Jazz

Colin Vallon Trio beim Artisse-Festival in Merzhausen

TICKET-INTERVIEW: Der Pianist Colin Vallon über Vergänglichkeit als Thema hochkonzentrierter Musik.

Der Lausanner Pianist Colin Vallon ist einer der vielseitigsten jungen Schweizer Jazzmusiker. Am Samstag, 14. März, kommt er mit Bassist Patrice Moret, neuem Schlagzeuger und seinem zweiten ECM-Album "Vent" nach Merzhausen. "Vent" verblüfft mit einer Musik der entdeckenden Konzentration, sachten Bewegungen und erstaunlichen Klangdetails. René Zipperlen hat mit Vallon gesprochen.

Ticket: Die Musik auf "Vent" klingt nach Werden, Vergehen und Abschied. Das signalisieren auch die Titel: "Cendre" (Asche), "Fade", "Immobile", "Le Quai", "Goodbye", "Le Vent" oder "Styx" – der Fluss der griechischen Unterwelt.
Vallon: Das war kein Konzept, aber viele Stücke sind geprägt von Ereignissen, die viel mit Vergehen, Tod und Wehmut zu tun haben. Ich wollte aber kein depressives Album. Darum hat mir "Le Vent" als Titel sehr gut gefallen: Die Zeit weht durch alles hindurch. Das Vergehen ist eine Tatsache, der Wind ist keine romantisch aufgeladene Vorstellung, eher ein Naturphänomen.
Ticket: Manche Stücke klingen asiatisch inspiriert, wenn man etwa an "Rouge" denkt mit dem präparierten Klavier oder der Perkussion, die an Klangschalen erinnert.
Vallon: Uns drei eint die Faszination an untemperierten Klängen, am Unreinen, an der mikrotonalen Reibung. Das kommt natürlich aus dem Osten, der arabischen Musik mit ihren Vierteltönen oder der japanischen Gagaku-Musik oder auch indischen Ragas mit ihren untemperierten Tonleitern. Diese asiatischen Einflüsse beziehen sich aber mehr auf die Klänge, weniger auf die Stilrichtung.
Ticket: Julian Sartorius macht an den Drums etwas Ähnliches wie Sie am Klavier: Er hört sehr in die Klänge hinein, experimentiert mit Präparierung und ist sehr frei im Umgang mit Pulse und Beat. Stücke wie "Le Vent" beginnt er ganz ohne festen Rhythmus.
Vallon: Julian hat eine ungeheure Musikalität, und wie er sich in den Klang, in die Musik einhört und positioniert, kommt uns sehr entgegen. Er stellt den Klang absolut in den Dienst der Komposition.
Ticket: Arbeiten Sie mit festen Kompositionen oder entwickelt sich viel im Studio?
Vallon: Ich habe lange versucht, sehr offen zu komponieren, nur Melodie und Akkorde, vielleicht einmal eine kleine Basslinie. Mittlerweile ist es präziser geworden. Ich versuche immer, meine Klangvorstellung konkret auszudrücken. Dann probieren wir es aus, und manchmal merkt man erst im Zusammenspiel, dass etwas zwar funktioniert, aber nicht sehr interessant ist. Dann versuchen wir es ganz neu. Jeder bringt dabei eigene Ideen ein.
Ticket: Wie hat sich Trio durch den Wechsel am Schlagzeug verändert?
Vallon: Samuel Rohrer war ein sehr expressiver und zum Teil sehr explosiver Schlagzeuger. Das Trio hat sehr viel von der Interaktion gelebt, der Veränderung von Konzert zu Konzert, seine Rolle war sehr aktiv. Jetzt ist mein Gefühl, dass die Balance größer geworden ist zwischen allen Dreien. Julian kann auch sehr reduziert spielen und einen Groove, eine Soundidee sehr lange durchspielen. Das gibt Raum für längere Entwicklungen und intensivere Stimmungen. Er kommt aber auch vom Pop und HipHop, das verbindet er sehr spannend mit improvisierter Musik. Vielleicht ist das Trio nun weniger Jazz: Es geht weniger um individuelle Leistung, sondern um den Gesamtklang, wir sind ein dichterer Klangkörper geworden.
Ticket: Das passt gut zur Klangwelt und Philosophie des Münchner Edel-Labels ECM. Bei den Aufnahmen war Manfred Eicher, der legendäre Chef, aber gar nicht im Studio.
Vallon: Ja, ihn hatte leider die Grippe erwischt. Das war eine interessante Situation. Wir waren komplett frei, was die Dramaturgie der Stücke anging. Natürlich aber bleibt der ECM-Klang prägend. Als ich mich mit ihm zum Abmischen traf, hatte mich seine Meisterschaft wieder umgehauen. Innerhalb von fünf Minuten hat sich der Klang so geöffnet, das waren Welten. Eicher mischt nie Spuren aus verschiedenen Versionen, es wird sehr wenig editiert, es dürfen auch kleine Fehler oder Unsauberkeiten dabei sein, wenn dann die Energie, die Natürlichkeit stimmt.
Ticket: Spielt für Sie als Inspiration die Natur eine Rolle?
Vallon: Natürlich, wer könnte das Gegenteil behaupten?
Ticket: Keith Richards?
Vallon: (lacht) Ja, vielleicht. Aber Natur ist doch eigentlich eine Inspiration für alle. Bei "Rouge" hatte ich die Corioliskraft als Bild im Kopf, die Wind und Wetter bestimmt. Die Naturtöne im Bass – die wie Alphörner klingen – korrespondieren dann mit den Naturgesetzen. Mich interessiert zunehmend die Mathematik der Natur und ihre Schönheit. Ich finde etwa die Theorie der Sinusanpassung sehr spannend. Wissen Sie, was mit Metronomen passiert, die alle in unterschiedlichem Tempo schlagen, wenn man sie zusammen auf ein frei schwingendes Brett stellt? Sie beeinflussen sich und schlagen nach einer Weile synchron. Das finde ich von großer Schönheit und Inspirationskraft: Jeder hat seinen eigenen Rhythmus und ist doch von allem anderen beeinflusst.

Termine: Merzhausen, Artisse-Festival, Forum:
– Olga Scheps (Klavier), Fr, 13. März, 20 Uhr;
– Colin Vallon Trio, Sa, 14. März,
20 Uhr;
– Ensemble Madrugá Flamenca, So, 15. März, 19.30 Uhr;
Vorverkauf beim BZ-Kartenservice (bz-ticket.de/karten, Tel. 0761/4968888 und bei allen
BZ-Geschäftsstellen)
von raz
am Mi, 11. März 2015

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