Theateraufführung

Wie Pubertiere Rechtsradikale werden

Das Jugendtheater Babel von Baal Novo brachte den Roman "Die Welle" im Schlachthof Lahr auf die Theaterbühne. 15 Schüler von Lahrer Schulen sind daran beteiligt.

Und jetzt alle: "Macht durch Disziplin, Macht durch Gemeinschaft, Macht durch Handeln. Für die Welle!" – Lehrer Daniel Schröder, gespielt von Adrian Lanzenstiel, hat seine Schülerinnen und Schüler schon nach wenigen Projektstunden auf zackige Linie gebracht. Sein Experiment: Zeigen, dass der Mensch auch heute noch, nach den bitteren Erfahrungen des Faschismus an der Macht verführbar ist.

Das junge Theaterprojekt existiert seit vier Jahren

15 Jugendliche, Schülerinnen und Schüler von Lahrer Gymnasien und der Realschule Ichenheim haben im Jungen Theater von Baal Novo eine aktuelle Variante des Theaterstücks "Die Welle" von Reinhold Tritt einstudiert und am Mittwochabend auf der Bühne des Kultur- und Jugendzentrums Schlachthof in Lahr aufgeführt. Das junge Theaterprojekt "Babel" existiert in Lahr seit vier Jahren.

Die "Welle" hat ihren Ursprung in Amerika, dort hatte der Lehrer Ron Jones 1967 tatsächlich demonstriert, wie ein wilder Schülerhaufen schnell zu einer im Wortsinn schlagkräftigen Truppe geformt werden kann, die Andersdenkende ausschließt und faschistoide Züge annimmt. Durch einen Roman, Filme und Theaterstücke ist die "Welle" weltweit zu einem Bühnenschlager geworden und geblieben. "Das Thema Verführung ist ja brandaktuell", sagt Jennifer Rottstegge, Leiterin von Babel. "Wir erleben eine rechte Welle in ganz Europa. Tunlichst vermeiden die sprachlich aktualisierten Texte allerdings Anspielungen auf Bewegungen oder Parteien, die derzeit auf der nationalen oder völkischen Welle reiten.

Der Lehrer formt aus Schülern eine willige Gefolgschaft

Doch die Botschaft ist klar: Aus Spaß und Spiel kann bitterer Ernst werden. "Eh nee – nicht schon wieder Nazis" – die Weigerung der Schülerinnen und Schüler, sich mit der Geschichte des "Dritten Reiches" zu beschäftigen, wird für den Lehrer zum Ausgangspunkt, aus dem Haufen nölender Pubertiere eine willige Gefolgschaft zu formen.

Durch straffe Regeln, einheitliche Grußform und Kleidung sowie dem Gruppennamen. Nach dem Motto: Die Welle ist alles, der Einzelne ist stark durch die Welle. Und staunend registriert ein zuvor gemobbter Schwächling wie Andreas, dass er durch besonderen Gehorsam und Eifer zum Helden aufsteigen kann, der verbotenerweise das Welle-Zeichen an Wände sprüht und sich selbst zum Leibwächter von Führer Schröder ernennt.

Es wird heftig geschrien

Auf der anderen Seite treibt die Gleichschaltung den Spaltpilz in persönliche Beziehungen: Marie (Lilli Lüftner) verweigert das weiße Hemd der Bewegung und verkracht sich mit Freundin Xenia (Leonie Schuhmacher), die zunächst zur Hardlinerin wird und später in den Verdacht gerät, Verräterin zu sein. Es wird laut, es wird dramatisch und die expressiven Talente der jugendlichen Akteure kommen in geradezu hysterischen Gruppenszenen gut zur Wirkung. Im Klartext: Es wird heftig geschrien, aber auch in ruhigen nachdenklichen Gesprächen kritische Charaktere dargestellt.

Und Widerstand wird in die Tat umgesetzt, auch gemeinschaftlich. Und damit offenbart sich ein Grundproblem des Stückes von Anfang an: Gemeinschaft, Zusammenhalt, ein gemeinsames Ziel und selbst einheitliche Kleidung sind nicht per se verwerflich. Auch "Fridays for Future" braucht Regeln und Abitur ist nur mit einer gewissen Disziplin zu schaffen.

Wo liegt der Unterschied zwischen gut und böse?

Wo die Unterschiede zwischen "böser" Kadertruppe und "guter" Pfadfinder-, Jugend- oder Sportgruppe, zwischen Hitlerjugend und christlicher Jungschar liegen, erklärt "die Welle" nicht. Und so bleibt der verzweifelte Alexander ratlos, als der Lehrer das außer Kontrolle geratene Spiel auf die Spitze treibt und dann beenden will: In sein altes Dasein als Weichei will Andreas nicht zurück. Eine Fascho-Welle wäre aber doch nicht die einzige Alternative für ihn. Trotzdem: Verdienter Premierenapplaus und Ermutigung für junge engagierte Akteure und Theaterpädagogin Florence Hermann für Drehbuch, Regie und Bühnenbild.
Zur Info

Das Theaterstück "Die Welle" wird heute Abend, 5. Juli, 19 Uhr noch einmal im Schlachthof Jugend und Kultur, Lahr, Dreyspringstraße 16, aufgeführt.
von sie
am Fr, 05. Juli 2019 um 16:02 Uhr

Badens beste Erlebnisse