Alle Messen sind gesungen

Der Graf nimmt mit dem finalen Album "Gipfelstürmer" und einer Tournee Abschied von seiner Band Unheilig und den Fans.

Was auf dem Albumcover zu sehen ist? Eine Dampflok, die viel Dampf macht, während sie sich inmitten eines eindrucksvollen Bergmassivs die Schienen entlangquält. Was auf dem Album zu hören ist? Eine Dampflok, die viel Dampf macht, während sie sich inmitten eines eindrucksvollen Bergmassivs die Schienen entlangquält. Tut tut. Schnauf schnauf. Ratter ratter. Der erste Song trägt deshalb den Titel "Der Berg (Intro)".

Das ist das Wunderbare an der Kunst, wie sie von Unheilig betrieben wird: Sie erklärt sich von selbst. Sie ist vorhersehbar. Sie ist leicht verständlich. Sie richtet sich nicht an wenige, sondern an alle. Verantwortung dafür trägt der Graf, wie er sich nennen lässt, Alter unbekannt, ein Mann des dramatischen Wortes zu dramatischer Musik, der mit schwarzem Gehrock, weißem Hemd und schwarzer Krawatte seinen Dienst verrichtet. Er hat eine Mission: Trost spenden, Mut machen, Kraft geben, Liebe schenken. Es ist eine Dienstleistung am Menschen, die voller Tatendrang und Mitgefühl verrichtet wird. Eine frohe Botschaft für eine triste Welt.

Damit ist der Graf groß rausgekommen. 15 Jahre praktische, bandgestützte Lebensberatung und -hilfe, die sich auf insgesamt acht Alben erstreckt. Mit dem Song "Geboren um zu leben" die deutschen Trauercharts, die Hitliste bei Beerdigungen, aufgemischt, mit dem Album "Große Freiheit" Herbert Grönemeyer und seinen 1988er Klassiker "Ö" von der Spitze der ewigen deutschen Charts gestoßen. Als der Graf mit seiner Band Unheilig anfing, erfreuten sie – die stets melancholisch gestimmte – Gothic-Szene, heute erfreuen sie eine ganze – oft melancholisch gestimmte – Gesellschaft. Damit soll ab 2016 Schluss sein, wie der Graf in einem offenen Brief im Oktober kundtat. Er will nicht mehr singender Seelsorger sein. Er muss auch nicht mehr.

Denn es ist alles gesagt und gesungen. Noch ein letztes Mal wollen Unheilig hoch hinaus. Sie wollen, wie so oft in den vergangenen vier Jahren, den Gipfel stürmen, folglich heißt das neue Album "Gipfelstürmer". Von oben blickt der Graf zurück und voraus, denkt über das Leben nach und die Liebe, sieht Wind und Wolken, Sonne und Sorgen, geht einen steinigen Weg, versetzt Berge, greift nach den Sternen, hört auf die Stimme seines Herzens – hinauf ins Glück, das Glück vor Augen, das Glück zum Greifen nah, am Tor zum Glück, Glück auf. Der Gipfelstürmer ist erfolgreich als Glückssucher unterwegs. Seine stets rührseligen Texte pendeln zwischen Zeit und Ewigkeit, Träumen und Glauben, Licht und Dunkel, Freundschaft und Gemeinschaft, Angst besiegen und Hoffnung machen.

Eigentlich braucht es die Songtexte gar nicht, die Songtitel sagen schon alles. "Zeit zu gehen", "Held für einen Tag", "Hand in Hand". Viel mehr als draufsteht, ist auch nicht drin. Was Vorteile hat: für die Produktion (wenige Wortbausteine ergeben viele Satzkombinationen) und für die Handhabung (einfacher Gebrauch ohne Bedienungsanleitung ergibt großen Kundenkreis). Das effektive Prinzip der Textherstellung ist perfektioniert im Stück "Die Weisheiten des Lebens", das einfach Lebensweisheiten, also Redewendungen, fließbandmäßig aneinanderreiht ("Ende gut, alles gut"). Das Beste daran: Die Floskeln und Phrasen und Metaphern waren schon fertig und mussten nicht erst ausgedacht werden.

Was sich inhaltlich stark am Schlager orientiert, ist auch musikalisch oft nicht weit davon entfernt. Es gibt wenige schnörkellose Schlagerballaden, aber viele bombastische, mit Orchester und Pathos gepimpte Schlagerballaden. Ab und an tarnen sich die Schlagerballaden mit Versatzstücken von Dark Wave (es jubiliert der Synthesizer) und Hard Rock (es marschiert das Schlagzeug und grunzt der Sänger). Wumms. Rumms. Ändern tut sich an den 16 Songs aber nichts Grundlegendes: Die strukturelle Schlichtheit ergänzt kongenial die inhaltliche Schlichtheit. Das ist Konzept, das ist eine verbraucherfreundliche Übersichtlichkeit in unübersichtlichen Zeiten wie diesen.

Wie der Graf Abschied nimmt, ist großes Kino (oder klingt zumindest danach). Naive Erbauungsromantik und biedere Schlagerkompositionen bekommen noch einmal einen großen Auftritt inszeniert. Der Graf hat mit Unheilig den Gipfel des Glücks erreicht. Carmen Nebel und Helene Fischer winken. Mehr geht nicht. Der Rückzug ins Private ist eine sehr kluge Entscheidung.
– CD: Unheilig: Gipfelstürmer (Vertigo). Konzert: Freiburg, Rothaus-Arena, Freitag, 24. April, 20 Uhr. Info: BZ-Kartenservice Tel. 0761/4968888.
von Oliver Seifert
am Sa, 13. Dezember 2014

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Autor: epd

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