Gott und der Kosmos

Was glauben Forscher, die glauben?

Lässt die Forschung noch Platz für Gott? Wie stellen sich Physiker Schöpfung vor – oder ein Leben nach dem Tod? Der Astrophysiker Gerhard Börner sprach mit Jens Schmitz über das Verhältnis von Naturwissenschaft und Religion.

Lässt die Forschung noch Platz für Gott? Wie stellen sich Physiker Schöpfung vor – oder ein Leben nach dem Tod? Gerhard Börner (70), Autor von "Das neue Bild des Universums" und Forscher am Münchner Max-Planck-Institut für Astrophysik, gehört zu den renommiertesten Vertretern seiner Zunft. Jens Schmitz hat mit ihm gesprochen.

BZ: Herr Börner, ich habe mir sagen lassen, die wissenschaftlichen Disziplinen würden sich in ihrer Bereitschaft, über Religion nachzudenken, unterscheiden – am spannendsten seien die Astrophysiker. Ist das so?

Ich denke, es ist ein Missverständnis, physikalische Formeln und religiöse Aussagen zu vermischen. Gerhard Börner
Börner: Es gibt schon Unterschiede. Bei den Biologen und Chemikern sagen prominente Vertreter: Alles läuft nach bestimmten Regeln, und da gibt’s überhaupt keine Probleme, das alles zu verstehen. Wozu dann noch Religion? Astrophysiker und Physiker sind ein ganzes Stück vorsichtiger. Durch die Anfang des 20. Jahrhunderts gemachten Entdeckungen wie die Quantenmechanik und die Kosmologie hat man eine etwas bescheidenere Haltung eingenommen, weil man gesehen hat, dass es viele Dinge gibt, die schwer zu erfassen sind und eigentlich nicht dem entsprechen, was man sich mit dem gesunden Menschenverstand so vorstellt. Es gibt viele Fragen, die in der Wissenschaft nicht beantwortet werden, zum Beispiel nach dem Sinn des Ganzen oder der Bedeutung der Entstehung von Leben. Wenn man sagt, es ist sinnlos, solche Fragen zu stellen, dann klammert man diesen Bereich eben aus. Für uns persönlich ist er aber wichtig.


BZ: Ihr prominenter Kollege Stephen Hawking hat in seinem jüngsten Buch ein Modell des Universums vorgestellt, das ohne Schöpfer funktioniert.

Börner: Ich denke, es ist ein Missverständnis, physikalische Formeln und religiöse Aussagen zu vermischen. Wenn ich an Gott glaube, dann ist für mich die Entstehung des Universums als Fluktuation aus einem Quantenkosmos das Wirken des Schöpfers. Das steht keineswegs im Gegensatz zur Physik. Wenn ich nicht an Gott glaube, dann sage ich, es gibt diesen Quantenkosmos, da fluktuiert es hin und her, und irgendwie entsteht eine Fluktuation, die dann das Universum hervorbringt. Das sind aber genauso Fantasiegebilde wie irgendwelche anderen esoterischen Überlegungen. In Hawkings Vorschlag kommen zu viele undefinierte Größen vor. Wenn ich ihm sage, ich wohne in der Brucknerstraße 13, dann kann er das auch aus so einer Formel herausrechnen. Er weiß ja, was rauskommen soll. Das ist nicht Physik.

BZ: Muss es nicht eine wissenschaftlich erfassbare Verbindung geben, wenn Gott etwas mit der Welt zu tun hat? Das Bewusstsein ist für die Physik auch noch ungreifbar. Trotzdem ist es wohl irgendwie mit dem Hirn verdrahtet.

Börner: Das ist vielleicht ein ganz gutes Beispiel. Wenn ich diesen strikten Physikalismus nehme, dann sind Sie und ich nur so ein Gebilde aus Atomen. Die Frage ist, wo ich dann bin in diesem Bild. Ich habe die Überzeugung, dass ich selber irgendwas bin, dass ich ein Bewusstsein habe und damit selber Dinge steuere. Ich sehe das nicht als Täuschung. Das kann man in diesem physikalischen Bild aber nicht wirklich unterbringen. Vieles liegt darin begründet, dass das naturwissenschaftliche Weltbild auf Objektivierung ausgerichtet ist, und in dem Sinn ist es auch nicht möglich, Gott darin zu finden. Der kann keine Struktur in der Welt sein.

BZ: Warum nicht?

Börner: Wenn man sagt, es gibt einen Schöpfer dieser Welt, dann hat er auch Raum und Zeit geschaffen, also die Kategorien, in denen ich das Ganze überhaupt verstehen kann. Dann ist es nicht so, dass er irgendwie in der Zeit etwas schafft oder bewirkt, sondern er hat sozusagen diese ganze Raumzeit vor sich und schafft das Ganze, immer. Es gibt nicht irgendwo einen Punkt, eine Anomalie, wo ich sehe, dass er da eingreift, etwa weil ein Naturgesetz ungünstig wäre oder so.

