Theater

Andreas von Studnitz inszeniert Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter am Freiburger Wallgraben-Theater

TICKET-INTERVIEW: Regisseur Andreas von Studnitz zu Max Frischs "Biedermann".

Brandstifter sind unterwegs. Als Hausierer getarnt kommen sie ins Haus und brennen es nieder. Als Biedermann davon in der Zeitung liest, klingelt ein Hausierer. Biedermann lässt ihn ein – und lässt ihn gewähren. Andreas von Studnitz inszeniert Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter" für das Wallgraben-Theater. Manuel Fritsch hat mit ihm gesprochen.

Ticket: Biedermann und die Brandstifter gehört zu den meist gelesenen Werken im Schulunterricht. Wie holt man etwas Neues aus so einem Stück?
Studnitz: Das Neue gibt es ja nicht. Im Theater sagt man: Die Karten liegen seit Jahrhunderten auf dem Tisch und werden immer neu gemischt. "Biedermann und die Brandstifter" ist überzeitlich. Man guckt immer wieder neu darauf, da man aus der Jetztzeit versucht, sich zu fragen: Ist das, was ich da auf der Bühne anrichte, interessant oder staubt das?
Ticket: Was macht das Stück zeitlos?
Studnitz: Es geht im Kern um die Angst, zu einer Haltung zu finden, die man auch vertritt. Das ist das Problem von Biedermann, der auch noch zwei Kollegen hat, die es ihm nicht leicht machen, zu sich zu finden, nämlich die beiden Brandstifter. Biedermann redet sich alles schön: Es sind keine Brandstifter, das gibt es ja nicht, dass jemand, der mir ganz offensichtlich Benzinkanister auf den Dachboden stellt und auch noch sagt, dass das Benzin ist, auch wirklich ein Brandstifter sein soll. Dabei ist es offensichtlich, was stattfindet, und er müsste nach drei Sekunden in den Spiegel gucken und sagen: Hallo, ich kneif gerade den Schwanz ein.
Ticket: Das Stück wurde erst als Parabel über den Kommunismus gelesen, dann als eine über den Aufstieg des Nationalsozialismus...
Studnitz:... ja und in den Neunzigern, als alle drei Minuten ein von Türken bewohntes Haus brannte, las man es dahingehend. Man ist sehr schnell versucht, zu benennen, wer die Brandstifter sind. Das ist aber gar nicht der Punkt. Tatsächlich geht es um den Biedermann. Darum, wie er sich verhält. Wie verhält er sich zu Taten und wie verhält er sich zu dem, was gesagt wird? Einer der Brandstifter sagt ja, die beste Tarnung sei die nackte Wahrheit, denn die glaube sowieso niemand.
Ticket: Wer ist heute der Biedermann?
Studnitz: Die Frage darf sich jeder selber stellen. Ich zeige mit dem Stück nicht auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe, sondern jeder, der da reingeht, soll sich fragen: Wo wäre der Punkt gewesen, wo er das Steuer hätte herumreißen können? Grundsätzlich versuche ich im Theater, die Leute in einen Zusammenhang hineinzulocken, sie in Widersprüche zu verwickeln, anstatt sie von oben zu belehren.
Ticket: Aber ist das Stück nicht ein Lehrstück?
Studnitz: Das ist die alte Frage: Woraus lernt man, was ist ein Lehrstück? Ich selbst mache sofort Augen und Ohren zu, wenn ich eine Ansage von der Bühne kriege. Ich versuche, mit den Schauspielern einen Denk- und Assoziationsraum zu eröffnen. Der Biedermann ist sozusagen das Auge des Taifuns, in das ich hineingehen kann, und drumherum wirbelt’s.
Ticket: Frisch wurde vorgeworfen, die Leute im Regen stehen zu lassen, ohne Alternativen zu zeigen.
Studnitz: Nun, ich finde das so interessanter. Ich finde jede Art von Erlösung, die von der Bühne heruntergereicht wird, stinklangweilig. Die Leute sollen sich gefälligst auf dem Nachhauseweg noch darüber streiten, wer jetzt Recht hat.
Ticket: 1982 haben Sie das erste Mal in Freiburg inszeniert, seitdem immer wieder. Woher kommt die Verbindung mit der Stadt?
Studnitz: Ich habe mit Regine Effinger zusammen in München studiert. Daher kennen wir uns. 1982 habe ich am Wallgraben-Theater mit "Vor dem Ruhestand" meine erste ernsthafte Inszenierung gemacht. Das war vor inzwischen 35 Jahren – das ist schon schön.

Termine: Freiburg, "Biedermann und die Brandstifter", Wallgraben-Theater, Premiere: Sa, 11. Nov., 20 Uhr; weit. Aufführungen: http://www.wallgraben-theater.com
von mft
am Fr, 10. November 2017

Badens beste Erlebnisse