als Kurator zwar Künstler einladen, aber bewerben müssen sich die Galerien. Alle Parcours-Künstler – außer die der Parcours Night – haben eine Verbindung zu einer Galerie im Hauptsektor. Das ist die Vorbedingung, die ich habe. Vor dem Hintergrund ist es ein Vorteil zu wissen, wie Galerien funktionieren.

BZ: Der Parcours soll sich ortsspezifisch mit Vergangenheit und Gegenwart beschäftigen. Wie lösen Sie das dieses Jahr?
Leuenberger: Das ist eine große Herausforderung. Wie gehe ich mit den historischen Aspekten um? Für was steht ein Gebäude, ein Ort, eine Institution? Solche Fragen haben mich wirklich beschäftigt. Dazu kommt, dass es klare Erwartungen der Projektpartner gibt, dass inhaltliche Bezüge zu ihren Orten geschaffen werden. Fast 70 Prozent der Parcours-Künstler sind daher schon im Vorfeld gekommen und mit mir durch das Gebiet gelaufen und wir haben versucht, Orte zu finden, die einen spannenden Link eröffnen.

BZ: Gibt’s eine rote Linie im Parcours?

Leuenberger: Die aktuelle Ausgabe porträtiert vor allem intime Erfahrungen, in denen Künstler Wahrheiten, die ihre tägliche Erfahrung betreffen, in Werken verarbeiten, die sich durch den künstlerischen Eingriff in die DNA der Stadt einfügen. Und wir haben auch einige Künstler, die im Rahmen des Parcours’ wirklich neue Arbeiten geschaffen haben.
Eine interaktive Karte der 22 Stationen, die Namen der Künstler und Informationen zur Parcours Night am 17. Juni finden sich hier: mehr.bz/artparcours17

BZ: Unter den Namen sticht Ai Weiwei ins Auge. Wo ist der Link zwischen seiner Skulptur und dem Münsterplatz?
Leuenberger: Ai Weiwei arbeitet schon seit Jahren an dem "Iron Tree". Das Werk basiert auf einer älteren Arbeitsgruppe von Baum-Skulpturen. Wir wussten, dass die Arbeit zum Parcours fertig wird und fanden es super, die Skulptur allein auf dem Platz zu zeigen in Kombination mit den großen vollgewachsenen Baumgruppen – eine so stoische, stille, aber doch starke Arbeit auf diesem Platz zu haben, ergibt einen faszinierenden Kontrast.

BZ: Eine andere Arbeit "Site of the Fall – Study of the Renaissance Garden" des in London lebenden iranischen Künstlers Reza Aramesh verteilen Sie auf drei Standorte. Was steckt dahinter?
Leuenberger: Arameshs Marmorskulpturen interpretieren Bilder, die er in Medien findet von Leuten, die gefangen waren, auf der Flucht sind oder aufgehalten worden an einer Grenze. Man fragt sich zunächst, ob das klassisch die Verehrung einer Persönlichkeit ist oder eine drastische, dramatische Darstellung von Menschen in Not. Die Idee ist, diese an verschiedenen Ort zu zeigen, und zwar im Antikenmuseum im klassischen Kontext, als Spiel mit der Tradition, vor dem Zivilgericht, vor das viele Leute wegen dramatischer Erfahrungen kommen und als öffentliche Skulptur unter der Wettsteinbrücke.

BZ: Erschließen sich diese Assoziationen spontan überhaupt?
Leuenberger: Ich denke, bei Arameshs Skulpturen, bei denen noch Augen oder Hände verbunden sind, kann jeder wahrnehmen, dass etwas nicht stimmt. Eines unserer Anliegen ist es, solche Aha-Momente zu kreieren und so auch das weniger kunstaffine Publikum zu interessieren.

BZ: Andere Arbeiten knüpfen an die Basler Brunnen an, die von Katinka Bock oder Sophie Nys zum Beispiel. Welche Überlegungen stecken dahinter?
Leuenberger: Das sind zwei verschiedene Prozesse. Sophie Nys bespielt zehn Brunnen mit Wasserkanistern. Es kommt mir entgegen, dass endlich jemand die Basler Brunnen wahrnimmt. Katinka Bock hatte eine andere Idee. Als wir dann hier rumliefen, haben wir unter der Wettsteinbrücke einen riesigen toten Fisch im Rhein gesehen. Daraus entstand die Idee, eine Fontäne in Fischform zu machen. Dann haben wir dafür einen nicht gebrauchten Brunnen gefunden auf dem Areal einer Privatfirma. Da entwickelte sich die Idee weiter zu der Parasit-Fontäne, die einem anderen Brunnen das Wasser abzapft, um zu leben.

