Klettern: Wo Endorphine Samba tanzen
Gfäll in Oberried und Abenteuer im Wald in Kenzingen
BLEIB LOCKER, MAMA!
Loslassen. Sagt der Kopf. "Halt Dich gut fest", sage ich, und kontrolliere bereits zum zweiten Mal mit prüfendem Blick und feuchten Händen die Sicherheitsleinen. Das Kind verdreht die Augen und frickelt an den Karabinerhaken herum, klickt den letzten weg vom Seil, klickt ihn lässig ins nächste ein. So. "Fehlt nur noch die Rolle", sagt das Kind – und strahlt erwartungsvoll. Fehlt nur noch die Rolle, denke ich – und schlucke. Der Abgrund ist tief. Und das Kind doch noch klein.
Wir stehen auf einer schmalen, hölzernen Plattform in zehn Metern Höhe im Klettergarten in Kenzingen-Bombach. Die Sonne scheint, um uns herum das lichte Grün des Waldes, Vögel zwitschern, doch dem Herzen ist bang. Von dieser Plattform geht es an einer Seilrutsche in die Tiefe. So weit, dass ich die Ankunftsplattform in all dem Grün nicht erkennen kann.
Wer mit Kindern in so einer Anlage klettern geht, sich auf wackligen Holzstegen, dünnen Drahtseilen, schwingenden Autoreifen oder baumelnd über dem Abgrund bewegt, kommt mitunter an seine Grenzen. Nicht, weil ich selbst ängstlich wäre. Höhe und Hindernisse packe ich erstaunlich gut, wenn auch eher unelegant. Es sind die plötzlich mit einer Urgewalt durchbrechenden Beschützerinstinkte, die so jäh an der Vernunft rütteln – und die ich mit aller Macht zu bekämpfen suche. "Die können das", ermahne ich mich, wenn ich unseren drei Kindern beim Balancieren zusehe – und bin doch froh, dass die Regeln der Kletteranlage mich zur "ständigen Kletterassistenz bei Kindern unter 1,40 Meter" verpflichten.
So habe ich wenigstens die Siebenjährige im Blick – "keine Widerrede, sonst darfst du hier nicht klettern", erkläre ich. Und finde mich selbst ganz schön doof.
In Klettergärten wie diesem heißt es für Eltern, den Kindern zu vertrauen – und ihnen gleichzeitig die Bedeutung des Sicherheitstrainings bewusst zu machen. Ein Fehler in zwölf Metern Höhe kann fatal enden, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Auf die wird von den Guides bei der Einweisung hingewiesen. Helm und Handschuhe sind Pflicht. Der Klettergurt muss richtig sitzen. Auf jeder Plattform dürfen maximal drei Leute gleichzeitig stehen. Die Hindernisse zwischen den Plattformen dürfen nur von jeweils einer Person überquert werden. Und das Wichtigste: Eines der beiden Sicherungsseile muss immer eingehakt sein.
Die Siebenjährige hat bislang alles gewissenhaft und richtig gemacht. Kletterparcours mit Waldtiernamen wie Marder, Igel, Eule und Fuchs in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden haben wir bereits gemeistert. Sind mit Hilfe von wackligen Strickleitern immer weiter an den Bäumen emporgeklettert, die Kinder flink, ihre Mutter mitunter angestrengt. Langsam beginnen nun die Muskeln zu schmerzen.
"Kann ich endlich?", fragt die Tochter und reißt mich aus meinen Gedanken. "Du kannst", sage ich. Sie stößt sich von der Plattform ab, saust mit einem Juchzen die Seilrutsche entlang, wird kleiner und kleiner. Ich weiß, sie hält sich gut fest. Und ich – lasse los und sause später stolz hinter ihr her. Ronja Vattes
WENN DIE ENDORPHINE SAMBA TANZEN
Jugendliche brauchen viel Schlaf, sagen Wissenschaftler, wissen Eltern. Weil sich das Gehirn verändert, werden sie zu Couch-Potatoes. Das ist eine Zwickmühle. Denn Teenies müssen, wollen mehr schlafen, bleiben aber nachts länger wach. Und sind dann tagsüber müde und/oder schlecht gelaunt. Was das mit Sportklettern zu tun hat? Ziemlich viel. Denn damit kann man sie prima ans Tageslicht locken.
Es ist Sonntag, acht Uhr. Guten Morgen, magst Frühstück, frage ich. Mm-hm brummt der 16-Jährige verschlafen, grinst aber schon. Zwei Kaffee, zwei Croissants, dann Abfahrt. Beim Treffpunkt warten schon welche. Guten Morgen, Händeschütteln, vorstellen. Hallo, ich bin Simon Schmidt, der Kursleiter, sagt Simon Schmidt, der Kursleiter. Freut mich, wohin geht’s denn?, sage, frage ich. Zum Gfäll in Oberried. Steigt ein, wir sind vollzählig, sagt Schmidt.
