Tinguely-Museum Basel

Auf ein Häppchen Kunst

Bei der Ausstellung "Der Geschmack der Kunst" können Führungsbesucher Kunst selbst gestalten und entscheiden: Ein Schluck Moos gefällig oder an lieber an Buchenholz nippen?

Schönheit, auch die der Kunst, liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Was aber, wenn sie stattdessen im Mund liegt, irgendwo zwischen "Mhhmm" und "Iiihh", zwischen Genuss und Ekel? Welche Rolle das Schmecken im Umgang mit Kunst spielt, ist Thema im Museum Tinguely, das sich nach Ausstellungen zum Riechen und Tasten dem Geschmackssinn widmet.

Dass im Museum die Werke des verstorbenen Künstlers und Meisters der Maschinen, Jean Tinguely, ausgestellt sind, wirkt besonders auf Kinder so anziehend wie ein Honigtopf auf Bären. Neuerdings gibt es noch eine süße Zugabe obendrauf, eine, die mehr als 20 Meter lang und rund fünf Meter hoch ist – und trotzdem perfekt versteckt.

Wie lange es wohl dauert, bis die Basler Kinderhortgruppe das Kunstwerk entdeckt? Lange. Sehr lange. Denn im selben Saal rattert, wackelt und rumpelt die "Grosse Méta-Maxi-Maxi Utopia". Dann hat einer sie doch entdeckt, die Riesenwand, aus der ganz seltsame Knubbel poppen. "Goosebump", Gänsehaut, heißt die Installation der Künstlerin Elizabeth Willing. Ein tausendfach, hübsch geometrisches Raster aus zuckergussüberzogenen Pfeffernüssen, ein leibhaftig gewordenes Riesenmärchen.

Das Gesicht des Knirpses ist ein einziges Fragezeichen: Darf ich oder gibt’s Ärger? Kommt dann die Hexe raus? Ist das nicht sowieso eklig, die ganzen angebissenen Lebkuchen? – An Corona dachte der Junge wohl noch nicht bei unserem Besuch Mitte Februar. Doch dann kommt die Erzieherin, rettet das Büblein aus der Not: "Ja, die darf man essen." Und: "Komm aber besser zur Leiter, da oben gibt’s noch frische." Der Junge strahlt, stürmt los – und mit ihm der Rest der Gruppe.

Während die Kinder sich also ihr Bisschen Kunst nehmen, beginnt ums Eck unsere interaktive Führung. Balthasar Waldner leitet sie und bietet gleich das Du an. Denn diese Führung ist eine, "bei der die Arbeiten konsumiert werden können und das bedingt, dass man miteinander spricht", kündigt er an. Gegliedert ist die museale Geschmackswelt in mehrere Ausstellungsparcours von süß bis salzig, sauer, bitter und einige weitere. Bestückt sind sie mit mehr als 80 Werken internationaler Künstler.

Den Anfang macht der Geschmack der Natur vor der Museumstür in einem kleinen Gewächshaus. Dort hat die Künstlerin Marisa Benjamin ein buntes Potpourri aus essbaren Blumen und Kräutern angelegt. Jeder aus der Gruppe darf sich ein Blatt oder eine Blüte abschneiden, dann wird durchprobiert von wildem Sellerie und Ananas-Salbei, von "zu lakritzmäßig" bis "megalecker".

Nach dem Essen kommt das Trinken: Ein Schluck Gras gefällig? Oder doch lieber mal an Buchenholz nippen? Möglich macht es Claudia Vogel, die die natürlichen Stoffe destilliert und ein Hydrolat daraus hergestellt hat. Balthasar schenkt ein und wir erschmecken Erdbeere (süß-lecker, aber wässrig), Moos (grasig-erdig) und Arve (seifig-rosig).

Weiter geht’s ins Reich der Begierde, wo sich besonders die Kinder amüsieren. Etwa über Urs Fischers mechanisches Spiel, bei dem eine Zunge aus seinem Loch in der Wand schießt, wenn man vorbeigeht. Schlüpfrig oder einfach witzig? Für die Mädchen und Jungs Letzteres. Spaßig-lustvoll erlebte auch Janine Antoni ihre eigene künstlerische Gestaltung: Mit einer Büste aus Seife ging sie baden, bearbeitete die Plastik mit ihren Händen; eine weitere aus Schokolade dann einfach mit der Zunge.

Kunst selbst gestalten können auch wir: "Pick-me-up" fordert Elizabeth Willig mit ihrem Wandgemälde aus Schokoriegeln auf, und ausgerüstet mit einem Löffel lösen die Kids ein Stück Schoki aus bunt-glänzendem Silberpapier.

Die Mundwinkel nach unten gehen aber bei vielen Gesichtern, als Umami auf den Probierlöffel kommt. "U – was?", fragt ein Mädchen. "Schmackhaftigkeit" bedeutet das japanische Wort. Das ist "Glutamat, also der Geschmack von tierischen Eiweißen und eine der fünf Geschmacksrichtungen, die wir unterscheiden können", erklärt Balthasar. Passend dazu hängt Andy Warhols "Campbell’s Soup" an der Wand.

Futter für die Augen gibt’s ebenfalls zuhauf, sei es bei Stillleben (Jan Davidsz De Heem), Früchtchenfotografie (Farah Al Quasimi) sowie bei der Eat-Art von Daniel Spoerri, der Frühstückshinterlassenschaften auf einem Brett verleimt oder im Werk "Großes Schimmelbild" den Verfall organischer Materie festhält.

Schmackhaft oder geschmacklos? Das fragen wir uns auch eine Station weiter. Dort sprudelt Zuckerrohrschnaps aus einem (neuen) Bidet. Damit nimmt das Künstlerkollektiv "Opavivará!" einen Skandal um Donald Trump, eine Prostituierte und eine Flüssigkeit auf die Schippe, die für gewöhnlich im Bidet landet. "Da kann man lustvoll konsumieren", sagt Balthasar und verteilt Schnapsbecher nur an die Erwachsenen. Am Ende der Runde zeigen Slavs and Tatars wie politisch versauerte Verhältnisse schmecken; ihr Getränkeautomat wirft Sauerkrautsaft aus – wohl bekomm’s.
Museum Tinguely, Paul-Sacher-Anlage 2, Basel, Interaktive Führungen bis 17. Mai, jeweils Mi, Sa, 14.30 Uhr, So 11.30, 14.30 und 16.30 Uhr, für maximal 15 Personen; Eintritt 18 CHF, Schüler 12 CHF, Kinder bis 16 Jahre frei, Infos: http://www.tinguely.ch
von Anita Fertl
am So, 15. März 2020 um 07:00 Uhr

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