BZ: Gottes Wirken wäre also eher, dass es überhaupt Naturgesetze gibt?

Börner: Er hat sie gesetzt, und er hat alle diese Möglichkeiten, die sich da verwirklichen können, geschaffen. So müsste man das sagen, denke ich. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Schöpfergott wie irgendeine Substanz, die nicht wirklich stofflich ist, existiert in Raum und Zeit und gelegentlich hier und da irgendwas macht. Die Vorstellung halte ich für sehr abwegig.

BZ: Es gibt Physiker, die explizit nach Indizien für ihren Glauben suchen und damit populär werden. Der Hawking-Schüler Peter Russell etwa führt Anomalien im Bereich des Lichts und der Bewusstseinsforschung parallel. Religionen wählen ja oft Licht-Metaphern, wenn sie vom Göttlichen sprechen.

Börner: Wenn man sieht, dass unsere Kategorien, also Raum und Zeit, in der physikalischen Welt auch veränderbar sind, zum Beispiel im Urknall, wo Zeit und Raum entstehen, oder in Schwarzen Löchern, wo die Zeit wieder verschwindet, dann hat man tatsächlich eine Ahnung davon, dass es etwas geben könnte, das über Raum und Zeit hinausgeht. Dass man andererseits glaubt, Beweise zu finden, da bin ich sehr skeptisch.

BZ: Mir würde es ja schon reichen, Dinge plausibel gemacht zu bekommen.

Börner: Plausibel, tja . . . Aber finden Sie das plausibel, dass ein Elektron sowohl Eigenschaften eines Teilchens als auch solche einer Welle hat? Und wenn Sie es beobachten, verhält es sich anders, als wenn Sie wegschauen! Diese Teilchen sind nicht nur kleine Körper, sondern die erfassen irgendwie ihre Umgebung in der Raumzeit, das ist sehr merkwürdig. Das kann man eigentlich mit nichts vergleichen, was wir aus unserer Alltagswelt kennen. Schon in der simplen Physik gibt’s solche Dinge. Deswegen sollte man auf unsere Alltagserfahrungen nicht zu viel setzen und denen auch skeptisch gegenüberstehen. Allein die Tatsache, dass wir so einen Verstand haben, der uns befähigt, das Ganze zu begreifen, das ist ja im Grunde … schwer begreiflich.

BZ: Der Heidelberger Biophysiker Markolf Niemz hat die Theorie entwickelt, dass die Seele nach dem Tod nahezu auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Dann käme man der Relativitätstheorie zufolge tatsächlich in so einen überzeitlichen, omnipräsenten Zustand, wie ihn die Religionen erahnen.

Börner: Der wird sich schön wundern, wenn er tot ist (schmunzelt).

BZ: Warum?

Börner: Ich glaube, dass sowas einfach zu simpel ist. Licht besteht aus Photonen. Die haben eine bestimmte Energie, die man messen kann. Wenn man sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt, dann kann man auch nicht anhalten, es muss immer Lichtgeschwindigkeit sein, und man kann auch keine Struktur ausbilden. Das ist ja nicht das, was man als besonders interessant betrachten würde. Ich weiß ja auch, dass nach meinem Tod alle Atome vorhanden bleiben. Aber das berührt mich nicht weiter positiv, weil ich selber etwas anderes bin als diese Ansammlung von Atomen oder Photonen. Wenn man in jede Wissenslücke mit seinen Vorstellungen über Glauben stößt, dann hat man zwar einen Ort für das Ganze, aber der kann unbequem eng werden, wenn die Wissenschaft fortschreitet.

BZ: Was können Sie selbst sich denn vorstellen?

Börner: Ich glaube, dass dieser ganze Kosmos nicht sinnlos einfach so existiert, sondern schon einen Sinn hat, der uns aber verborgen ist. Das ist für mich das Sympathische an dem Gedanken, dass unsere Existenz eben einesteils ein in Raum und Zeit befangenes System aus Nukleonen ist, dass es aber andererseits einen Aspekt gibt, der darüber hinausreicht. Wir sind beides. Ich glaube, dass ich selber als Person auch so ein Element in mir habe, was deshalb auch unzerstörbar ist. Ich sehe, dass in anderen Religionen auch solche Überlegungen existieren, aber konkretere Vorstellungen beziehe ich eben aus dem Kulturkreis, in dem ich aufgewachsen bin. Ich bin evangelisch. Wobei ich nie alles wörtlich nehmen würde, was in der Bibel steht.