Wir fahren durch die verschlafene Stadt. Im Auto erst verbales Abtasten, dann Lächeln. Alle sympathisch, Gottseidank. Bei Oberried geht’s den Berg hoch, immer weiter. Die Sonne blinzelt durch hohe Tannen, wir blinzeln wegen der Sonne. Wann wir wohl endlich da sind? Wir sind da, sagt Schmidt, parkt schwungvoll ein. Hier sind Gurte, Helme, Schuhe, da der Weg runter zum Fels.
Hübsches Plätzchen. Unter uns schroffe Felsen, Tannenspitzen. Sehen aus wie tausende Wellenspitzchen im grünen Waldozean. Der helle Fleck an der Gegenwand ist der Steinwasenpark. Dort schreien Leute auf rasanten Bahnen. Wir auch bald? Doch als Erstes lernen wir Knoten: Sackstich, Achter. Wie geht das? Ist einfach, sagt Schmidt, macht eine Schlaufe, siehste, so: Das ist Karl. Der hat einen Schal (Seil um Schlaufe drum). Steckt sich einen Lolli rein (Seilende durch Schlaufe ziehen). Fertig. Übt das mit geschlossenen Augen, dann könnt ihr’s, sagt Schmidt. Einmal, zweimal klappt’s nicht. Aber dann. Super, kapiert, das mit Karl. Nur noch sichern lernen, Fels, wir kommen!
Drei Punkte aus Händen und Füßen sind immer am Fels, macht kleine Schritte, sagt Schmidt. Und denkt dran: Ihr lauft auf euren Füßen, nicht auf den Händen – ihr habt mehr Kraft in den Beinen. Also los. Der Fels fühlt sich rau an. Die Füße, eingequetscht im engen Schuh, suchen Halt. Greifen, linker Fuß auf Minivorsprung, dann mit Rechts greifen. Auf einmal geht nichts mehr. Zumachen, rufe ich runter. Ich hänge in der Wand wie ein nasser Teebeutel, schaue nach Greifmöglichkeiten. Da, links, über dir, rufen sie von unten. Ihr habt gut reden. Mann, ist das anstrengend. Gefühlte Stunden später bin ich oben, schwitzend, zittrig, glücklich.
Jetzt du, sage ich zu meinem Sohn, ich sichere dich. Alter, das sind ja Frauenschuhe, viel zu klein, stöhnt er. Partnercheck und ab. Wie schnell er ist, wie leicht es aussieht. Elegant, wie ein Tänzer kommt er Stück für Stück höher, ohne Probleme. Fast bin ich... nein, ok, ich bin neidisch. Schon steht er oben und grinst. Gut gemacht.
Dann die Kür. Alter Falter, ist das hoch. Ich glaube, der Fels ist gewachsen. Hinter mir: Abgrund. Vor mir: ein Seil, an dem ich hänge. Zum selbst Abseilen. Da runter, 15, 20 Meter tief. Ich glaube nicht, dass ich das machen will, sage ich. Doch, willst du, sagt Schmidt, es gibt nichts Schöneres. Na ja. Mein Sohn ist schon unten. Klettern ist Kopfsache, hat Schmidt gesagt. Also schalte ich das Hirn aus. Mache einen Schritt rückwärts über die Kante. Das Herz fährt Achterbahn. Noch ein Schritt. Ich lebe noch. Noch einer, na, wer sagt’s denn. Je weiter runter ich komme, desto höher zieht es die Mundwinkel. Dann bin ich unten. Die Laune ist ganz oben, die Endorphine tanzen Samba. Na, was unternehmen wir jetzt noch, fragt der Sohn. Nichts mehr. Bin müde, sage ich. Anita Fertl
SPORTKLETTERN AM FELS
Für den Basiskurs Sportklettern am Fels sind keine Vorkenntnisse erforderlich, gelehrt werden Sicherungs- und Klettertechniken, Top-Rope-Klettern, Abseilen; Ausrüstung kann gegen Gebühr geliehen werden
Preis: in Gruppen mit vier bis acht Teilnehmern pro Person 69 Euro. Durchführung und Treffpunkt Sport Kiefer, Schwarzwaldstraße 173, in Freiburg
Infos, Termine und Anmeldung: bei Original Schwarzwald, im Internet unter http://www.original-schwarzwald.de oder bei Sport Kiefer: Tel. 0761/73444, Internet http://www.sport-kiefer.de
KLETTERGARTEN "ABENTEUER IM WALD"
Wer darf klettern? Erwachsene und Kinder ab 1,30 Meter in direkter Kletterassistenz eines Erwachsenen; Maximal zulässiges Gewicht eines Kletterers: 120 kg;
Ausrüstung: Helm, Klettergurt und Handschuhe sind im Eintritt leihweise enthalten
Eintritt: Erwachsene 19 Euro, ab 16 Jahren 16 Euro, Kinder 13 Euro, Familien (ab drei Personen) reduzierte Tarife
Öffnungszeiten: Hauptsaison 10-19 Uhr; bis 8. Nov., 11 bis 17 Uhr (teils tagesweise geschlossen)
Adresse: Abenteuer im Wald,
Bombacher Straße (Sportplatz in Bombach), 79341 Kenzingen,
Tel. 07644/ 927874
Info: http://www.abenteuer-im-wald.de
am
Fr, 09. Oktober 2015 um 00:00 Uhr