Ticket-Interview
Maria Schrader über ihr Stefan-Zweig-Porträt „Vor der Morgenröte“
Vor neun Jahren gab Maria Schrader (50) mit "Liebesleben" ihr Regiedebüt, jetzt zeigt die gebürtige Hannoveranerin, die in Hamburg und Berlin lebt, mit "Vor der Morgenröte" ein eigenwilliges Filmporträt des berühmten Schriftstellers Schriftsteller Stefan Zweig (1881–1942) während seiner Zeit im Exil. Schrader, die als Schauspielerin Kinoerfolge wie "Keiner liebt mich", "Aimeé & Jaguar" und "Rosenstraße" feierte, konzentriert sich dabei auf vier Episoden in Zweigs Leben. Markus Tschiedert traf sie zum Interview.
Ticket: Frau Schrader, welche Verbindung haben Sie zu Stefan Zweig?
Maria Schrader: Meine erste Begegnung mit Stefan Zweig war eine Novelle, die mich seitdem begleitet: "Reise in die Vergangenheit", so eine Art Königskinder-Geschichte. Zweig ist ein fantastischer Erzähler, den Anstoß zu dem Film gab aber sein eigenes Leben. Der leider verstorbene französische Produzent Denis Poncet, dem dieser Film auch gewidmet ist, hatte "Liebesleben" gesehen und kam mit dem Wunsch auf mich zu, einen Film über Zweig zu machen, der in Frankreich nach wie vor unglaublich populär ist.
Ticket: Das Drehbuch zu "Vor der Morgenröte" schrieben Sie gemeinsam mit Jan Schomburg. Wie sind Sie vorgegangen?
Schrader: Ich habe natürlich von und über Stefan Zweig gelesen und war insbesondere von seinen letzten Jahren fasziniert. Mir war nie klar, in welch einer komplizierten und zerrissenen Situation sich die Menschen befanden, denen die Flucht gelungen war. Zweig, ein weltberühmter Schriftsteller, erlebte es in besonders extremer Weise und nahm sich das Leben, obwohl es ihm besser ging als Millionen anderen. Er lebte in seiner letzten Zeit buchstäblich in einem Paradies in den Bergen Brasiliens. Gleichzeitig konnte er den permanenten Gedanken an den Krieg in Europa und die Zurückgebliebenen auf der anderen Seite der Welt nicht abstellen. Dieser unglaubliche Gegensatz, diese beiden Welten und irgendwie weder am einen noch am anderen Ort zu sein, hat uns interessiert. Darüber wollten wir einen Film machen.
Ticket: Weshalb Sie auch kein typisches Biopic, also Zweigs komplette Lebensgeschichte, drehen wollten?
Schrader: Richtig, das Hauptthema von "Vor der Morgenröte" ist Zweigs Leben im Exil, in sehr unterschiedlichen Situationen. Wir zeigen ihn in Brasilien, in Buenos Aires, in New York, bei großen öffentlichen Auftritten sowie im Privaten. In diesen Szenen erleben die Zuschauer jeweils einen Ausschnitt aus seinem Leben. Ein Problem der klassischen Biopics, selbst wenn sie nur fünf Jahre im Leben eines Menschen beleuchten, ist diese Informationsfülle, die man erzählen muss. Da hat dann der einzelne Moment wenig Zeit, und man bekommt schnell das Gefühl, in einem Trailer voller Highlights zu sitzen, ohne der Person tatsächlich nahe zu kommen.
Ticket: Sie wählten aus Stefan Zweigs Leben vier Episoden aus.
Schrader: Genau, eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog. Diese Erzählform erlaubt uns, sie detailreich und genau zu zeigen. Ich wünsche mir, dass der Film das Gefühl vermittelt, dabei zu sein, dass man neben der Sprache und den Dialogen auch visuell und sinnlich in diese Momente eintauchen kann, in die Hitze, die Menschenmenge, den Zigarettenqualm, die Einsamkeit, die Schönheit der Tropen.
Ticket: Im Film spricht Zweig auch von seinem Traum von einem vereinten Europa, dessen ungeheure Aktualität Sie beim Drehen sicher noch gar nicht erahnen konnten.
