Kunst

Die Ausstellung "RealSurreal" in Zürich thematisiert das neue Sehen in der Fotografie

Die Ausstellung "RealSurreal" in Zürich thematisiert das neue Sehen in der Fotografie.

"Einen Namen bitte ich nicht hinzuzufügen. Es sind nur Dokumentationsfotos", meinte der französische Fotograf Eugène Atget einmal. Die alte Auffassung, wonach die Fotografie lediglich die Wirklichkeit abbildet, drückt sich darin aus. "Ich fotografiere nicht die Realität, ich fotografiere meine Fantasie", sagte demgegenüber Man Ray. Ein Quantensprung im Selbstverständnis der Fotografie hat sich zwischen den beiden Äußerungen ereignet. Die Ausstellung "RealSurreal" im Museum Bellerive in Zürich – einem Haus des Museums für Gestaltung – zeichnet den tief greifenden Wandel nach.

Mit rund 220 Fotografien sowie mit historischen Zeitschriften, Foto- und Künstlerbüchern bebildert die in Kooperation mit dem Kunstmuseum Wolfsburg realisierte Schau die Kopernikanische Wende in der Fotografie; berühmte Filme wie Louis Buñuels "Ein andalusischer Hund" beleuchten ergänzend die enge Wechselbeziehung zwischen Avantgardefotografie und Kino. Am Beginn des Parcours dienen seltene Aufnahmen aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert als Kontrastfolie für die facettenreiche Dokumentation des neuen Sehens zwischen 1920 und 1950 in Deutschland, Frankreich und bei der Prager Avantgarde.

Suchte der Piktorialismus die schnöde Wirklichkeitsabbildung noch in der Angleichung der Fotografie an kompositorische Standards der Malerei zu adeln, besann sich um 1920 eine neue Generation von Fotografen auf die Eigengesetzlichkeit der Lichtbildkunst. Zudem eröffneten technische Fortschritte wie die Entwicklung der Rollfilmkamera oder auch Experimente mit Fotomontage und Fotogramm sowie die Wahl ungewohnter Perspektiven ganz neue Möglichkeiten für die Fotografie.

Zumal die Künstler des Surrealismus revolutionierten die Fotokunst. Mittels Montage und Collage verwandelten sie das "Aufzeichnungsinstrument" Kamera in ein Werkzeug der Écriture automatique selbst. Herbert Bayers "Selbstporträt" als demolierte Schaufensterpuppe oder sein "Einsamer Großstädter" mit Augen-Händen, Hans Bellmers mysteriöse "Puppe" und František Drtikols "Kreissegment (Bogen)" aus weiblichen Kurven sowie Man Rays Fotogravur "Elektrizität" entwarfen traumgleiche Bildwelten fern der Alltagsrealität, die sich aus ihrem Fundus speiste. Ist doch – Brassaï war’s, der das Wort gelassen aussprach – nichts surrealer als die Wirklichkeit.

Termine: Museum Bellerive, Höschgasse 3, Zürich. Bis 24. Juli, Di bis So 10-17 Uhr, Do bis 20 Uhr
von Hans-Dieter Fronz
am Fr, 01. April 2016

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