Lörrach
Tilman Scheipers erklärt den Reiz von Spoken Word Poetry
Heute feiert der Burghof-Slam das fünfjährige Bestehen. Michael Baas hat Tilman Scheipers zur Spoken Word Poetry und dem Slammen befragt.
BZ: Herr Scheipers, was macht den Reiz der Spoken Word Poetry aus?
Scheipers: Eigentlich sind es zwei Dinge: Man hat oftmals die Beschäftigung mit aktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen, und Leute, die es schaffen, in kurzer Zeit einen bestimmten Aspekt dieses Themas zu beleuchten und somit zum Nachdenken anregen. Und mir gefällt das Spiel mit Sprache und Worten, das oft Nuancen der Umgangssprache oder von Redewendungen seziert und untersucht.
BZ: Sehen Sie auch Verbindungen zwischen Slam Poeten und den Dadaisten im frühen 20. Jahrhundert?
Scheipers: Nun ja, wenn man Dadaismus so zusammenfasst, dass eine Reihe von Künstlern mit bestehenden Kunstformen und dem Verständnis, was Kunst ist, brechen wollten, anders sein wollten, dann auf jeden Fall ja. Allerdings sind es jetzt gerade die "Objets Trouvées", die vor meinem inneren Auge erscheinen – da sehe ich eher keine Verwandtschaft zwischen Dada und Slam Poetry. Ich glaube nicht, dass die Zuhörer bei den meisten Texten denken: Ist das Kunst oder kann das weg? Zudem versuchen die Slammer nicht, durch einen Schockmoment anders zu sein.
BZ: Gibt’s von der Performance und den Themen her typisch deutsche Slam Poetry?
Scheipers: In Abgrenzung zur britischem oder französischem Slam Poetry? Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, ich war noch nie auf nicht-deutschsprachigen Poetry Slams. Aber in Deutschland selbst glaube ich nicht, dass es das eine Thema der Slam Poetry gibt. Vielmehr hat man eine Vielfalt in der Thematik und in der Gattung!
BZ: Ist das Battle-Prinzip, das den Duellen, den Poetry Slams, innewohnt, wirklich nur der Lust am Spiel geschuldet oder Ausdruck tief verinnerlichter kapitalistischer Strukturen?
Scheipers: Ich würde sagen, das ist wirklich nur dem Spiel und der Spannung geschuldet. Aber vielleicht habe ich die kapitalistischen Strukturen auch so verinnerlicht, dass ich quasi betriebsblind bin! Nein, im Ernst: Niemand zählt seine Siege und gibt damit an, außer natürlich Meisterschaftsgewinne. Auch gibt es vermehrt Lesebühnen, bei denen sich Slammer zusammenschließen und weiterhin die goldenen Regeln des Slams wahren – also: selbst geschrieben, unverkleidet und mit Zeitlimit versehen – aber es gibt keine Abstimmung, und alle bringen zwei Texte oder so: also Poetry Slam ohne Slam, nur Poetry quasi. Und alle finden’s genauso cool.
BZ: Die Slam Poetry hatte Ende der 90er-, Anfang der 00er Jahre noch die Aura des Rebellischen; inzwischen ist sie im Mainstream angekommen, fast schon Literaturbetrieb. Hat sich die Gattung verändert?
Scheipers: Sie sehen Slam Poetry als eigene Gattung? Ich würde nicht sagen, dass es die Epik, das Dramatische, die Lyrik und dann die Slam Poetry gibt. Aber klar, oder: Ganz bestimmt hat sich die Slam Poetry seit ihrem Aufkommen verändert. Ich glaube, sie ist erwachsener geworden, die Texte sind anspruchsvoller geworden. Das Publikum lässt sich nicht mehr durch die Form begeistern: Wow, kleine verrauchte Bar mit Sperrmüllmöbeln, total undergroundig und die Kunst ist bestimmt Avantgarde. Das kennt man jetzt, heute muss man auch inhaltlich was zu bieten haben. Wenn wir vorher von verinnerlichten kapitalistischen Spuren sprachen, ist das vielleicht dann der Darwinismus des Slams? Der bessere wird lieber gehört und somit häufiger eingeladen!
BZ: Die Bewegung entstand in Großstädten, wie kamen Sie darauf, so etwas in einer Kleinstadt wie Lörrach zu probieren?