BZ: Wer war Jesus für Sie?

Börner: Jesus ist für mich als historische Person ein Mensch mit vielen sehr sympathischen Zügen. Was mir besonders gefällt, ist die Betonung des einzelnen Menschen als wichtig, als Gegenüber Gottes – dass das Christentum dem Einzelnen eine Bedeutung gibt, die nicht davon abhängt, ob er tolle Sachen gemacht hat. Auch wenn er arm, krank und elend ist, ist er wichtig.

BZ: Wurde Jesus von Gott geschickt? War er sein Sohn?

Börner (zögert): Ich halte das für eine sehr schwierige Vorstellung, so ein Eingreifen Gottes in der Zeit. Jesu Bedeutung als Erlöser und als Sohn Gottes sind Mysterien des christlichen Glaubens.

BZ: Ein bisschen komme ich mir in Ihrem Kosmos aber doch vor wie eine Ameise. Wenn da jemand drauftritt, ist sie nicht wichtig, sondern geht verloren – es sei denn, Sie nehmen an, dass ihre kleine Kraft auch irgendwie zurückfließt in ein großes Ganzes . . .

Börner: Das könnte durchaus so sein. Der bekannte Physiker Freeman Dyson in Princeton hat ungefähr diese Auffassung: Willensfreiheit oder Persönlichkeit sind Eigenschaften, die auch der Materie zukommen. Geist ist schon bei den quantenmechanischen Teilchen vorhanden, weil die zwischen verschiedenen Möglichkeiten wählen können, und das setzt sich dann fort bis zur menschlichen Ebene. Im Universum, sagt er, sieht man auch, wie der Geist Kontrolle über die Materie gewinnt, durch die Strukturen, die sich entwickeln. Ein Geist, der so komplex wird, das wir ihn nicht mehr verstehen, ist für Dyson ein Äquivalent zu Gott. Wie einzelne Atome Teile unsere Gehirne sind, so sind wir Teile vom mentalen Apparat Gottes. Ob da jetzt so ein Teil kaputt geht (schmunzelt), das ist dann oft nicht so wichtig. Ich würde Geist aber nicht als Eigenschaft der Materie sehen, weil in der Physik die Materie selbst eher etwas Flüchtiges ist.

BZ: Hat Gott grundsätzlich Gutes vor?

Börner: Das weiß ich natürlich nicht. Ich hoffe das. Ich sehe, dass die Welt doch im Grunde schön ist, und ich sehe diese Entwicklungen, die sich immer mehr verfeinert haben, und da denke ich, dass Gott etwas Interessantes vorhat. Sicher nicht böse. Eine Vorstellung, die mir sehr sympathisch ist, ist, dass Gott auch nicht von Anfang an allwissend und allmächtig ist, dass ihm das auch nicht ganz klar ist, was sich da alles Interessantes ereignen kann. Warum schafft er sonst überhaupt irgendwas? Wenn er schon vollkommen und allmächtig ist, könnte er ja zufrieden sein mit sich selber.

BZ: Wenn Religiosität letztlich eine Frage der Empfänglichkeit ist – wie kann man sie dann schärfen?

Börner: Das wüsste ich auch gerne. Das sind immer Einzelerfahrungen. Wenn man die Mystiker liest, sind das oft großartige Darstellungen, aber ob mir das persönlich etwas geben kann, ist eine andere Frage. Vielleicht kann man sich das vorstellen wie mit der Musik: Es gibt Menschen, die musikalisch sind. Manche mehr, manche weniger. Aber dann gibt’s immer wieder mal jemanden wie Mozart, in dem das extrem ausgeprägt ist. Ich selbst würde eher an die Vernunft appellieren: Kann man wirklich akzeptieren, dass es keinerlei Sinn, keinerlei Plan hinter dem Ganzen gibt?

Hand aufs Herz: Gerhard Börner

Wer oder was ist Gott für Sie?
Gott ist für mich der Urgrund allen Seins, der die zentrale Ordnung der Welt schafft und erhält, ebenso wie das innerste Selbst eines jeden Menschen. Wir können von Gott nur in Bildern und Gleichnissen sprechen, da er unserer direkten Erfahrung unzugänglich ist.

Was passiert nach dem Tod?
Im Tod endet unser Leben in Raum und Zeit, aber ich glaube, dass unser innerstes Wesen über die raumzeitliche Wirklichkeit hinausreicht. Der Tod ist die Schwelle, über die wir in eine andere Form der Existenz gelangen.

Tradition, Nachdenken oder bestimmte Erfahrungen – wovon ist Ihr Weltbild am meisten geprägt?
Durch Tradition und Nachdenken.

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von Jens Schmitz
am Sa, 06. August 2011 um 00:00 Uhr

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