Theater der Immoralisten
"Emilia Galotti": Schwarz-Weiß-Malerei
"Viel Vergnügen", wünscht der Regisseur seinem Publikum – und der Herr in der zweiten Reihe wundert sich: Ein Trauerspiel wird gegeben, ein Happy End ist definitiv nicht zu erwarten – und da soll man sich vergnügen? In der Tat, Manuel Kreitmeiers Wunsch scheint vermessen. Doch sind wir bei den Immoralisten, dieser famosen freien Theatertruppe, die nun seit fast fünf Jahren ihr eigenes Haus im Freiburger Stadtteil Stühlinger bespielt und deren Stücke – hier sei nochmal der Herr aus der zweiten Reihe zitiert – "wir meist mit Gewinn sehen". Aha. Vielleicht wird so ein Schuh draus: Wo Gewinn, da auch Vergnügen?
Nach knapp zwei Stunden wissen wir mehr: Emilia Galotti stirbt, wie auch in Lessings gleichnamigem Trauerspiel. Der Weg dorthin wird von Regisseur Kreitmeier und seinem sechsköpfigen Schauspielensemble keineswegs beschönigt und eindrucksvoll in Lessings präziser Sprache transportiert: Ein eiskalter Marinelli erfüllt den Wunsch des machtverwöhnten Prinzen, der seine Geliebte Orsina leid ist und sich in die Bürgerstochter Emilia Galotti verliebt hat.
Emilia soll just an dem Tag den Grafen Appiani heiraten, was Marinelli und sein Prinz auf perfide Art und Weise zu verhindern wissen. Appiani muss sterben, Emilia und ihre Mutter werden auf des Prinzen Lustschloss gebracht. Emilias Vater, der mit dem Prinzen ganz und gar nicht gut steht, will Frau und Tochter zu Hilfe eilen – und tötet seine Emilia, da beide einig sind, dass der Tod besser ist als der drohende Verlust von Unschuld, Anstand und Moral im Dunstkreis des Adels.
So weit, so traurig. Kreitmeiers Annäherung an den Klassiker aber ist wunderbar leicht, spielerisch, humorvoll und distanziert – ohne abstrakt zu werden. Ihn interessieren an diesem Stück die psychologischen Tiefen der Figuren, die eben nicht nur gut oder böse sind, wie Odoardo Galotti meint, der die Welt gerne in Schwarz oder Weiß einteilt.
Schwarz und Weiß sind die Farben dieser Inszenierung. Der eindrucksvolle schwarz-weiße Prospekt, der sich über die ganze Bühne zieht, erinnert an ein Gemälde des Op-Art-Künstlers Victor Vasarely – Flächen und Linien, Krümmungen und Blasen – und in der Mitte: der Strudel, der die Charaktere unweigerlich in den Abgrund zieht. Schwarz gekleidet sind Marinelli (mit kalter Böswilligkeit gespielt von Florian Wetter) und der Prinz (fein zwischen verantwortungslosem Luftikus und Angsthase platziert ihn Jochen Kruß); ganz in Weiß die reine Emilia (zart und verletzlich: Chris Meiser). In einem silbernen Ganzkörper-Raumanzug tritt Antonio Denscheilmanns Vater Gallotti auf: ein bürgerlicher Spießer, der die Welt nur durch das schmale Fenster in seinem Astronautenhelm zu betrachten in der Lage ist. In Begrenztheit und Enge hält er sich Frau (überzeugend als Gescheiterte: Anna Tomicsek) und Tochter – allein, weil ihm abstrakte Moral eine größere Kategorie zu sein scheint als Freiheit und Gefühl. Er ist brutal und autoritär, und er ist so verblendet, dass er seine Tochter lieber tötet, als von ihr zu lernen, was Leben heißen könnte. Konsequenterweise sagt bei Kreitmeier Emilias Mörder und nicht das Opfer selber den Satz: "Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert".
Das Vergnügen an dieser Produktion macht sich schließlich in den liebevollen Details fest, um die sich die Immoralisten stets kümmern: So wird der tote Appiani (Uwe Gilot, der auch als blitzgescheite Orsina glänzt) in einem Einkaufswagen über die Bühne geschubst. Auch werden einige Sätze via Mikrophon transportiert; der Hall, der in die Zuschauerreihen steigt, potenziert dabei sowohl Tragik wie auch Komik der gespielten Situation. Das Mikro verstärkt Jochen Kruß’ eindrucksvolle Leonard-Cohen-Interpretationen, wie auch die live von Kreitmeier eingespielte elektronische Musik für eine weitere Spannungsebene neben den Dialogen sorgt.
