Elsass

Haguenau - mal deutsch, mal französisch

Haguenau, zweitgrößte Stadt im Unterelsass, feiert 900 Jahre.

Madame Stieffel zeigt auf den Giebel des Hauses in der Grand Rue. "Das ist ein deutsches Haus, da zeigt der Giebel zur Straße". Aha. "Und daneben ist die Traufe auf der Straßenseite und der Giebel blickt aufs Nachbarhaus, das ist ein französisches Gebäude", fährt die Führerin der Société d’Histoire et d’Archéologie de Haguenau fort. Mal deutsch, mal französisch – mal Hagenau, mal Haguenau: Den Wechsel hat die Stadt im Unterelsass oft erlebt.

Marthe Stieffel sieht einem geschäftigen Jahr entgegen: Hagenau wird 900 Jahre alt und will das gebührend feiern, auch in der Hoffnung, etwas aus dem touristischen Schatten von Straßburg herauszukommen.

Es war ein Staufer, der im Jahr 1115 auf einer Insel des Flüsschens Moder eine Burg errichtet hat und damit als Gründer der Stadt gilt: Friedrich der Einäugige. Die Staufer waren zwar von Haus aus die Herzöge von Schwaben, sie hatten aber gewisse Vorlieben fürs Elsass und für Italien. Ob’s am Klima oder an der Küche lag, was die Staufer anlockte – der jeweils lokale Adel war davon gar nicht begeistert. Das störte Friedrich nicht, und die Burg wurde zu seinem Lieblingssitz. Auch sein Sohn Kaiser Friedrich I., Barbarossa, schätzte den Ort mitten im großen "heiligen Forst", in dem man trefflich jagen konnte und der heute noch das größte geschlossene Waldgebiet im nördlichen Elsass ist.

Barbarossa baute die Burg zur Pfalz aus und erhob die daneben entstandene Siedlung 1164 zur Stadt. Die Pfalz wurde zur Lieblingsresidenz der Staufer, in deren Kapelle zeitweise die Reichsinsignien aufbewahrt waren und in der Richard Löwenherz der Prozess gemacht wurde. Vor allem aber wurde dort höfische Kultur gepflegt. Auch für Friedrich II. wurde die Pfalz zum bevorzugten Aufenthaltsort nördlich der Alpen. Im 14. Jahrhundert war Hagenau Hauptort des Zehnstädtebundes der Freien Reichsstädte im Elsass. Die Blütezeit der Stadt endete mit dem Dreißigjährigen Krieg, als sie erstmals zerstört wurde und anschließend mit dem Elsass an Frankreich fiel.

1677 ließ Ludwig XIV. die Pfalz als Symbol der verhassten deutschen Herrschaft sprengen und die Stadt niederbrennen. Die Steine von Burg und Stadtmauer nutzte Baumeister Sébastien Le Prestre Vauban zum Bau der modernen Festung Fort-Louis. Bis 1871 entstanden Barockhäuser, die historische Hopfenhalle, in der heute dienstags und freitags Markttag ist, ferner das Stadttheater und die klassizistische Synagoge.

Nach dem deutsch-französischen Krieg wurde aus Haguenau wieder Hagenau, und die Preußen drückten der Stadt ihren Stempel mit wilhelminischer Architektur auf. Daran erinnert unter anderem die neoromanische Garnisonskirche und vor allem der fantastische Bau des historischen Museums, in dem unter anderem die Reste der Kaiserpfalz ausgestellt sind. Aber auch das erste Auto, das durch Hagenau fuhr und dem Bürgermeister Nessel gehörte, der 30 Jahre an der Spitze der Verwaltung stand, das Museum bauen ließ – und noch vor dessen Vollendung zurücktreten musste, weil es viel teurer als geplant wurde.

Nach dem Ersten Weltkrieg wurde Haguenau wieder französisch, stand während der deutschen Besatzung von 1940 bis 1945 erneut unter deutscher Zivilverwaltung und war am Ende des Zweiten Weltkriegs stark zerstört.

Heute zeigt sich die mit 36 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt des Départements Bas-Rhin, Sitz einer Sous-Prefécture, als höchst lebendige Stadt, in der es allen Zerstörungen zum Trotz noch manches malerisches Fleckchen und historisches Bauwerk gibt. Zuallererst die romanisch-gotische Kirche St. Georg, die für Georg Dehio und Gustav Bezold schon 1892 in ihrem Standardwerk "Die kirchliche Baukunst des Abendlands" zu den bedeutendsten deutschen Säulenbasiliken zählte. In der zweiten mittelalterlichen Kirche, der ehemalige Spitalkirche St. Nikolaus, hat ein bemerkenswertes Heiliges Grab aus dem 14. Jahrhundert, das ursprünglich in Straßburg stand, seinen Platz gefunden.

Feste Stationen bei den Führungen von Madame Stieffel sind auch Fischertor, Weißenburger Tor und Ritterturm, ein imposantes altes Mühlrad sowie der alte Zoll und die Kanzlei mit dem Tourismusbüro und dem elsässischen Museum. An die Kaiserpfalz erinnert nur noch eine schlichte Stele; was von dem Bau übrig ist und in Fort-Louis gefunden wurde, ist im historischen Museum, das mit seinen Sammlungen und dem fantastisch-historisierenden Inneren zu den Pflichtstationen eines Haguenau-Besuchs gehört. Auf eine weitere "Station" ist man in Hagenau besonders stolz: Auf die Fahrradstation in der Stadtmitte, in der E-Bikes mit Solarstrom kostenlos aufgeladen werden – bei einem Bike aus heimischer Produktion sogar induktiv und ohne Kabel.

Mit 40 Veranstaltungen und Aktionen wird die Stadt ihr Jubiläum feiern. Das Programm wird bei der Eröffnungsfeier, am Samstag, 10. Januar, 19 Uhr am Platz der ehemaligen Stauferpfalz bekanntgegeben. Eine originelle Aktion hat indessen bereits mit dem neuen Jahr begonnen: die der "Veilleurs de Haguenau", der 730 Turmwächter von Hagenau. An jedem Tag des Jahres sollen zwei Personen jeweils eine Stunde lang, eine morgens, eine abends, auf einem hohen Gebäude die Gedanken schweifen lassen. Was ihm oder ihr beim Blick auf die Stadt, auf den Hagenauer Forst, auf die Nordvogesen oder den Schwarzwald so einfällt, soll niedergeschrieben und samt einem Foto des Autors oder der Autorin im Internet veröffentlicht werden.

Bewerben für die Aktion können sich auch Deutsche, einzige Voraussetzungen: Sie müssen an einem Vorbereitungsseminar teilnehmen und über 18 Jahre alt sein. Vor schlechtem Wetter müssen sich die Türmer im Übrigen nicht fürchten: Der Ausguck ist geschützt und im Winter beheizt.

Informationen im Internet unter

http://www.haguenau2015.fr/de Infos über

die Türmeraktion auf Deutsch unter

Tel. 0033/388/733054

von Rolf Müller
am Fr, 09. Januar 2015

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