TIPP DES MONATS

Furchtlose Schönheit

Valeria Parrella: Versprechen kann ich nichts. Roman. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. Hanser Verlag, München 2021. 137 Seiten, 19 Euro.

Vor drei Jahren hat sie ihren Mann verloren: Jetzt versucht die 50-jährige Elisabetta als Lehrerin in einer Jugendstrafanstalt bei Neapel ihr Leben wieder in den Griff zu kriegen. Und trifft dort auf die junge Almarina, geflohen aus Rumänien vor einem Vater, der sie misshandelt, vergewaltigt, geschwängert hat: Wäre sie geblieben, er hätte sie totgeschlagen, irgendwann. Von der Begegnung der Frauen und dem, was sich daraus entwickelt, erzählt Valeria Parrella in ausdrucksstarker Sprache, voller Knochenbrüche, bestechender Bilder und Kadenzen. Sie wirft Regeln über den Haufen, um wahr und genau zu sein, ihre Sätze gehen der Existenz an die Gurgel. Man muss Gedichte in sich tragen, um einen Roman von derart furchtloser Schönheit schreiben zu können. Vergangene Gewalt

Juan Gabriel Vásquez: Lieder für die Feuersbrunst. Erzählungen. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2021. 231 Seiten, 22 Euro.

Eine Beobachtung, nachts auf einer Hacienda, öffnet einer Fotografin die Augen über einen Politiker. Ein Busunglück verhilft einem Soldaten zu einer anderen Biographie. Oft treten die Folgen dieser teils zufälligen, teils herbeigeführten Zwischenfälle erst Jahre später zutage und ordnen die Vergangenheit neu. Etwas Dunkles schwelt in den Sätzen von Vásquez, während er über die Mechanismen der Macht schreibt, über die unterschiedlichen Arten des Körpers, Angst auszudrücken und darüber, dass im Vergessen Hoffnung liegt und im Erinnern Gefahr. Man liest, durch die Intensität der Erzählungen aufs Äußerste anwesend, und geht dabei durch überwältigende Landschaften voller vergangener Gewalt. Sanfte Zeilen

Cees Nooteboom: Abschied. Gedicht aus der Zeit des Virus. Mit Bildern von Max Neumann. Aus dem Niederländischen von Ard Posthuma. Suhrkamp Verlag, Berlin 2021. 88 Seiten, 22 Euro.

Gleich zu Anfang, im Wintergarten, draußen Wolken, ein Feigenbaum, die Gänse der Nachbarn, fragt der Mann nach dem Ende, erinnert, was war. Kriege und Meere und Schatten, Reisen ganz anderswohin, Masken im Spiegel, Gedichte, Vernichtungslager, die Worte der Denker. Da stehen Sterne und Rätsel, geschehen groteske Verwandlungen, "Lektionen im klarsten Unheil". Gedanken nehmen Wendungen ins Antike, ins Trügerische, in Märchen und Schrecken, ägyptische Farben, sich mehrende Stillen. Sanfte Zeilen, der Vergänglichkeit klaglos anheimgegeben: etwas, in das man sich hüllen kann, wenn die Kälte kommt, die Einsamkeit schmerzt. Und der Mann, am Ende, geht blindlings ein in das, was an Welt noch ist.
von Ingrid Mylo
am Sa, 20. März 2021

Badens beste Erlebnisse