Sachbuch
Das Buch "Im Restaurant" blickt hinter die Kulissen
Oder wie es einer, der sich damit nun wirklich auskennt, aus der kulturhistorischen Perspektive formuliert: "Gewürze sind das früheste Beispiel der Globalisierung,", schreibt Sternekoch Alfons Schuhbeck. Freilich muss man in ihre Wirkungsweise tief eindringen, muss diese einer Systematik unterziehen. Allzu viel ist ungesund oder schmeckt nicht.
Auch Christoph Ribbat thematisiert die Geschichte einer Globalisierung, die gleichwohl deutlich jünger ist. Sein "Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne" beschäftigt sich mit jener abendländischen Einrichtung, in der das Kochen und Bewirten seit dem 18. Jahrhundert zu einer besonderen Form der Zivilisation kultiviert wurde: dem Restaurant. Und der Untertitel lässt keinen Zweifel am Ansatz des Amerikanisten, der bevor er einen Ruf an die Universität Paderborn bekam, einige Jahre auch in Basel lehrte: Was hier im Bauch der Moderne gärt und verdaut wird, hat viel mit dieser selbst zu tun. Mit ihren Lebensbedingungen – den geistigen, sozialen, politischen gleichermaßen.
Gleich im ersten Großkapitel scheint auf, dass Ribbat sich der Institution Restaurant mit Vorliebe über die Hinter- und Personaleingänge nähert. Er durchstreift die Küchen, den "Backstage"-Bereich der Bedienungen, und schnell begreift man, dass der schöne Schein, der Glanz der noblen und erst recht der weniger noblen Restaurants eine hässliche Kehrseite hat. Wenn man es nicht schon längst wusste, denn so überraschend neu sind die Einsichten auch wieder nicht. Gleichwohl ist zum Beispiel die Anglistin und Soziologin Frances Donovan, an deren Recherchen der Amerikanist Ribbat seine Leser immer wieder teilhaben lässt, eine interessante Figur. Wie eine Urahnin des investigativen Schriftstellers Günter Wallraff, dessen Karriere als Ali bei McDonalds später im Buch auch aufscheinen wird, stellt sie ihre Feldstudien ganz unten, oder noch besser ganz hinten an, bei den Spinden der Serviererinnen. Mit "The Woman Who Waits" wird die Amerikanerin 1920 die erste, so Ribbat, "wissenschaftliche Studie über die moderne Kellnerin" veröffentlichen.
So weit, so (mehr oder weniger) schmackhaft. Die Fülle an Materialien, großen und kleinen Geschichten, die das für den Leipziger Buchpreis nominierte Sachbuch offeriert, ist geradezu atemberaubend. Mit der Akribie eines Sammlers reiht Ribbat Mosaikstein an Mosaikstein, Fakt an Fakt und präsentiert alles hübsch nebeneinandergelegt, so wie die Gewürze auf einem orientalischen Basar. Doch jeder, der sich nur ein wenig mit Küche beschäftigt, ahnt: Ein Gericht wird daraus noch lange nicht.
Ribbats Anthologie hat einen entscheidenden Konstruktionsfehler – und der liegt in der Methodik. Je länger man sich durch diesen "Bauch der Moderne" voranblättert, desto überdrüssiger wird man des Collageprinzips. Die unzähligen Kurztexte, nur durch Sternchen voneinander getrennt, manchmal über die Ferne zu einem roten Faden verbunden, entfernen Ribbats vorhaben immer mehr von dem Ziel einer Kulturgeschichte des Restaurants. Der Sachbuch-Leser hat einen berechtigten Anspruch auf Interpretation und Analyse, und um die zu erreichen, bedarf es einer Systematik. Vielleicht hat sich der Autor zu sehr von mancher literarischen oder vor allem im Film mit Vorliebe praktizierte Mode verführen lassen, jegliches lineare Erzählen zu meiden. Da nützt es auch wenig, wenn Ribbat am Ende seiner kunterbunten Restauranttour im kurzen Kapitel "Restaurants deuten" dieses Prinzip zu rechtfertigen sucht: "Dieses Vorgehen – das Selektieren und Für-Sich-Stehen-Lassen hat ästhetische und pragmatische Gründe.(...) Denn das Restaurant ist ein in öffentliche und geheime Zonen unterteilter Ort, der neben Mahlzeiten und Wahrheiten stets auch Legenden produziert.(...) Und es gibt keine bessere Methode als die Montagetechnik, um das im Restaurant so einmalige Nebeneinander spürbar werden zu lassen: von kulinarischer bzw. generell narrativer Kreativität einerseits und harter Arbeit wie harten Fakten andererseits."
