BZ-Porträt

Wie der Videokünstler Phil Collins mit einer Installation in der UB Ungehörtes hörbar machen will

Er gehört zu der Sorte von Gesprächspartnern, die sich an den Tisch im Freiburger Theatercafé setzen und zu reden beginnen, als hätte man das Gespräch nur mal eben unterbrochen.

Kurz streicht er sich die blonde Locke aus der Stirn und ist schon beim Thema. Er erzählt von einem Job vor vielen Jahren als Berufsanfänger bei einer Obdachlosenzeitung in England. Es ist der Anfang der Geschichte, die ihn jetzt nach Freiburg geführt hat.

Phil Collins ist nicht, wie der Name nahelegt, der weltberühmte Popmusiker und frühere Schlagzeuger der Band Genesis, obwohl er für seine Kunst gerne Musik, auch Popmusik verwendet. Er ist Performer und Inhaber einer Professur für Videokunst an der Hochschule der Künste in Köln. In der kommenden Woche wird in der Reihe "Face the Face" des Freiburger Theaters eine Installation von ihm in der neuen Universitätsbibliothek zu besichtigen sein.

Wobei besichtigen nur ein Teil dessen ist, wozu die Installation einlädt. Wichtiger noch als das Sehen ist das Hören. Zu sehen sein werden sechs transparente Kabinen, von dem Berliner Architekten Andreas Steinmeier nach dem Vorbild von Hörkabinen in den Schallplattenläden der 60er Jahre entworfen. Folgerichtig besteht das Kunstwerk in den Kabinen aus Vinylplatten, den kleinen 45ern. Sieben Stück liegen zum Anhören bereit. Dazu ein Plattenspieler, ein Tisch, ein Stuhl. Glastür zu und der Betrachter wird zum selbstbestimmten Hörer der Installation. Er wählt eine der Platten aus, bedient den Tonarm behutsam und lauscht. Zu hören sind Telefongespräche von Obdachlosen, die Phil Collins aufgezeichnet hat, und Musikstücke, die Musiker zu diesen Gesprächen oder durch sie inspiriert geschrieben haben. Um das alles zu verstehen, bedarf es der Vorgeschichte, unter anderem der von Phil Collins früherem Job.

1970 geboren und im Nordwesten Englands aufgewachsen, studiert Collins zunächst Englische Literatur und Film in Manchester, dann Kunst in Belfast. Einer seiner ersten Jobs führt ihn nach London zu der Straßenzeitung "The Big Issue", die, 1991 gegründet, Vorbild für viele folgende Obdachlosenzeitungen in aller Welt wird. Die Artikel schreiben professionelle Journalisten, um die Verteilung kümmern sich Obdachlose oder ehemalige Obdachlose. Collins, inzwischen Master of Fine Arts, arbeitet dort als Sekretär. Unten im Verlagsgebäude befindet sich ein Café, in dem er oft mit Obdachlosen sitzt. Er lernt Leute kennen, über die die Parlamentsabgeordneten höchstens stolpern, wenn sie die Oper verlassen. Leute, die die meisten im Vorübergehen geflissentlich übersehen, bestenfalls notgedrungen kurz anhören. "Wir denken über sie in der Regel als Objekte", sagt Phil Collins. Dabei seien sie ebensolch politisch handelnden und urteilenden Subjekte wie jeder andere mit Dach über dem Kopf. Eine moralische Mission? – "nein, nein", da winkt Collins gleich ab, er habe keine "message".

Es waren diese Londoner Erfahrungen, die ihn besonders hellhörig werden ließen, als er in Köln Bernd Mombauer begegnete. Mombauer ist Direktor von "Gulliver", einer "Überlebensstation" für Obdachlose, hinter dem Kölner Hauptbahnhof. "Gulliver" hat von morgens früh bis abends spät geöffnet, bietet von Duschen über Waschmaschinen bis hin zu Akkuladestationen alles Nötige zur täglichen Versorgung – über das Praktische hinaus aber auch ein Café mit wechselnden Kunstausstellungen und Kulturangeboten. Begeistert hat Collins, dass das "Gulliver" keine karitative Einrichtung, sondern ein Angebot auf Augenhöhe ist, darin besteht für ihn das Modellhafte.

Im "Gulliver" hat Collins’ Installation, deren Titel einer Kurzgeschichte gleicht, ihren Ursprung: "my heart’s in my hand, and my hand is pierced, and my hand’s in the bag, and the bag is shut, and my heart is caught". Mitten im "Gulliver" richtete der Künstler eine geschlossene Telefonzelle ein, die jene Intimität gewährte, die heute beim Telefonieren in der Öffentlichkeit nicht mehr zu haben ist, und ließ sie für die Gäste des "Gulliver" freischalten. Jede und jeder durfte telefonieren, so oft und so lang er wollte. Einzige Auflage: die Erlaubnis, die Gespräche aufzeichnen und anonymisiert verwenden zu dürfen. Am ersten Tag zählte er 50 Gespräche, die länger als 5 Minuten dauerten, nach einem Monat 1200. Einen Bruchteil davon wählte er aus, um sie mit den Kompositionen der Musiker zu verbinden.

Es gehe ihm dabei letztlich ums Einblicknehmen, sagt Phil Collins, ums Verstehen von Situationen, in denen wir selbst nicht leben. "Connection" ist das Stichwort, um das sich alle seine Arbeiten drehen. Verbindung schaffen zu Subkulturen und Menschengruppen, die wir kaum wahrnehmen oder von denen wir bereits ein fest geprägtes Bild haben.

In Ramallah engagierte er junge Palästinenser, acht Stunden vor seiner Videokamera zu westlicher Disco-Musik zu tanzen. In Kuala Lumpur traf er antifaschistische Skinheads, in Kleidung und Stil streng ausgerichtet an ihrem britischen Vorbild, und drehte ein Portrait von ihnen. In Berlin bat er ehemalige Marxismus-Leninismus-Dozenten vor heutigen BWL-Studenten eine Vorlesung nach altem Muster zu halten und filmte. Collins macht sichtbar, was sich dem alltäglichen Blick entzieht. Oder eben hörbar, was über- und ungehört bleibt – wie nun in Freiburg. Dramatisch, komisch, herzzerreißend, sagen Kritiker, die die Installation bereits in Köln, New York oder Berlin erlebt haben.

Collins selbst übrigens telefoniert in der Öffentlichkeit nicht. Er besitzt kein Handy. Vielleicht langweile er sich deshalb öfter als andere, die um ihn herum ihr Smartphone bedienen. Nicht aus Sendungsbewusstsein, sondern aus Erfahrung wird er es dabei belassen. Langeweile, sagt er, sei für ihn gut zum Denken.

Installation von Phil Collins in der Universitätsbibliothek Freiburg, Platz der Universität 2, 8. April bis 7. Mai, Öffnungszeiten unter http://mehr.bz/collins
von Kathrin Kramer
am Mo, 04. April 2016

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