TIPP DES MONATS

Kindheitsglück

Lars Gustafsson/Agneta Blomqvist: Doppelleben. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Hanser Verlag, München 2020. 141 Seiten, 19 Euro.

An feuchte Wollsachen im Winter entsinnen sich beide, an Murmeln auch: Trotzdem weisen die Erinnerungen von Lars Gustafsson und Agneta Blomqvist an das Schweden der 1940er und 1950er Jahre mehr Unterschiede auf als Ähnlichkeiten. Während er über Höhlen, Kartenspiele und Mikroskope hinausdenkt in die Beschaffenheit der Zeit und des Bewusstseins, bewegt sie sich innerhalb der Grenzen dessen, was sie erlebt hat. Schlittenfahrten, Salamander, Baumhütten, Seilspringen: So, wie sie geschildert werden, wirken die frühen Jahre der beiden, trotz der Züchtigungen in der Schule, wie Idyllen. Und auch wenn Gustafsson das Glückliche seiner Kindheit bestreitet, mutet sie doch exotisch an und voller Möglichkeiten, die es für die Kinder der heutigen Zeit nicht mehr gibt.Grauen und Schmerz

Edna O’Brien: Das Mädchen.
Roman. Aus dem Englischen von Kathrin Razum. Verlag Hoffmann & Campe, Hamburg 2020. 253 Seiten, 23 Euro.

Sie ist eines der Mädchen, die von Boko Haram verschleppt, vergewaltigt, gequält und gedemütigt wurden: Und sie entkommt dieser Hölle. Nicht aber ihrem Leid. Was sie auf ihrer Flucht zu ertragen hat, was sie selbst ihrem Neugeborenen antut, was ihr anschließend zuhause widerfährt und was all das in einem Menschen anrichtet, der dennoch die Kraft findet, weiterzuleben: Davon legt Edna O’Brien auf eindringliche Art Zeugnis ab. Im Gegensatz zu ihren metaphernreichen und stilistisch oft experimentellen früheren Romanen lebt dieses Buch von einer einfachen Sprache. Satz um Satz ringt sich ihr Mädchen ab, Sätze, die es in sich haben wie Wundeinschlüsse, Verkapselungen, in denen das Grauen sitzt und der Schmerz. Wir sollten lesen, was dieses Mädchen zu sagen hat.

Wasser und Wahrheit

John von Düffel: Der brennende See.
Roman. DuMont Verlag, Köln 2020. 319 Seiten, 22 Euro.

Weil es nach dem Tod ihres Vaters Verschiedenes zu regeln gibt, kehrt Hannah in ihren Heimatort zurück und trifft dort an vier überhitzten Tagen im April, dem laut T. S. Eliot "grausamsten Monat", nicht nur auf alte Freunde, sondern auch auf schwelende Konflikte und politische Tumulte. Umweltbewahrer, Kapitalanleger, Klimaaktivisten: Am nahegelegenen See scheiden sich die Geister. Doch der See ist es auch, der am Ende Hoffnung verheißt: als gingen Wasser und Wahrheit Hand in Hand. John von Düffels Roman ist vieles: Familientragödie, ein Hohelied auf das Einzelgängertum, ein Aufruf zur Weltenrettung (nebst Aktion zum Tempolimit): Eins gleitet organisch ins andere, kunstfertig zur Sprache gebracht, singend und schön.
von Ingrid Mylo
am Sa, 04. April 2020

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