Bücher zum Mitnehmen

Wo es in Südbaden originelle Bücherregale gibt

Ob in edler Maßanfertigung, ausgedienten Telefonzellen, umgebauten Kühlschränken oder Metallspinden – überall ploppen sie in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden: offene Bücherregale, kostenlose Freiluft-Bibliotheken.

273 Millionen Bücher wurden im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft, das waren sogar 0,8 Prozent mehr als 2019, vor Corona. Tolle Sache, macht sich so eine meterlange, kunterbunte Bücherwand doch nicht nur als Hintergrund für Video-Konferenzen gut. Aber wer hat heute noch Platz für opulente Sammlungen? Und wer liest ein Buch zweimal? Was tun mit ungelesenen Geschenken und ungeliebten Klassikern? Spätestens beim nächsten Umzug wird exzessive Bibliophilie zum Ballast.

Schon in den 1990er Jahren tauchten die ersten Bücherschränke im öffentlichen Raum auf. Erst als eine Art Kunstinstallation an zentralen Plätzen in Städten wie Mainz, Darmstadt oder Hannover, dann – dank breiter Publikumsakzeptanz – auch zu Hunderten in Trägerschaft von Gemeinden, Kirchen, Stiftungen und Vereinen.

Bücher tauschen – Freunde finden

Teilen statt horten, finden statt kaufen – das ist die ebenso charmante wie nachhaltige Idee dieser Freiluft-Bibliotheken, die kostenlos, anonym und im besten Falle rund um die Uhr zum Stöbern und Tauschen einladen. Hier kann man Entdeckungen und bisweilen auch Bekanntschaft mit anderen Leseratten machen.

In Zeiten von Umweltbewusstsein und Ressourcenknappheit scheint ihre Sternstunde gekommen, mittlerweile findet man sie fast überall: In verschlafenen Schwarzwald-Dörfchen, im Urlaub auf Teneriffa, auf dem Campingplatz in Südfrankreich. Nach heutigem Kenntnisstand steht das nördlichste Bücherregal in einem Hostel im norwegischen Bergen, das südlichste in Kapstadt in Südafrika. Wobei – das kann auch schon überholt sein, die Weltkarte der öffentlichen Bücherschränke wird im Netz (http://www.lesestunden.de von fleißigen Usern ständig aktualisiert.

Ein reichhaltiges Angebot

Dicke Schwarten von Utta Danella, Simmel und Konsalik, dazu der Medicus, die Päpstin und die Wanderhure, sogar der Skandalroman "Shades of Grey" ist schon dabei – wer regelmäßig Bücherregale besucht, kennt das klassische Bestandsrepertoire, kann dazu über Zeitgeschichte und Leseklientel fantasieren. Dazu gibt’s kiloweise Krimis, Kochbücher und Ratgeber, dazwischen Kuriositäten und auch mal Antiquitäten, Bildbände, Fachliteratur und Kinderbücher. Und auch beharrliche Missionsversuche finden hier eine Bühne: Eine abgegriffene Bibel oder ein Gesangbuch steckt eigentlich überall in den Regalen. Doch ob brandneu oder aus Omas Nachlass, die Mischung macht’s!

Das Problem: Meist steht alles durcheinander, gerne auch mit dem Rücken gegen die Wand. Wen da spontane Aufräum-Gelüste packen, ist der geborene Bücherpate. Ich jedenfalls kann nicht anders: Ein Blick und schon ordnen meine Hände flugs nach Größe und nach Genres, ist eine Altpapiertonne in der Nähe, wird beherzt entsorgt – gemäß der Regel: Was ich selbst nicht mit ins Bett nehmen würde, fliegt raus. Weil ich also Bücher liebe und für mein Leben gern sortiere, bin ich seit mehr als einem Jahr ehrenamtliche "Bücherfee" – so nennt mich Christel Werb vom Quartiersbüro Freiburg-Weingarten-West.

Eine Telefonzelle als Kunstwerk

Dort steht die Bücherzelle seit mehr als sechs Jahren zentral auf dem Else-Liefmann-Platz, als künstlerisch gestaltete Telefonzelle ist sie ein besonders schönes Exemplar. Denn ausgelobt wurde damals auch ein Gestaltungswettbewerb und dann ein Graffiti-Sprayer mit der Umsetzung beauftragt. Kuschelig, wettergeschützt und schön hell bietet sie zwischen zwei Regalen maximal Platz für einen großen plus einen kleinen Menschen.

Genutzt wird sie rege von Alt und Jung, Vandalismus gab es bis auf zwei zerbrochene Scheiben bisher nicht. Damit das so bleibt, kommt jetzt regelmäßig die Bücherfee, räumt auf und um, füllt auf, wirft weg. Ein wichtiger Job, der das Regal vor Verwahrlosung und Chaos bewahrt.

Und auch den Nachschub sichert: Nur wer hier auch mal glücklich fündig wurde, bringt selbst eigene Schätze vorbei. Dabei gilt: Je vielfältiger das Angebot, umso besser. Je lebendiger der Bücherfluss, umso interessanter. Was also lange steht, bekommt von mir einen Punkt auf den Rücken und wird nach einer Gnadenzeit dem ewigen Recycling-Kreislauf übergeben.

Zwar ignorieren die meisten Bücherwürmer allerorten ordnende Beschriftungen wie "Fremde Sprachen" oder "Sachbücher", und auch in den viel zu seltenen Kinder-und Jugendbuch-Fächern veranstalten Erwachsene regelmäßig kopfloses Durcheinander. Doch das Wiederherstellen der Ordnung gehört nun mal zum Service, reger Zu- und Abgang entschädigt für das Aufräum-Karussell. Wenn dann noch Leute Schlange stehen, jubiliert das Bücherpaten-Herz.

Die Standorte können vielfältig sein

Den Standorten sind nach Absprache mit potentiellen Trägern und Stadtverwaltungen keine Grenzen gesetzt: So stehen sie an Haltestellen, in Torbögen, Hauseingängen oder auch privaten Vorgärten. In Hamburg fahren offene Bücherregale sogar in hundert Bussen spazieren. Zentral, gut einsichtig und vor allem wettergeschützt mit Dach sollten sie ein, schließlich ist Feuchtigkeit doch Gift für unsere papiernen Freunde.
Der Rest ist kinderleicht: Geben, nehmen, schmökern!
Bücherschränke

Bücherpate gesucht: Viele Träger offener Bücherregale freuen sich über ehrenamtliches Engagement. Einfach anfragen.
Bücher spenden: Einzeln erwünscht, bei ganzen Kisten am besten den Träger kontaktieren.
Wo gibt es Bücherschränke? Eine Liste zu Südbaden gibt es hier: mehr.bz/bookin Als App: BuchschrankFinder auf Google Play und im App Store; http://www.lesestunden.de
Bücherschrank selbst einrichten: Tipps unter mehr.bz/buecherschr
von Marion Klötzer
am Sa, 29. Januar 2022 um 16:58 Uhr

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