Scheipers: Meine Leistung war da nicht so revolutionär, da gab’s schon viele andere Kleinstädte, in denen Poetry Slam erfolgreich veranstaltet wurden. Dass es in Lörrach und Umgebung genügend Menschen gibt, die so etwas interessiert, daran hatte ich nie Zweifel.
BZ: Nach welchen Kriterien stellen Sie das Lörracher Programm zusammen?
Scheipers: Da fließen mehrere Kriterien zusammen: Der Geschmack von Daniel und mir; die Ausgewogenheit von Storytellern, Lyrikern und Komödiantischen; wer Zeit hat; wer zusagt ... Wir fangen immer mit einer anspruchsvollen Wunschliste an, meistens klappt das, aber manchmal muss man auch pragmatisch werden.
BZ: Die Weihnachtssession im Burghof hat inzwischen Kultstatus. Wie geht es nach dem Fünfjährigen am Dienstag weiter?
Scheipers: Es geht weiter! Und es gibt ja nicht nur die Weihnachtssession, sondern auch die "Wortgewandt"-Abende oder die Battle zwischen Badischen und Schwäbischen Slammern; da ist das Rückspiel am 17. April. Und wir hoffen, dass die Badener es diesmal schaffen! Wir sind gerade dabei, die nächste Saison zu planen, und ich kann sagen, wenn alles klappt, gibt’’s wieder ein paar neue Sachen. Ich hab’ viele neue Sachen gesehen, die ich gerne in Lörrach machen möchte!
– "Frohe Reimnachten", Burghof-Slam mit Simon Felix Geiger (Lörrach), Marvin Suckut und BaWü-Meister Nik Salsflausen (beide Konstanz), Dominique Crisand (Ludwigshafen), Mona Harry (Hamburg), Beatrice Wypchol (Dortmund), Robin Mesarosch (Stuttgart), heute, 23. Dezember, 20 Uhr Burghof Lörrach, Tickets: BZ-Geschäftsstellen und Tel. 0761/4968888
Scheipers: Eigentlich sind es zwei Dinge: Man hat oftmals die Beschäftigung mit aktuellen und gesellschaftlich relevanten Themen, und Leute, die es schaffen, in kurzer Zeit einen bestimmten Aspekt dieses Themas zu beleuchten und somit zum Nachdenken anregen. Und mir gefällt das Spiel mit Sprache und Worten, das oft Nuancen der Umgangssprache oder von Redewendungen seziert und untersucht.
BZ: Sehen Sie auch Verbindungen zwischen Slam Poeten und den Dadaisten im frühen 20. Jahrhundert?
Scheipers: Nun ja, wenn man Dadaismus so zusammenfasst, dass eine Reihe von Künstlern mit bestehenden Kunstformen und dem Verständnis, was Kunst ist, brechen wollten, anders sein wollten, dann auf jeden Fall ja. Allerdings sind es jetzt gerade die "Objets Trouvées", die vor meinem inneren Auge erscheinen – da sehe ich eher keine Verwandtschaft zwischen Dada und Slam Poetry. Ich glaube nicht, dass die Zuhörer bei den meisten Texten denken: Ist das Kunst oder kann das weg? Zudem versuchen die Slammer nicht, durch einen Schockmoment anders zu sein.
BZ: Gibt’s von der Performance und den Themen her typisch deutsche Slam Poetry?
Scheipers: In Abgrenzung zur britischem oder französischem Slam Poetry? Das weiß ich ehrlich gesagt nicht, ich war noch nie auf nicht-deutschsprachigen Poetry Slams. Aber in Deutschland selbst glaube ich nicht, dass es das eine Thema der Slam Poetry gibt. Vielmehr hat man eine Vielfalt in der Thematik und in der Gattung!
BZ: Ist das Battle-Prinzip, das den Duellen, den Poetry Slams, innewohnt, wirklich nur der Lust am Spiel geschuldet oder Ausdruck tief verinnerlichter kapitalistischer Strukturen?
