Den Tannenwipfeln zum Greifen nah

Baumwipfelpfad in Bad Wildbad

Lehrreich und spannend: der Baumwipfelpfad in Bad Wildbad.

Der Wind weht über den Sommerberg. Die Spitzen hochgewachsener Fichten wiegen gleichmütig umher. In der Nähe sitzt ein Tannenhäher und krächzt in einer luftigen Baumkrone vor sich hin. Fast zum Greifen nah.

Ein Baumwipfelpfad bringt Besucher in Bad Wildbad im Nordschwarzwald auf Augenhöhe mit dem Wald und seinen Bewohnern. Bernd Ponzer, ein hauptberuflicher Waldpädagoge, erklärt Flora und Fauna. Und die Erdgeschichte und Geologie. Sie sorgt schließlich dafür, dass es in und um Bad Wildbad so aussieht, wie es aussieht: Flusstäler, steile Hänge, dichter Wald und auffallend viele Häuser aus rotem Sandstein.

"Backen wir einen Kuchen", sagt Ponzer plötzlich mitten auf dem Steg. Einen Kuchen backen in luftiger Höhe? Einen Baumkuchen womöglich? Nicht ganz. Ponzer kramt einen Glasbehälter aus seiner Tasche hervor. Ton, Schluff, Sand und Kies steht auf den einzelnen Kammern geschrieben. "Das sind die Zutaten für unseren Kuchen", sagt Ponzer. Genauer für den Buntsandstein. Jener rötliche Stein, der der Landschaft zu ihrem Gesicht verholfen hat. Durch Druck und Temperatur entstand aus den einzelnen Zutaten in Jahrmillionen der Sandstein. Überall im Wald liegen kleinere und größere Brocken herum. Forscher haben in der Nähe Fußabdrücke von Dinosauriern gefunden. Aber auch die Ortschaften im Enztal sind von dem roten Gestein geprägt.

Dreieinhalb Monate wurde an dem Pfad in Bad Wildbad geschraubt und gehämmert. Die kelchförmig angeordneten Träger des aufwendig konstruierten Turms wurden in Millimeterarbeit miteinander verspannt. Kein Bauteil ist mit dem anderen identisch. Auf dem gesamten Pfad wurden knapp 1100 Kubikmeter Holz verbaut. Lärche und Douglasie – der hohe Harzanteil beider Holzarten macht eine Behandlung mit umweltschädlichen Schutzanstrichen überflüssig.

Die gesamte Wegstrecke beträgt 1250 Meter. Sie ist barrierefrei und sogar im Winter geöffnet. Denn ein umfunktionierter Rasenmäher entfernt Laub und Schnee. Die maximale Steigung beträgt sechs Prozent. Ein Zickzackkurs durch den Wald, der sich der Geländebeschaffenheit, aber auch dem Bewuchs anpasst. Der Betreiber legt Wert darauf zu erwähnen, sich nicht wie die Axt im Walde aufgeführt zu haben. Größere Sandsteine auf dem Baugelände mussten markiert und wieder an den ursprünglichen Ort zurückgebracht werden. "Wir achten auf Nachhaltigkeit", sagt Projektleiter Matthias Gütersloh. Nur etwa 15 größere Bäume habe man entlang des Streckenverlaufs gefällt. Irgendwann, in ein paar Jahren, wenn das Holz des Stegs durch die Witterungseinflüsse nachgedunkelt sein wird, wird man den Wipfelpfad womöglich kaum noch sehen – vor lauter Bäumen.

Trotzdem: Der Pfad wurde auch zum Politikum. Nicht jeder Anwohner ist glücklich, dass Bad Wildbad aufstockt. Es gibt Gegner und Befürworter. "Die Leute sollen doch froh sein, dass hier Millionen investiert werden", sagt ein Anwohner aus der Pro-Fraktion, der namentlich nicht genannt werden will, "mit Spaziergängern allein kann der Tourismus auf dem Sommerberg nicht überleben". 2012 wurde die alte Sommerbergbahn durch eine neue ersetzt. Eine Attraktion, auch wenn die Fahrt nur wenige Minuten dauert. Und eine Notwendigkeit, denn die Parkplätze auf dem Berg sind begrenzt. Parkhäuser im Stadtgebiet entlasten die Situation.

In der Tat hatte Bad Wildbad lange mit einer Überalterung seiner Gästestruktur zu kämpfen. Dank Mountainbikestrecken und Langlaufloipen habe man das Publikum verjüngt. Mit dem Baumwipfelpfad will man jetzt verstärkt Familien und Kurzurlauber anlocken, die einen mehrtägigen Aufenthalt planen. Die Ballungsräume Stuttgart und Karlsruhe liegen in erreichbarer Nähe, und damit viel potentielle Kundschaft. Gästebetten sind in jeder Kategorie ausreichend vorhanden. Und mit dem "Auerhahn" auf dem Sommerberg seit zwei Jahren sogar ein Landhotel im trendigen Boutique-Design.

Zeitgemäß ist das Konzept aus Naturschau und Nervenkitzel. An anderen Standorten erfuhr der Tourismus durch die Baumwipfelpfade zumindest eine Stärkung. Kein Wunder, bieten die Installationen doch nicht gerade alltägliche Erlebnisse. Wo etwa können mächtige Tannen mit einer Hand lässig zum Schwingen gebracht werden? Möglich ist das nur auf Baumwipfelniveau. Motto: Ich glaub’, ich steh’ überm Wald.
von Martin Cyris
am Fr, 06. März 2015

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