Elsass

Freilichtmuseum Écomusée d'Alsace zeigt das Leben vor 200 Jahren

Das Écomusée entführt in magische Welten – ganz ohne Kitsch.

Die Nüstern der zwei braunen Kaltblutpferde blähen sich auf. Der Atem, den sie ausstoßen, wird in der kalten Luft sichtbar. Mit schweren Schritten ziehen sie die lange Holzkutsche über matschige Feldwege, vorbei an einem kleinen See, einer Köhlerstätte und Kräutergärten. Plötzlich legen sie an Tempo zu, verfallen in Trab. Au
f der Kutsche wird es nun ziemlich zugig und holprig. Ein Mann namens Guy Macchi erklärt währenddessen mit lauter Stimme, dass auf diesem 40 Hektar großen Gelände Äpfel, Zwetschgen, Reben, Pflaumen und verschiedenes Gemüse angebaut werden. Doch für was werden all diese Äpfel, Zwetschgen, Reben und die Kohle, die in den Köhlerhütten hergestellt wird, benötigt? "Für den Schnaps und die Versorgung im Écomusée d’Alsace", sagt Macchi.

Das Écomusée im elsässischen Ungersheim ist ein Freilichtmuseum. Es hat sich zur Aufgabe gemacht, die elsässische Architektur und Kultur zu erhalten. Am Anfang dieser Unternehmung stand die Gründung des Vereins Maisons Paysannes d’Alsace im Jahr 1973, zu dessen Gründungsmitgliedern auch Guy Macchi zählte. Mit der Idee, alte Bauernhäuser abzureißen und an einem anderen Standort wieder aufzubauen, legte der Verein den Grundstein für das Écomusée. Heute werden dort Sandwege und Kopfsteinpflaster von 73 alten Fachwerkhäuser gesäumt. Zusammen bilden sie ein zehn Hektar großes Dorf, in welchem vermittelt werden soll, wie die Menschen vor 100 Jahren im Elsass gelebt haben.

Von der Reise durch die Äcker zurück, rollen wir auf den Place des Artisans, steigen von der wackeligen Kutsche und lassen uns von Guy Macchi durch das traditionsträchtige Dorf führen. Auf dem Hof eines grauen Bauernhauses lagert ein großer Misthaufen, der in der Kälte dampft, im Garten nebenan watscheln Graugänse und Enten umher, deren Schnatterkonzert mit jedem Schritt, mit dem wir uns nähern, lauter wird. Entspanntere Zeitgenossen sind im urigen Stall anzutreffen: Zwei schwarz-weiße Rinder, die nichts gegen eine kleine Streicheleinheit haben. Es ist schon fast verwunderlich, dass im Innern des Hauses kein waschechter Bauer auf uns wartet, ist der Hof doch von so vielen Lebewesen bewohnt. Die Räume im Haus sind klein, spärlich eingerichtet, ihre Decken niedrig. So mancher muss sich ducken, wenn er durch den Türrahmen gehen will. Es riecht nach Staub und altem Holz, schließlich hat das Haus mehr als 100 Jahre auf dem Buckel.

Wettervorhersage mit Hilfe

des Zwiebelorakels

Die Verantwortlichen wollen den Besuchern des Écomusées zeigen, dass das damalige Leben und gerade auch die Weihnachtszeit im Elsass "hart aber schön" waren, so der Direktor Eric Jacob. Gezeigt wird das anschaulich an den Abenden vor Weihnachten. In den Häusern zeigen verschiedene Vorstellungen, wie die Menschen anno dazumal die Tage vor dem 24. Dezember verbracht haben.

So langsam wird es dunkel in dem kleinen Fachwerkdorf. Menschen in altertümlichen Kostümen ziehen durch die Gassen. Das Licht, das nach draußen auf die Straßen fällt, rührt nicht einzig und allein vom Kerzenschein. Ausnahmsweise haben sich die Museumsmacher moderner Technik bedient: Strahler und weihnachtliche Lichterketten ermöglichen den Weg durch die Dunkelheit, erhellen die Häuser und erinnern uns daran, in welchem Jahrzehnt wir tatsächlich leben.

Zuerst gelangen wir in eine Holzschuhmacherei. Dort sitzt ein kleiner Junge, der unermüdlich Holzschuhe schleift. Die Menschen um ihn herum nimmt er kaum wahr. Vater und Mutter leisten ihm am Handwerkstisch Gesellschaft. Draußen gehen wir weiter die Gasse entlang. Durch das Fenster eines Hauses sind vier Frauen zu sehen, die gemeinsam zu Abend essen. Dies ist auch für die heutige Zeit nicht allzu ungewöhnlich, was sich auf dem Hof abspielt aber schon: Dort dreschen Männer Weizen, eine Bäuerin treibt eine schnatternde Herde Gänse über den Hof und der Mostbrenner destilliert am alten Ofen Spirituosen.

In einem anderen Haus stricken ein paar alte Damen Anziehsachen für die kalten Tage. Uns wird erklärt, dass sich die Menschen damals jeden Abend in einem anderen Haus getroffen haben, um Feuerholz oder Kohle zu sparen. Eine Dorfbewohnerin versucht sogar mit Hilfe eines Zwiebelorakels vorauszusagen, wie das Wetter in den kommenden Monaten wird. Sie bestreut Zwiebelscheiben mit Salz und liest daraus, ob in der nächsten Zeit mit wenig oder viel Niederschlag zu rechnen ist.

Gegen Ende unserer Tour durch das Dorf gelangen wir in einen von Zigeunern belagerten Hinterhof. Eine in glitzernde Stoffe gehüllte Artistin lockt die Menschen immer weiter in das Versteck. Sie tanzt zwischen Wohnwägen, zwei nostalgischen Karussellen und der Menschenmenge umher und bietet ihre Kunststücke dar. Plötzlich wird sie von einem aufgeregten Mann unterbrochen. Es scheint etwas im Gange zu sein: Lichter erscheinen in der Dunkelheit – langsam versammelt sich die ganze Dorfgemeinschaft auf dem Platz. Auf einem Holzwagen kniet eine junge Frau, die ein Kind in weißen Laken in den Armen hält. Die Dorfbewohner eilen zu ihr und betrachten das Neugeborene.

Für einige Sekunden friert das Geschehen ein. Auf dem Scheunentor erscheint eine Abbildung des Gemäldes "L’Adoration des Bergers" von Jean Michelin, das zeigt, wie die Hirten das neugeborene Jesuskind bewundern. Das Gemälde und die dargestellte Szene direkt vor unseren Augen sind fast identisch. Die Menschen um uns herum beginnen zu singen. Wir befinden uns mitten in einem Schauspiel und wurden gerade Zeuge der Geburt des Jesuskindes.
von Monique Reinbold
am Fr, 12. Dezember 2014

ÉCOMUSÉE D’ALSACE

Öffnungszeiten: 29. Nov.- 9. Dez, Mi-So, 20. Dez.-4. Jan., täglich,
10-18 Uhr; 24. und 31. Dez. 10-16 Uhr

Eintritt: Erwachsene 12,50 Euro, Kinder 9,50 Euro, ab 16 Uhr 7 Euro/5 Euro

Kontakt: Écomusée d’Alsace, Ungersheim, Chemin du Grosswald, 389/744474, http://www.ecomusee-alsace.fr  

Autor: bz

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