Deutsches Kaisererbe im Elsass

Führung durch die Straßburger Neustadt

Ausflug in die Gründerzeit: Eine Führung durch die Straßburger Neustadt.

Francois Muller ist Elsässer, Guide in seiner Heimatstadt Straßburg und leidenschaftlicher Orgelspieler. So leidenschaftlich, dass er vor einigen Jahren alles daran setzte, eine Wohnung aufzutun, in der sein geliebtes Instrument – 2,80 Meter hoch und sperrig – auch hineinpasste. "Das klingt schwieriger, als es war", plaudert er bei einer Führung durch die Neustadt, in der er schließlich fündig wurde.

Kein Wunder: Denn in dem aus der Zeit des letzten deutschen Kaisers, Wilhelm II, stammenden deutschen Viertel im Nordosten der elsässischen Metropole ist alles ein bisschen größer, höher und irgendwie auch protziger als sonst irgendwo in der Stadt. Die imposanten Wohnhausreihen, die Jugendstilvillen mit ihren Vorgärten und die herrschaftlichen Repräsentationsgebäude wurden allesamt zwischen 1871 und 1918 erbaut. Sie säumen breite Boulevards und sind erstaunlich gut erhalten, während in manchen deutschen Städten die Bomben des Zweiten Weltkriegs ähnliche Ensembles zerstört haben.

Das kaiserliche Erbe hat eine besondere Geschichte: Als Frankreich nach dem Ende des deutsch-französischen Kriegs weite Gebiete im Osten an Deutschland abtreten musste, wurde Straßburg Hauptstadt des Reichslands Elsass-Lothringen und stampfte die riesige "Ville Allemande" aus dem Boden – nicht zuletzt um Zehntausenden Zuzüglern aus Deutschland Wohnraum bieten zu können. "La Neustadt", wie Muller in einer Mischung aus Deutsch und Französisch bei unserem Rundgang witzelt, hat seit dem Sommer 2017 sogar Weltkulturerbestatus. "Deutsche Architektur als französisches Kulturerbe", sagt der Guide stolz und berichtet von einem zunehmenden Interesse an diesem Teil der Stadt.

Seit nämlich die Vorbehalte der Elsässer gegenüber der wilhelminischen Architektur verstummt sind und diese touristisch stärker in den Fokus gerückt ist, gibt es vermehrt geführte Rundgänge abseits der Grand-Île, wie das historische Stadtzentrum mit dem Münster, den Fachwerkfassaden und den mit Gästen aus aller Welt bevölkerten typischen Weinstuben heißt.

Die Gegensätze zwischen Elsässer Beschaulichkeit in der Altstadt und der Gründerzeitarchitektur im Deutschen Viertel könnten nicht größer sein. Dabei sind es nur ein paar hundert Meter von den verwinkelten Gässchen über die Brücke mit den Löwenköpfen zum Kaiserplatz, der heute "Place de la République" heißt und mit einer Parkanlage in der Mitte besticht. Der restaurierte Kaiserpalast mit seiner preußischen Pickelhaube (heute Sitz einer Behörde) thront am oberen Ende. Dass sich Kaiser Wilhelm II. gar nicht so oft in dem pompösen Gebäude aufgehalten haben soll, erzählt Mueller nebenbei: "Es erinnerte ihn wohl zu sehr an das Elefantenhaus im Berliner Tiergarten."

In dieser Gegend stehen weitere Repräsentationsbauten des Reichs – Bibliothek und Justizministerium zum Beispiel. Und wer geradewegs durch die Grünanlagen vorbei an frühlingshaft blühenden Bäumen und dem Denkmal für die Opfer der beiden Weltkriege schlendert, steuert direkt auf die neoklassizistische Universität zu – als Geburtsstätte Europas und den Ort der ersten Versammlung des Europarats im Jahr 1949.



Weitere Infos: Stadtführungen (auch durch die
Neustadt) in Straßburg unter
http://www.guide-strasburg.com
Tourist Office, 17 Place de la Cathédrale, Tel. 0033/388/522828
von Ulrike Ott
am Fr, 12. April 2019

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