Bz-TIPP: Musikbahnhof

Zeitgenössische Klänge

Der Basler Gare du Nord widmet sich in der Saison 2019/20 in einem Schwerpunkt den Nachgeborenen.

Gare du Nord: In der Verpackung steckt eine der ambitionierten Kulturinstitutionen in Basel. 2002 im Badischen Bahnhof gegründet, worauf der Name anspielt, widmet sich das Haus unter Leitung von Desirée Meiser zeitgenössischer E-Musik. Die Saison 2019/20 wartet nun erstmals mit einem übergreifenden Schwerpunkt auf. Unter dem Titel "Later Born" beleuchtet er Nachgeborene und Traumata der vom Deutschen Reich und den Nazis in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entfesselten Kriege, der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden und den Hungerkrieg gegen die Bevölkerung in Osteuropa. "Later Born" verstehe sich als künstlerische Reflexion und neuer fragender Blick für die Generationen, die diese Zeiten nicht selbst erlebt haben aber familiär meist irgendwie betroffen seien, sagte Desirée Meiser zur Präsentation.

Dazu wird der Komplex in diversen Formaten und Kooperationen beleuchtet. Auch der Saisonstart mit dem Musiktheater "Alles klappt" am 19. Oktober gehört zu dem Schwerpunkt. Das Werk des tschechischen Komponisten Ondrey Adámek für ein Vokalensemble und zwei Perkussionisten basiert auf Archivmaterial aus dem jüdischen Museum in Prag sowie auf Briefen und Postkarten, die Adamek bei Recherchen zu seiner in den nationalsozialistischen KZ ermordeten Familie fand. Der Komponist wird das Werk auch selbst dirigieren. Briefe sind auch die Basis der "Letters from Warsaw" (11. November). Diese schrieb die Großmutter des Bratschisten Krzysztof Chorzelski 1940/41 im Warschauer Ghetto. Der Komponist Joseph Phibbs hat sie für den in Basel lebenden renommierten Musiker vertont.

Biographische Facetten hat auch das dokumentarische Theaterstück "Hans Schleif" (17. Dezember). Der am Zürcher Schauspiel engagierte Deutsche Matthias Neukirch befasst sich darin mit seinem Großvater Hans Schleif, der Architekt und SS-Mitglied war. Ein weiterer Beitrag fußt auf dem wiederentdeckten Stummfilm "Die Stadt ohne Juden" (8. Mai 2020). Das Basler Sinfonieorchester hat für den restaurieren Film, der die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung schon 1924 beklemmend inszenierte, eine neue Begleitmusik geordert. Insgesamt bietet der Schwerpunkt acht Produktionen, bindet im Januar 2020 zudem das Mizmorim Festival für jüdische Musik ein sowie Ausstellungsprojekte im Jüdischen Museum der Schweiz oder im Historischen Museum Basel.

Ein weiteres tragendes Element ist die seit längerem gepflegte Auseinandersetzung mit Formen des Musiktheaters. Unter der Überschrift sind zehn Produktionen gebündelt – von "Alles klappt" über "Les souffrances de Job" (Die Leiden des Hiob), eine Uraufführung von Michèle Rusconi, die sich auf das gleichnamige Theaterstück des israelischen Dramatikers Hannoch Levin bezieht (7. Dezember) bis zu "Revox – A Tale of Phantoms", ein 3-D-Hörspiel in einer Klang- und Lichtinstallation, in der die Stimme des Toningenieurs Paul Stiller nachzeichnet, wie er die Stille entdeckte (17. März 2020).

Zudem gibt’s weitere bewährte Reihen. Dazu gehört "Von Zeit zu Zeit", die das Spannungsfeld zwischen Alter und Neuer Musik ausleuchtet; dazu zählen die "Promenaden" des Sinfonieorchesters Basel, Kammermusik, die zum Beethoven-Jahr 2020 viel, aber nicht nur Beethoven bieten. Dazu gehören die sieben Auftritte des Basler Ensemble Phoenix, einem der wichtigsten Schweizer Klangkörpern für zeitgenössische Musik, das sich unter anderem mit dem US- Komponisten Morton Feldman und dem irischen Dichter Samuel Beckett befasst (22./22. März 2020). Auch das Mondrian Ensemble macht mehrmals Station im Gare du Nord und es gibt erneut ein Ensemble der Saison. Das ist heuer das Genfer Ensemble Contrechamps um den Perkussionisten Serge Vuille, das drei junge Komponistinnen vorstellt- als Erste die gehörlose Amerikanerin Christine Sun Kim (6. November).

Detailliertes Programm unter: http://www.garedunord.ch
von alb/ Foto: Armin Smailovic
am Do, 19. September 2019

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