Das ist ein Trugschluss. Denn diese Begründung ist ein Totschlagargument. Ihr zufolge entzieht sich alles Heterogene, Komplexe einem analytischen Zugriff. Demnach müsste auch ein Koch seine Zutaten nie einer Struktur – einem Rezept – unterwerfen, sondern würde sie einfach nebeneinander präsentieren. So wie es der Autor im Schlusswort seines Buchs ziemlich entlarvend formuliert: "Um diese Intensität lebendig zu machen, wurde einiges an methodischer Raffinesse geopfert. Das Material musste noch fast roh auf den Tisch."
Das klingt so, als befände man sich erst am Anfang: Stoffsammlung beendet, allmählich könnten wir mit der Zuordnung und Kochen beginnen. Doch Ribbat scheint sein Menü bereits abgeschlossen zu haben, die Nachspeise im Schlusskapitel war das Eingeständnis, dass es zu mehr eben nicht kommen konnte. Das ist schade. Denn die unglaubliche Fleißarbeit, die hinter diesem interessanten Versuch über das Restaurant steckt, verdient Bewunderung. Auch, weil viele der Texte sprachlich fesseln. Gleichwohl, spätestens dann, wenn es dem Leser zu schmecken beginnt, muss er sich schon wieder auf einen neuen Gang konzentrieren. Variatio delectat? In diesem Fall hinterlässt die Vielfalt einen schalen Nachgeschmack. Und der Hunger auf die Kulturgeschichte des Restaurants ist nicht gestillt.
Auch Christoph Ribbat thematisiert die Geschichte einer Globalisierung, die gleichwohl deutlich jünger ist. Sein "Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne" beschäftigt sich mit jener abendländischen Einrichtung, in der das Kochen und Bewirten seit dem 18. Jahrhundert zu einer besonderen Form der Zivilisation kultiviert wurde: dem Restaurant. Und der Untertitel lässt keinen Zweifel am Ansatz des Amerikanisten, der bevor er einen Ruf an die Universität Paderborn bekam, einige Jahre auch in Basel lehrte: Was hier im Bauch der Moderne gärt und verdaut wird, hat viel mit dieser selbst zu tun. Mit ihren Lebensbedingungen – den geistigen, sozialen, politischen gleichermaßen.
Gleich im ersten Großkapitel scheint auf, dass Ribbat sich der Institution Restaurant mit Vorliebe über die Hinter- und Personaleingänge nähert. Er durchstreift die Küchen, den "Backstage"-Bereich der Bedienungen, und schnell begreift man, dass der schöne Schein, der Glanz der noblen und erst recht der weniger noblen Restaurants eine hässliche Kehrseite hat. Wenn man es nicht schon längst wusste, denn so überraschend neu sind die Einsichten auch wieder nicht. Gleichwohl ist zum Beispiel die Anglistin und Soziologin Frances Donovan, an deren Recherchen der Amerikanist Ribbat seine Leser immer wieder teilhaben lässt, eine interessante Figur. Wie eine Urahnin des investigativen Schriftstellers Günter Wallraff, dessen Karriere als Ali bei McDonalds später im Buch auch aufscheinen wird, stellt sie ihre Feldstudien ganz unten, oder noch besser ganz hinten an, bei den Spinden der Serviererinnen. Mit "The Woman Who Waits" wird die Amerikanerin 1920 die erste, so Ribbat, "wissenschaftliche Studie über die moderne Kellnerin" veröffentlichen.
