Rock & Pop

Gegensätzliche Zwillinge sind der Pop-Hype des Jahres

Das Duo Ibeyi aus zwei Pariser Schwestern gilt als vielversprechende Entdeckung zwischen Pop, Club und Weltmusik. Am Wochenende treten sie in Straßburg auf.

Einer der großen Pop-Hypes dieses Jahres kommt aus Paris, hat afrikanisch-kubanische Wurzeln, einen weltberühmten Vater und serviert "zeitgemäße Negro-Spirituals". Noch Fragen? Die werden vielleicht beim Konzert von Ibeyi in Straßburg beantwortet.

Kein Zweifel: Anga Diaz war eine Koryphäe. Ein kubanischer Percussionist der Spitzenklasse, der 2006 – mit nur 45 Jahren – an den Folgen eines Herzinfarkts gestorben ist, und dessen Nachlass zum einen aus Bestsellern von Ry Cooder und dem Buena Vista Social Club besteht, aber auch aus den Zwillingen Lisa und Naomi. Die haben nun ihr erstes Album unter dem Namen Ibeyi vorgelegt und werden nun als große Neuentdeckung gefeiert.

Ein Treffen mit den 20-Jährigen ist eine echte Herausforderung: Die beiden sind komplett überdreht, reden wild durcheinander, glänzen durch naive Ansichten und streiten gerne und viel. "Das gehört bei uns einfach dazu", erklärt Lisa, nachdem sie sich ein kurzes, heftiges Wortgefecht mit Naomi geliefert hat, die ihr ein paar Mal nonchalant in die Parade gefahren ist. "Aber auch, wenn es zunächst heftig wirkt, ist es doch nie wirklich schlimm. Es liegt halt an unserer Gegensätzlichkeit, denn ich habe noch nie Zwillinge erlebt, die unterschiedlicher wären als wir. Was andererseits aber auch gut ist, denn auf diese Weise ergänzen wir einander. Wir sagen immer: ‚Zusammen sind wir die perfekte Frau‘."

Tatsächlich haben sie mehr gemeinsam, als sie zugeben: Sie sind talentierte Multiinstrumentalistinnen und Sängerinnen, besitzen ein gesundes Selbstbewusstsein und wähnen sich auf einer regelrechten Mission: Sie setzen die Tradition und Profession ihres Vaters fort, indem sie zwar sein Instrument, die Cajon-Conga, spielen, aber halt auf ihre ureigene Weise – und mit therapeutischem Anspruch, wie Lisa betont: "Ich habe nach dem Tod meines Vaters angefangen zu spielen – weil mir das ein gutes Gefühl gegeben hat. Insofern ist Musik für mich wie eine Therapie. Und Kunst ebenfalls. Ich spiele jede Nacht den Schmerz weg und gewinne am Ende von jedem einzelnen Song. Was ein wunderbares Gefühl ist. Als ob die Welt eins wäre. Ich fühle mich verbunden mit anderen Menschen, mit mir, Naomi, meinem Vater. Es ist, als ob uns die Kunst vereint."

Der Kunst-Anspruch ist auf "Ibeyi", dem Album, denn auch so ausgeprägt, dass die Zwillinge, die mit ihrer Mutter und Managerin in Paris leben, für jede Menge frischen Wind in der Popmusik sorgen. Eben mit einem Soundclash aus Jazz und R&B, aus Gestern und Heute, der allein auf dem konträren Musikgeschmack von Lisa und Naomi basiert. Die eine steht auf Nina Simone und Billie Holiday. Die andere auf The Roots, Erykah Badu und Kendrick Lamar. Zwei Geschmäcker, die sich auf wundersame Weise ergänzen. Oder wie es Naomi formuliert: "Ich wusste, dass ich einen Sound wollte, der organisch und intim ist. Aber ich wusste nicht, wie ich ihn erreiche. Bis Lisa die Idee hatte, unsere Gegensätze zusammenzufügen. Wir haben den perfekten Mix aus ihr und mir gefunden."

Diesen Mix würzen Lisa und Naomi mit afrikanischen und kubanischen Einflüssen – und singen auf Englisch, Spanisch, Französisch oder Yoruba, einer populären westafrikanischen Sprache. Das Ergebnis nennen sie grinsend "Contemporary Negro Spirituals" – zeitgemäße Negrospirituals. "Der Begriff ist unsere Erfindung. Einfach, weil wir uns gefragt haben, wie wir unsere Musik am besten beschreiben könnten, was ziemlich schwierig war. Bis unsere Mutter meinte: ‚Es hat was von Negrospirituals.‘ Was stimmt – und es ist irre, dass die Leute keine Beziehung zwischen Afrika und Kuba knüpfen. Denn Kuba hat viel von der afrikanischen Kultur und alle Inselbewohner träumen davon, irgendwann nach Nigeria oder Benin – die Länder ihrer Ahnen – zurückzukehren."

Doch das Unkonventionelle an diesem Duo beschränkt sich nicht allein auf die Musik, es setzt sich auch in den Texten fort, die zumeist als Gebet angelegt sind – mit lauter frommen Wünschen. So hoffen Lisa und Naomi auf einen neuen Lebensgefährten für ihre Mutter, beschwören den eigenen Traummann und wünschen sich Liebe, Frieden und Glück. Ein bisschen naiv, aber mit Denkanstößen, die das wahre Gesicht der Diaz-Schwestern zeigen: als charmante, jugendliche Weltverbesserer. "Ich glaube, dass Liebe, Kunst und Menschlichkeit eine Antwort auf all unsere Fragen sein könnten", so Lisa in einem philosophischen Moment. "Und ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine bessere Welt erschaffen könnten, wenn wir daran arbeiten. Was vielleicht eine Utopie ist, aber ich halte mich daran fest." Noch Fragen?

Straßburg, Ibeyi, La Laiterie, Sa, 6. Juni, 20.30 Uhr; Vorverkauf beim BZ-Karten-Service (bz-ticket.de/karten oder Tel. 0761 - 496 88 88) und bei allen BZ-Geschäftsstellen.
von Marcel Anders
am Mi, 03. Juni 2015

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