Literat(o)ur
Erkenntnisse, vom Winde verweht? Wanderung auf den Spuren Martin Heideggers
Ein Schwarzwaldort, der sich an den Hang schmiegt, eingebettet in eine Landschaft wie aus dem Prospekt: das ist Todtnauberg. Wer hierher kommt, sucht Stille, bekommt steile Wiesen, Weite, Wind und ein Alpenpanorama, das auf Postkarten kitschig wirken würde, aber in echt einfach umwerfend ist, gratis dazu. Diese Stille war es auch, die den berühmtesten Gelegenheitsbewohner des Orts angezogen hat. Auf dessen Spuren kann man 6,2 Kilometer lang wandeln, auf dem Martin-Heidegger-Rundweg.
Dort in Todtnauberg hat er Jahre seines Lebens verbracht. Hat geschrieben, ist durch den Schnee gestapft oder ist im Sommer gewandert: Martin Heidegger, ebenso unbestritten genialer wie umstrittener Existenz-Philosoph, dessen Werk "Sein und Zeit" über die Philosophieszene hinweggewalzt ist wie ein Sturm aus dem Schwarzwald – und der mit den ab 2014 veröffentlichten "Schwarzen Heften" den guten Glauben so mancher restlos entwurzelte, die ihn zuvor für antisemitische Gedanken eher nicht anfällig hielten.
Von Stürmen und Entwurzelungen ist heute, zumindest wettermäßig, nichts zu spüren. Über den tiefblauen Himmel huschen Wolkenfetzen, und der Wind wuschelt nur sanft durch die Bäume und Tannen, die wellige Wiesen vom Horizont trennen. Am Wanderparkplatz Ratschert startet der aussichtsreich einmal um den Ort führende Weg.
Die Kiesel knirschen unter den Wanderstiefeln, hier also hat Heidegger berühmte Besucher wie den Lyriker und Holocaustüberlebenden Paul Celan und die Philosophin Hannah Arendt empfangen. Oder den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein zu einem Interview, das aber ganz nach Heideggers Gusto erst nach seinem Tod erscheinen durfte. Schautafeln stehen am Wegesrand, worauf "einige Fragen gestellt und bescheidene Antworten gegeben" werden, wie es zur Einführung heißt. Aha. Die Tafel "Biografisches" und auch der an der Touristinfo erhältliche Prospekt zu Martin Heidegger jedenfalls führen einiges an, was wir an anderer Stelle ganz anders gelesen haben – nun ja, mit Antworten oder Ansichten ist es wie mit der Philosophie: Sie ist kompliziert. Und vieldeutig. Ein Wind streicht unangenehme Gedanken weg, und wir gehen zumindest mit einer anderen Passage d’accord: "Die Stille, die intakte Natur und die frische, klare Luft Todtnaubergs ließen ihn denken und schreiben."
Geschrieben hat Heidegger in einer winzigen Studierstube in der einfachen Hütte, die seine Frau Elfriede bauen ließ. Sie diente ihm als Refugium und wurde von der Familie ab 1929 tage- und wochenweise bewohnt – von den Nachfahren übrigens noch bis heute, wie ein weiteres Schild verrät und um Rücksicht auf die Privatsphäre bittet.
Auch ohne den Gang zur Hütte bekommt man sie immer wieder von weitem aus allen möglichen Blickwinkeln zu sehen. Vom überdimensionalen Hochsitz aus etwa, der als riesiger Stuhl am Wegrand steht, sich erklettern lässt und eine traumhafte Aussicht bietet: wie ein Lego-Dorf liegt uns Todtnauberg zu Füßen, unser Blick kann schweifen, weit, weit über die Berge hinweg. Noch andere hübsche Rastplätze gibt es unterwegs, drei hölzerne Vogelhäuschen etwa, in die man landsitzen kann wie ein Schild besagt und den Alpenblick genießen. Oder die Bänke vor der Kapelle, bevor es zur Rütte hinuntergeht.
Dazwischen geben die restlichen Tafeln Leseempfehlungen und beschreiben Anekdoten, wie diejenige, dass eine Einheimische auf Heideggers Frage, ob sie ihr geschenktes "Sein und Zeit" schon gelesen habe, zur Antwort gab: "Versucht zu lesen haben wir’s schon, aber das versteht man ja nicht." Die Tafel, auf der das stand, fehlt übrigens, wie eine weitere der ursprünglich fünf. Die seien einfach verschwunden, hört man. Doch es sollen so bald wie möglich neue kommen.