So weit, so (mehr oder weniger) schmackhaft. Die Fülle an Materialien, großen und kleinen Geschichten, die das für den Leipziger Buchpreis nominierte Sachbuch offeriert, ist geradezu atemberaubend. Mit der Akribie eines Sammlers reiht Ribbat Mosaikstein an Mosaikstein, Fakt an Fakt und präsentiert alles hübsch nebeneinandergelegt, so wie die Gewürze auf einem orientalischen Basar. Doch jeder, der sich nur ein wenig mit Küche beschäftigt, ahnt: Ein Gericht wird daraus noch lange nicht.
Der Konstruktionsfehler liegt in der Methodik
Ribbats Anthologie hat einen entscheidenden Konstruktionsfehler – und der liegt in der Methodik. Je länger man sich durch diesen "Bauch der Moderne" voranblättert, desto überdrüssiger wird man des Collageprinzips. Die unzähligen Kurztexte, nur durch Sternchen voneinander getrennt, manchmal über die Ferne zu einem roten Faden verbunden, entfernen Ribbats vorhaben immer mehr von dem Ziel einer Kulturgeschichte des Restaurants. Der Sachbuch-Leser hat einen berechtigten Anspruch auf Interpretation und Analyse, und um die zu erreichen, bedarf es einer Systematik. Vielleicht hat sich der Autor zu sehr von mancher literarischen oder vor allem im Film mit Vorliebe praktizierte Mode verführen lassen, jegliches lineare Erzählen zu meiden. Da nützt es auch wenig, wenn Ribbat am Ende seiner kunterbunten Restauranttour im kurzen Kapitel "Restaurants deuten" dieses Prinzip zu rechtfertigen sucht: "Dieses Vorgehen – das Selektieren und Für-Sich-Stehen-Lassen hat ästhetische und pragmatische Gründe.(...) Denn das Restaurant ist ein in öffentliche und geheime Zonen unterteilter Ort, der neben Mahlzeiten und Wahrheiten stets auch Legenden produziert.(...) Und es gibt keine bessere Methode als die Montagetechnik, um das im Restaurant so einmalige Nebeneinander spürbar werden zu lassen: von kulinarischer bzw. generell narrativer Kreativität einerseits und harter Arbeit wie harten Fakten andererseits."
Das ist ein Trugschluss. Denn diese Begründung ist ein Totschlagargument. Ihr zufolge entzieht sich alles Heterogene, Komplexe einem analytischen Zugriff. Demnach müsste auch ein Koch seine Zutaten nie einer Struktur – einem Rezept – unterwerfen, sondern würde sie einfach nebeneinander präsentieren. So wie es der Autor im Schlusswort seines Buchs ziemlich entlarvend formuliert: "Um diese Intensität lebendig zu machen, wurde einiges an methodischer Raffinesse geopfert. Das Material musste noch fast roh auf den Tisch."
Das klingt so, als befände man sich erst am Anfang: Stoffsammlung beendet, allmählich könnten wir mit der Zuordnung und Kochen beginnen. Doch Ribbat scheint sein Menü bereits abgeschlossen zu haben, die Nachspeise im Schlusskapitel war das Eingeständnis, dass es zu mehr eben nicht kommen konnte. Das ist schade. Denn die unglaubliche Fleißarbeit, die hinter diesem interessanten Versuch über das Restaurant steckt, verdient Bewunderung. Auch, weil viele der Texte sprachlich fesseln. Gleichwohl, spätestens dann, wenn es dem Leser zu schmecken beginnt, muss er sich schon wieder auf einen neuen Gang konzentrieren. Variatio delectat? In diesem Fall hinterlässt die Vielfalt einen schalen Nachgeschmack. Und der Hunger auf die Kulturgeschichte des Restaurants ist nicht gestillt.
Christoph Ribbat: Im Restaurant. Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 229 Seiten, 19,95 Euro
von Alexander Dick
am
Mi, 16. März 2016 um 13:27 Uhr