Schrader: Ja, allerdings. Plötzlich könnte man ganze Dialogpassagen aus dem Film ins Heute setzen, etwa, wenn Zweigs Exfrau Friderike über ihre Flucht aus Europa erzählt, von den 2000 Menschen, die sich jeden Tag am Quai von Marseille gedrängt haben, um auf eines der Boote zu gelangen, wie sie zu Fuß über die Pyrenäen gelaufen sind, sich vor den Patrouillen verstecken mussten. Vor zig Jahren noch versuchten Millionen von Menschen aus Europa rauszukommen, heute ist die Bewegung die umgekehrte, die Not aber die gleiche.
von tsc
Maria Schrader: Meine erste Begegnung mit Stefan Zweig war eine Novelle, die mich seitdem begleitet: "Reise in die Vergangenheit", so eine Art Königskinder-Geschichte. Zweig ist ein fantastischer Erzähler, den Anstoß zu dem Film gab aber sein eigenes Leben. Der leider verstorbene französische Produzent Denis Poncet, dem dieser Film auch gewidmet ist, hatte "Liebesleben" gesehen und kam mit dem Wunsch auf mich zu, einen Film über Zweig zu machen, der in Frankreich nach wie vor unglaublich populär ist.
Ticket: Das Drehbuch zu "Vor der Morgenröte" schrieben Sie gemeinsam mit Jan Schomburg. Wie sind Sie vorgegangen?
Schrader: Ich habe natürlich von und über Stefan Zweig gelesen und war insbesondere von seinen letzten Jahren fasziniert. Mir war nie klar, in welch einer komplizierten und zerrissenen Situation sich die Menschen befanden, denen die Flucht gelungen war. Zweig, ein weltberühmter Schriftsteller, erlebte es in besonders extremer Weise und nahm sich das Leben, obwohl es ihm besser ging als Millionen anderen. Er lebte in seiner letzten Zeit buchstäblich in einem Paradies in den Bergen Brasiliens. Gleichzeitig konnte er den permanenten Gedanken an den Krieg in Europa und die Zurückgebliebenen auf der anderen Seite der Welt nicht abstellen. Dieser unglaubliche Gegensatz, diese beiden Welten und irgendwie weder am einen noch am anderen Ort zu sein, hat uns interessiert. Darüber wollten wir einen Film machen.
Ticket: Weshalb Sie auch kein typisches Biopic, also Zweigs komplette Lebensgeschichte, drehen wollten?
Schrader: Richtig, das Hauptthema von "Vor der Morgenröte" ist Zweigs Leben im Exil, in sehr unterschiedlichen Situationen. Wir zeigen ihn in Brasilien, in Buenos Aires, in New York, bei großen öffentlichen Auftritten sowie im Privaten. In diesen Szenen erleben die Zuschauer jeweils einen Ausschnitt aus seinem Leben. Ein Problem der klassischen Biopics, selbst wenn sie nur fünf Jahre im Leben eines Menschen beleuchten, ist diese Informationsfülle, die man erzählen muss. Da hat dann der einzelne Moment wenig Zeit, und man bekommt schnell das Gefühl, in einem Trailer voller Highlights zu sitzen, ohne der Person tatsächlich nahe zu kommen.
Ticket: Sie wählten aus Stefan Zweigs Leben vier Episoden aus.
Schrader: Genau, eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog. Diese Erzählform erlaubt uns, sie detailreich und genau zu zeigen. Ich wünsche mir, dass der Film das Gefühl vermittelt, dabei zu sein, dass man neben der Sprache und den Dialogen auch visuell und sinnlich in diese Momente eintauchen kann, in die Hitze, die Menschenmenge, den Zigarettenqualm, die Einsamkeit, die Schönheit der Tropen.
Ticket: Im Film spricht Zweig auch von seinem Traum von einem vereinten Europa, dessen ungeheure Aktualität Sie beim Drehen sicher noch gar nicht erahnen konnten.
Schrader: Ja, allerdings. Plötzlich könnte man ganze Dialogpassagen aus dem Film ins Heute setzen, etwa, wenn Zweigs Exfrau Friderike über ihre Flucht aus Europa erzählt, von den 2000 Menschen, die sich jeden Tag am Quai von Marseille gedrängt haben, um auf eines der Boote zu gelangen, wie sie zu Fuß über die Pyrenäen gelaufen sind, sich vor den Patrouillen verstecken mussten. Vor zig Jahren noch versuchten Millionen von Menschen aus Europa rauszukommen, heute ist die Bewegung die umgekehrte, die Not aber die gleiche.
von tsc
am
Fr, 03. Juni 2016
Info
VOR DER MORGENRÖTE
Regie: Maria Schrader
Mit Josef Hader, Barbara Sukowa, Aenne Schwarz, Matthias Brandt u.a.
106 Min., ohne Altersbeschränkung
Die Story
Nach der Machtergreifung der Nazis verlässt der berühmte Schriftsteller Stefan Zweig (Hader) seine Heimat und reicht die Scheidung von seiner Ehefrau (Sukowa) ein. Seine Sekretärin (Schwarz) wird zur Geliebten. Doch weder in New York noch in Buenos Aires fühlt er sich daheim.
Autor: bz