Scheipers: Ich würde sagen, das ist wirklich nur dem Spiel und der Spannung geschuldet. Aber vielleicht habe ich die kapitalistischen Strukturen auch so verinnerlicht, dass ich quasi betriebsblind bin! Nein, im Ernst: Niemand zählt seine Siege und gibt damit an, außer natürlich Meisterschaftsgewinne. Auch gibt es vermehrt Lesebühnen, bei denen sich Slammer zusammenschließen und weiterhin die goldenen Regeln des Slams wahren – also: selbst geschrieben, unverkleidet und mit Zeitlimit versehen – aber es gibt keine Abstimmung, und alle bringen zwei Texte oder so: also Poetry Slam ohne Slam, nur Poetry quasi. Und alle finden’s genauso cool.
BZ: Die Slam Poetry hatte Ende der 90er-, Anfang der 00er Jahre noch die Aura des Rebellischen; inzwischen ist sie im Mainstream angekommen, fast schon Literaturbetrieb. Hat sich die Gattung verändert?
Scheipers: Sie sehen Slam Poetry als eigene Gattung? Ich würde nicht sagen, dass es die Epik, das Dramatische, die Lyrik und dann die Slam Poetry gibt. Aber klar, oder: Ganz bestimmt hat sich die Slam Poetry seit ihrem Aufkommen verändert. Ich glaube, sie ist erwachsener geworden, die Texte sind anspruchsvoller geworden. Das Publikum lässt sich nicht mehr durch die Form begeistern: Wow, kleine verrauchte Bar mit Sperrmüllmöbeln, total undergroundig und die Kunst ist bestimmt Avantgarde. Das kennt man jetzt, heute muss man auch inhaltlich was zu bieten haben. Wenn wir vorher von verinnerlichten kapitalistischen Spuren sprachen, ist das vielleicht dann der Darwinismus des Slams? Der bessere wird lieber gehört und somit häufiger eingeladen!
BZ: Die Bewegung entstand in Großstädten, wie kamen Sie darauf, so etwas in einer Kleinstadt wie Lörrach zu probieren?
Scheipers: Meine Leistung war da nicht so revolutionär, da gab’s schon viele andere Kleinstädte, in denen Poetry Slam erfolgreich veranstaltet wurden. Dass es in Lörrach und Umgebung genügend Menschen gibt, die so etwas interessiert, daran hatte ich nie Zweifel.
BZ: Nach welchen Kriterien stellen Sie das Lörracher Programm zusammen?
Scheipers: Da fließen mehrere Kriterien zusammen: Der Geschmack von Daniel und mir; die Ausgewogenheit von Storytellern, Lyrikern und Komödiantischen; wer Zeit hat; wer zusagt ... Wir fangen immer mit einer anspruchsvollen Wunschliste an, meistens klappt das, aber manchmal muss man auch pragmatisch werden.
BZ: Die Weihnachtssession im Burghof hat inzwischen Kultstatus. Wie geht es nach dem Fünfjährigen am Dienstag weiter?
Scheipers: Es geht weiter! Und es gibt ja nicht nur die Weihnachtssession, sondern auch die "Wortgewandt"-Abende oder die Battle zwischen Badischen und Schwäbischen Slammern; da ist das Rückspiel am 17. April. Und wir hoffen, dass die Badener es diesmal schaffen! Wir sind gerade dabei, die nächste Saison zu planen, und ich kann sagen, wenn alles klappt, gibt’’s wieder ein paar neue Sachen. Ich hab’ viele neue Sachen gesehen, die ich gerne in Lörrach machen möchte!
– "Frohe Reimnachten", Burghof-Slam mit Simon Felix Geiger (Lörrach), Marvin Suckut und BaWü-Meister Nik Salsflausen (beide Konstanz), Dominique Crisand (Ludwigshafen), Mona Harry (Hamburg), Beatrice Wypchol (Dortmund), Robin Mesarosch (Stuttgart), heute, 23. Dezember, 20 Uhr Burghof Lörrach, Tickets: BZ-Geschäftsstellen und Tel. 0761/4968888
Tilman Scheipers (32) wurde in Lörrach geboren und hat dort am Hebelgymnasium studiert, anschließend studierte er in Mainz Politikwissenschaften und der Soziologie in Mainz und schloss das Studium, mit dem Magister Artium ab. Inzwischen lebt er in Berlin und verdient sein Geld als Projektmanager in einer Digitalagentur.
von alb
am
Di, 23. Dezember 2014 um 06:56 Uhr