Und die Erkenntnis am Ende des Wegs? Da ist er wieder, der Wind, streicht über Wiesen und bringt das mit, was Todtnauberg ausmacht: die Stille, probates Mittel zum Philosophieren. von anfe
Dort in Todtnauberg hat er Jahre seines Lebens verbracht. Hat geschrieben, ist durch den Schnee gestapft oder ist im Sommer gewandert: Martin Heidegger, ebenso unbestritten genialer wie umstrittener Existenz-Philosoph, dessen Werk "Sein und Zeit" über die Philosophieszene hinweggewalzt ist wie ein Sturm aus dem Schwarzwald – und der mit den ab 2014 veröffentlichten "Schwarzen Heften" den guten Glauben so mancher restlos entwurzelte, die ihn zuvor für antisemitische Gedanken eher nicht anfällig hielten.
Von Stürmen und Entwurzelungen ist heute, zumindest wettermäßig, nichts zu spüren. Über den tiefblauen Himmel huschen Wolkenfetzen, und der Wind wuschelt nur sanft durch die Bäume und Tannen, die wellige Wiesen vom Horizont trennen. Am Wanderparkplatz Ratschert startet der aussichtsreich einmal um den Ort führende Weg.
Die Kiesel knirschen unter den Wanderstiefeln, hier also hat Heidegger berühmte Besucher wie den Lyriker und Holocaustüberlebenden Paul Celan und die Philosophin Hannah Arendt empfangen. Oder den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein zu einem Interview, das aber ganz nach Heideggers Gusto erst nach seinem Tod erscheinen durfte. Schautafeln stehen am Wegesrand, worauf "einige Fragen gestellt und bescheidene Antworten gegeben" werden, wie es zur Einführung heißt. Aha. Die Tafel "Biografisches" und auch der an der Touristinfo erhältliche Prospekt zu Martin Heidegger jedenfalls führen einiges an, was wir an anderer Stelle ganz anders gelesen haben – nun ja, mit Antworten oder Ansichten ist es wie mit der Philosophie: Sie ist kompliziert. Und vieldeutig. Ein Wind streicht unangenehme Gedanken weg, und wir gehen zumindest mit einer anderen Passage d’accord: "Die Stille, die intakte Natur und die frische, klare Luft Todtnaubergs ließen ihn denken und schreiben."
Geschrieben hat Heidegger in einer winzigen Studierstube in der einfachen Hütte, die seine Frau Elfriede bauen ließ. Sie diente ihm als Refugium und wurde von der Familie ab 1929 tage- und wochenweise bewohnt – von den Nachfahren übrigens noch bis heute, wie ein weiteres Schild verrät und um Rücksicht auf die Privatsphäre bittet.
Auch ohne den Gang zur Hütte bekommt man sie immer wieder von weitem aus allen möglichen Blickwinkeln zu sehen. Vom überdimensionalen Hochsitz aus etwa, der als riesiger Stuhl am Wegrand steht, sich erklettern lässt und eine traumhafte Aussicht bietet: wie ein Lego-Dorf liegt uns Todtnauberg zu Füßen, unser Blick kann schweifen, weit, weit über die Berge hinweg. Noch andere hübsche Rastplätze gibt es unterwegs, drei hölzerne Vogelhäuschen etwa, in die man landsitzen kann wie ein Schild besagt und den Alpenblick genießen. Oder die Bänke vor der Kapelle, bevor es zur Rütte hinuntergeht.
Dazwischen geben die restlichen Tafeln Leseempfehlungen und beschreiben Anekdoten, wie diejenige, dass eine Einheimische auf Heideggers Frage, ob sie ihr geschenktes "Sein und Zeit" schon gelesen habe, zur Antwort gab: "Versucht zu lesen haben wir’s schon, aber das versteht man ja nicht." Die Tafel, auf der das stand, fehlt übrigens, wie eine weitere der ursprünglich fünf. Die seien einfach verschwunden, hört man. Doch es sollen so bald wie möglich neue kommen.
Und die Erkenntnis am Ende des Wegs? Da ist er wieder, der Wind, streicht über Wiesen und bringt das mit, was Todtnauberg ausmacht: die Stille, probates Mittel zum Philosophieren. von anfe
am
Mo, 23. September 2019