Der begeisterte Premierenapplaus für das Ensemble beweist: Lessings Klassiker in den Händen der Freiburger Immoralisten ist Vergnügen und Gewinn gleichermaßen.
– Weitere Aufführungen: bis 14. Februar, immer donnerstags bis samstags, 20 Uhr. Info: Tel. 0761/4968888. von Heidi Ossenberg
Nach knapp zwei Stunden wissen wir mehr: Emilia Galotti stirbt, wie auch in Lessings gleichnamigem Trauerspiel. Der Weg dorthin wird von Regisseur Kreitmeier und seinem sechsköpfigen Schauspielensemble keineswegs beschönigt und eindrucksvoll in Lessings präziser Sprache transportiert: Ein eiskalter Marinelli erfüllt den Wunsch des machtverwöhnten Prinzen, der seine Geliebte Orsina leid ist und sich in die Bürgerstochter Emilia Galotti verliebt hat.
Der Strudel, der in den Abgrund zieht
Emilia soll just an dem Tag den Grafen Appiani heiraten, was Marinelli und sein Prinz auf perfide Art und Weise zu verhindern wissen. Appiani muss sterben, Emilia und ihre Mutter werden auf des Prinzen Lustschloss gebracht. Emilias Vater, der mit dem Prinzen ganz und gar nicht gut steht, will Frau und Tochter zu Hilfe eilen – und tötet seine Emilia, da beide einig sind, dass der Tod besser ist als der drohende Verlust von Unschuld, Anstand und Moral im Dunstkreis des Adels.
So weit, so traurig. Kreitmeiers Annäherung an den Klassiker aber ist wunderbar leicht, spielerisch, humorvoll und distanziert – ohne abstrakt zu werden. Ihn interessieren an diesem Stück die psychologischen Tiefen der Figuren, die eben nicht nur gut oder böse sind, wie Odoardo Galotti meint, der die Welt gerne in Schwarz oder Weiß einteilt.
Schwarz und Weiß sind die Farben dieser Inszenierung. Der eindrucksvolle schwarz-weiße Prospekt, der sich über die ganze Bühne zieht, erinnert an ein Gemälde des Op-Art-Künstlers Victor Vasarely – Flächen und Linien, Krümmungen und Blasen – und in der Mitte: der Strudel, der die Charaktere unweigerlich in den Abgrund zieht. Schwarz gekleidet sind Marinelli (mit kalter Böswilligkeit gespielt von Florian Wetter) und der Prinz (fein zwischen verantwortungslosem Luftikus und Angsthase platziert ihn Jochen Kruß); ganz in Weiß die reine Emilia (zart und verletzlich: Chris Meiser). In einem silbernen Ganzkörper-Raumanzug tritt Antonio Denscheilmanns Vater Gallotti auf: ein bürgerlicher Spießer, der die Welt nur durch das schmale Fenster in seinem Astronautenhelm zu betrachten in der Lage ist. In Begrenztheit und Enge hält er sich Frau (überzeugend als Gescheiterte: Anna Tomicsek) und Tochter – allein, weil ihm abstrakte Moral eine größere Kategorie zu sein scheint als Freiheit und Gefühl. Er ist brutal und autoritär, und er ist so verblendet, dass er seine Tochter lieber tötet, als von ihr zu lernen, was Leben heißen könnte. Konsequenterweise sagt bei Kreitmeier Emilias Mörder und nicht das Opfer selber den Satz: "Eine Rose gebrochen, ehe der Sturm sie entblättert".
Das Vergnügen an dieser Produktion macht sich schließlich in den liebevollen Details fest, um die sich die Immoralisten stets kümmern: So wird der tote Appiani (Uwe Gilot, der auch als blitzgescheite Orsina glänzt) in einem Einkaufswagen über die Bühne geschubst. Auch werden einige Sätze via Mikrophon transportiert; der Hall, der in die Zuschauerreihen steigt, potenziert dabei sowohl Tragik wie auch Komik der gespielten Situation. Das Mikro verstärkt Jochen Kruß’ eindrucksvolle Leonard-Cohen-Interpretationen, wie auch die live von Kreitmeier eingespielte elektronische Musik für eine weitere Spannungsebene neben den Dialogen sorgt.
Der begeisterte Premierenapplaus für das Ensemble beweist: Lessings Klassiker in den Händen der Freiburger Immoralisten ist Vergnügen und Gewinn gleichermaßen.
– Weitere Aufführungen: bis 14. Februar, immer donnerstags bis samstags, 20 Uhr. Info: Tel. 0761/4968888. von Heidi Ossenberg
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Mo, 08. Dezember 2014