Schauspiel

Die Spielzeit im Basler Schauspiel beginnt mit einer Inszenierung von "Das große Heft"

Die Spielzeit im Basler Schauspiel beginnt mit einer Inszenierung von "Das große Heft".

Almut Wagner verfolgt das Projekt schon seit längerem. Seitdem sie Schauspieldirektorin am Basler Theater ist, möchte sie Agota Kristofs Roman "Das schwarze Heft" auf die Bühne bringen. Nun ist es so weit: Mit der Inszenierung von Tilmann Köhler beginnt das Dreispartenhaus die neue Spielzeit im Schauspiel.

Es mag sein, dass "Das große Heft" ein Stoff für unsere Zeit ist, in der Kriege wieder auf der Tagesordnung stehen. Tatsache ist, dass Ulrich Rasche in der vergangenen Spielzeit eine Inszenierung des Romans in Dresden auf die Bühne brachte, die prompt zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde. In Freiburg hat vor wenigen Jahren die Seniorentheatergruppe Die Methusalems in der Regie von Jarg Pataki eine bemerkenswerte Adaption des Stoffs vorgelegt. Tatsache ist aber auch, dass "Das große Heft" ein großartiges Stück Literatur ist, wie Wagner betont: eine ganz eigene Stimme, die, so ihre Auffassung, unbedingt gehört werden muss.

Es ist eine unheimliche und auch ambivalente Geschichte. Zwei neunjährige Zwillingsbrüder werden in einer Kriegssituation – Background ist, so Wagner, der Zweite Weltkrieg – von der Mutter ihrer als Hexe verschrieenen Großmutter auf dem Land überlassen. Sie kommen "in eine komplett ungeliebte Umgebung" (Wagner), härten sich gegen deren Zumutungen durch ein "Selbstoptimierungsprogramm" ab – und tragen ihre "Leistungen" in ein Heft ein, das "Große Heft" eben. In dem Bestreben, sich selbst alle Gefühle auszutreiben, um die Situation auszuhalten, werden sie selber zu zwei "sich selbst fernsteuernden Einsatzwaffen", sagt die Schauspieldirektorin.

Um zu überleben: Muss man so werden? Diese beiden sind mittendrin im Krieg, erklärt Wagner. Und der Krieg fordere besondere Verhaltensweisen. Der Krieg kehre das Innerste nach außen: Er beschädige den Menschen so, dass er ein anderer wird. "Das große Heft" sei aber auch eine Parabel für soziale Kälte und absolute Einsamkeit wie auch für Flucht und Exil. Das habe, sagt Wagner, auch mit Agota Kristofs eigener Lebensgeschichte zu tun. Sie musste nach dem Ungarnaufstand fliehen und kam in die Westschweiz, wo sie zunächst in einer Uhrenfabrik arbeitete – als der französischen Sprache nicht mächtige "Analphabetin", wie ihr autobiographischer Essay betitelt ist, den das Theater begleitend als dramatischen Monolog zur Aufführung bringt.

Keine Geringere als die in Zürich lebende Autorin Sibylle Berg hat Agota Kristof einen wunderbaren Nachruf gewidmet. "Die bedeutendste Schriftstellerin der Schweiz ist tot. Und keiner weint", schrieb Berg 2011 in der Basler Zeitung. Schön, dass ihr das Basler Theater jetzt die Reverenz erweist.

Termine: Premieren: "Das große Heft": 20. Sept., 19.30 Uhr. "Die Analphabetin": 26. Sept., 20 Uhr
von Bettina Schulte
am Fr, 20. September 2019

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