Schippern in der Europastadt

Selbst mal das Steuer in der Hand halten: eine Fahrt mit dem Elektroboot auf den Kanälen Straßburgs.

In einigen französischen Städten kann man ohne Führerschein auf Kanälen und Flüssen schippern – auch im wasserreichen Straßburg. Eine solche Flussfahrt bringt nicht nur enorm viel Spaß für Familien und Freunde, sondern sie eröffnet auch neue Perspektiven auf die elsässische Stadt im Wandel.

Mit rasend schnell erscheinenden sechs Stundenkilometern nähern wir uns der Schleuseneinfahrt. Vor ihr hängt ein Seil über dem Kanal. Das muss man ziehen, sonst öffnet sich die Schleuse nicht. Ich schalte den Motor ab und lenke vorsichtig in Richtung Seil. "Komm, noch ein bisschen nach links! Komm, komm!", flehe ich das Boot an. Meine Passagiere bekommen derweil das Seil zu fassen. Wir kollidieren nicht mit dem Ufer, niemand geht über Bord und wir bejubeln uns ein wenig selbst: geschafft. Die Schleusenampel blinkt.

Abenteuerlicher
Anfang
In der Rinne angelangt, folgt sogleich das nächste Abenteuer: Boot vertäuen und den Mechanismus aktivieren. Die Tore schließen sich. Es gibt kein Zurück mehr. Mit Getöse wird das Wasser um uns abgelassen und wir sinken ziemlich schnell hinab in den glitschigen Schlund.

Man verspürt schon einen Nervenkitzel bei so einer Bootsfahrt auf dem Straßburger Rhein-Rhône-Kanal – vor allem, wenn man selbst fährt und das noch nie zuvor gemacht hat. Schließlich reagieren Boote immer etwas verzögert auf das Manöver, dafür jedoch stark. Wenn man das einmal verinnerlicht hat, wird die Fahrt jedoch zum puren Vergnügen.

Wie gemacht für einen
Perspektivwechsel
Wer schon einmal in Straßburg war, weiß, dass die Stadt von Wasser bestimmt ist. Kanäle des Flusses Ill umgeben die zum Unesco-Weltkulturerbe erklärte Altstadtinsel, ziehen sich durch die ebenfalls Unesco-geadelte Neustadt gen Europaparlament und verbinden die Stadt mit den Industriearealen des Rheinhafens.

Wer Straßburg also einmal anders erleben möchte, sollte den Wasserweg in Betracht ziehen. Sicher, dafür gibt es längst die bekannten Ausflugsboote namens "Bateaurama". Aber hinter Glas verpackt zusammen mit zahlreichen Touristen durch die Kanäle geschleust werden? Das scheint uns nicht erstrebenswert. Wie gut, dass man in der Stadt E-Boote leihen kann. So kann man nämlich selbst Kapitän werden – ganz ohne Bootsführerschein.

Mittlerweile gibt es zwei Bootsverleihe in Straßburg, die diesen Spaß anbieten: "Captain Bretzel" unweit der Tramstation Winston Churchill (die Straßenbahn fährt bis ins deutsche Kehl) und "Marin d’Eau Douce" ("Süßwasserseemann") am Quai du Woerthel bei den gedeckten Brücken in der Petite France. An diesem strahlenden Oktobernachmittag entscheiden wir uns für Letzteren. 70 Euro kostet dort eine zweistündige Tour, allerdings passen auch bis zu fünf Personen in das rot-weiße Gefährt. Nach einer sehr freundlichen Einweisung können wir selbst entscheiden, ob wir den Kurs "Natur" in Richtung Ostwald einschlagen oder das Thema "Architektur" wählen und gen Citadelle, vorbei an historischen und modernen Bauten schippern möchten.

Vom Fachwerk zu den
"schwarzen Schwänen"
Wir starten etwas wacklig und durchqueren die ehemaligen Vauban-Schleusen beim Musée d’Art Moderne, winken anderen Schiffen zu und freuen uns auf die Bootsfahrt. Diese kann übrigens durch mitgebrachte Snacks oder ein gebuchtes Apéro-Paket noch kulinarisch aufgewertet werden.

Nachdem die erste Schleuse am pittoresken Parc du Heyritz überstanden ist und wir alle abwechselnd einmal gelenkt haben, kommt Sicherheitsgefühl auf. Wir widmen uns ausgiebiger der Umgebung. Gerade zwischen Place d’Étoile und Citadelle ist Straßburg in jüngster Zeit enorm gewachsen. Von der einstigen Industrievergangenheit zeugen nur noch zwei Lastenkräne und ein Lagerhaus, die in das Ensemble der neuen Mediathek integriert wurden. Dahinter ragen dann schimmernd die "schwarze Schwäne" genannten Hochhäuser auf. In ihrem Schatten sehen wir einige Biberratten am Wasser entlangwuseln.
Viel zu schnell
vorbei
Auf dem letzten Stück unseres Trips ist das Panorama etwas wilder, und unser kleines Boot sticht in große Gewässer. Mehr ehemalige Industrie bestimmt nun das Bild. Vor der Citadelle wird der Kanal größer, verkehrsreicher und er ist von schmucken Hausbooten gesäumt. Ein wohl temporärer Eindruck, denn bald werden auch hier die Baukräne anrücken, um das "Quartier der zwei Ufer" zu vervollständigen – Straßburg wächst rasant und spektakulär. Da klingelt unser Handywecker: Rückzug. Nun finden wir die sechs Stundenkilometer eher zu gemütlich – das nächste Mal muss es ein Tagesausflug auf dem Boot werden.
von Uwe Baumann
am So, 31. Oktober 2021

INFO: Info

Wetter: Grundsätzlich ist ein Ausflug auch bei schlechterem Wetter machbar: Die Boote haben ausklappbare Dächer.
Wer darf steuern? Es braucht kein Vorwissen:
Sicherheitsaspekte werden vor Ort genau erklärt. Ein Teilstück der Kanäle im Altstadtbereich ist aber nur mit Fahrerlaubnis schiffbar.
Wann? Täglich 7–20 Uhr oder 8-23 Uhr – je nach Anbieter. Insbesondere am Wochenende besser vorher online reservieren:
http://www.marindeaudouce.fr
5, Quai du Woerthel. http://www.captainbretzel.eu
49, Quai des Alpes, beide in Straßburg.  

Autor: uwb

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