BZ: Im Gymnasium am Münsterplatz platzieren Sie eine Arbeit des schwedischen Duos Hans Berg und Natalie Djurberg, da geht’s um Lust, um Begehren und Schule. Soll das an dem Ort provozieren?
Leuenberger: Nathalie Djurberg ist bekannt für ihre Animationen. Ihre Arbeiten provozieren generell ein bisschen. Der Parcours zeigt eine multimediale Arbeit über Fantasien und Tabus und sie waren total angetan von der Idee, das in einem Schulzimmer zu machen, an einem Ort, an dem sich Teenager versammeln und sich kennenlernen, aber wir haben sie nicht eingeladen, um zu provozieren.

BZ: Auch der Singener Digitalkünstler Markus Selg ist im Parcours vertreten. Wie passt digitale Kunst ins Konzept?
Leuenberger: Sie passt schon deshalb, weil viele zeitgenössische Künstler digitalen Medien nutzen. Auch Reza Aramesh fräst seine Marmorskulpturen digital. Das Digitale ist integriert in fast alle Werke. Das ist schon rein medial Teil des heutigen Kunstschaffens. Markus Selg ist aber vor allem deshalb interessant, weil er seine Zeichnung und Collagen digital aufbaut und mit der Projektion einer grünen Fläche auf die Mauer eines Privathauses, Grenzen überschreitet, die Linie zwischen privat und öffentlich neu zieht.

BZ: Bietet der Parcours einen Überblick über die zeitgenössische Kunst?
Leuenberger: Das ist so, aber das ergibt sich fast zwangsläufig. Im Endeffekt bietet der Parcours 22 kleine Einzelausstellungen zur zeitgenössischen Kunst.

BZ: Welche Rolle spielt das Moment des Performativen? Das wird ja auch in der Bildenden Kunst zunehmend wichtiger.
Leuenberger: Im Wochenprogramm taucht es nur vereinzelt auf. Es ist einfach schwierig in einem Parcours, der von 11 bis 21 Uhr bespielt wird. Aber die Beobachtung, dass das Performative in der Bildenden Kunst immer wichtiger wird, ist richtig. Wir bekommen zunehmend Kunst, die sich bewegt, ob durch Leute oder weil sich die Konditionen verändern. Das ist fast alltäglich und macht die Abgrenzungen zwischen Kunst und Theater immer diffuser.
Art Basel: 15. bis 18. Juni, 11–19 Uhr.
Der Parcours ist bereits zu sehen, täglich 11–21 Uhr, er kostet keinen Eintritt.

Kunstfieber am Rheinknie

Der Kunstmarkt schrumpft. Die Umsätze im weltweiten Kunsthandel sind 2016 laut eines Reportes, den die Art Basel und die Großbank UBS in Auftrag gegeben haben, im Vergleich zu 2015 um elf Prozent auf weltweit noch 56,6 Milliarden Dollar gesunken. Die Organisatoren der 48. Art Basel sorgt das gleichwohl nicht. Angesichts des mit Biennale und Documenta ereignisreichen europäischen Kunstjahres erwarten sie gar zusätzliche Besucher aus Amerika und Asien. 2016 verzeichnete die Kunstmesse 95 000 Besucher und zumindest die Galerien, das Rückgrat der Messe, zeigen keine Ermüdungserscheinungen. Auf der aktuellen, von Dienstag an für geladene Gäste und von Donnerstag an für das breite Publikum geöffneten Art sind 291 Galerien aus 34 Staaten vertreten; diese verteilen sich auf verschiedene Sektoren, darunter die kuratierten Bereiche Unlimited und den Parcours. Auf dem Messeplatz ist zudem ein interaktiver Jahrmarkt der Schweizer Künstlerin Claudia Comte aufgebaut.

Dazu kommen eine Reihe von Parallelmessen, die sich im Fahrwasser der Art etabliert haben und ihrerseits Publikum anlocken. Dazu gehören die "Liste", die als Entdeckermesse für neue und mittlere Galerien mit dem Schwerpunkt junge Kunst ein wichtiger Satellit geworden ist, die "Scope" der New Yorker Scope Foundation, die das poppigere Element vertritt, die Design Miami/Basel als Plattform für modernes Design, die Voltashow oder die selection artfair. Inzwischen hat mit "Photo Basel" auch eine Fotokunstmesse Fuß gefasst. Am Rheinknie jedenfalls erreicht das Kunstfieber bis zum 18. Juni allemal hohe Temperaturen.
von alb
am Di, 13. Juni 2017 um 00:00 Uhr

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