Neustart

Berührendes Kino: das Filmmusical "La La Land"

Es gibt Filme, mit denen wird man auch nach einer Stunde noch nicht warm. Bei diesem hier fängt man schon nach fünf Minuten Feuer – selbst wenn man beim Stichwort Musical reflexartig die Nase rümpft.

Das nämlich ist "La La Land" von Damian Chazelle, der 2015 mit seinem gerade mal zweiten Spielfilm "Whiplash" sensationelle drei Oscars holte. Nein, nicht auf ironisch gebrochene Weise, sondern allen Ernstes: ein waschechtes Musical, märchenhaft und melancholisch, bonbonsüß und berührend, mit fantastischen Choreografien (Mandy Moore) und Tanzeinlagen in Ginger-Rogers-und-Fred-Astaire-Manier, mit zahllosen Filmzitaten, leuchtenden Bildern (Kamera: Linus Sandgren) und einem wunderbaren Soundtrack (Komposition: Justus Horwitz, Songtexte: Benj Pasek, Justin Paul).

Bei aller Breitbildopulenz und Verbeugung vor den Musicalklassikern: Das mit mittlerweile 112 Preisen überschüttete Werk des 1985 geborenen US-Amerikaners, der auch das Drehbuch schrieb, ist keine gestrige Musikschnulze, in der ein Regisseur seinen privaten Vorlieben frönt (tatsächlich drehte Chazelle bereits 2009 als Abschlussfilm seines Harvard-Studiums ein Musical). Dass "La La Land" als moderne Romanze überzeugt, ist nicht zuletzt den großartigen Hauptdarstellern zu verdanken, Emma Stone und Ryan Gosling, die schon in der Komödie "Crazy, Stupid, Love" (2011) gezeigt haben, wie gut sie als Leinwand-Liebespaar harmonieren. Zur insgesamt geglückten Besetzung gehören auch die Oscar-Preisträger J. K. Simmons ("Whiplash"), und, in seiner ersten Kinorolle, Musiker John Legend ("Glory").

Was für eine fulminante Eröffnung: An einem sonnigen Morgen in Los Angeles, wo die Straßen verstopft sind wie immer, klettern die Menschen aus ihren Autos, einer nach dem anderen, tanzen singend über den Freeway und die Dächer ihrer Blechkisten, ein unwiderstehlicher bunter Haufen, ein hinreißender Flashmob. Und als sich der Stau dann auflöst und die Autoschlange wieder in Bewegung setzt, ist Mia (Emma Stone) noch zu sehr damit beschäftigt, ihren Text für ein Vorsprechen zu proben, als dass sie ans Gasgeben denken würde. Sebastian (Ryan Gosling) rauscht in seinem klapprigen Retroschlitten vorbei, Kopfschütteln, Stinkefinger.

Liebe auf den ersten Blick sieht anders aus. Wie in jedem Märchen brauchen die beiden drei Begegnungen, bis sie einander erkennen. Hoch über der glitzernden Stadt der Engel breiten sie dann zum ersten Mal gemeinsam ihre Flügel aus, tanzen miteinander in vollendeter Harmonie, vier Füße, zwei Herzen, eine Seligkeit. Und in einem Observatorium fliegen sie gar Arm in Arm in den Nachthimmel hinein, schwerelos und sternengleich.
Bildmächtig, beschwingt

und berührend

Mia und Sebastian sind Seelenverwandte, zwei Träumer in der Stadt der Träume, zwei kleine, tapfer leuchtende Lichtpunkte in der "City of Stars", wie einer der schwelgerisch schönen Songs heißt, die den Film leitmotivisch tragen und beinahe wie Evergreens klingen. Sebastian ist Jazzpianist alter Schule, Thelonius Monk sein Vorbild, aber wer will so was heute noch hören? Seine geliebte klassische Jazzbar wurde zu einer Samba-Tapas-Kaschemme umfunktioniert; er selbst muss abends in einem Restaurant seichte Hintergrundmusik klimpern, um sich finanziell über Wasser zu halten und vielleicht irgendwann doch noch seine eigene Jazzkneipe eröffnen zu können.

Mia dagegen möchte Schauspielerin werden, sechs Jahre schon arbeitet sie an ihrem Ziel, bisher jedoch hat es nur zu einem Job als Bedienung im Betriebscafé von Warner Brothers gereicht. Unermüdlich geht sie zu jedem Vorsprechen, wird aber jedes Mal nach ein, zwei Sätzen unterbrochen, vielen Dank, das genügt, wir melden uns. Es meldet sich nie jemand.

Als Liebespaar aber scheint für beide nichts unmöglich: Wenn der andere an dich glaubt, rückt dein eigener Traum in den Bereich des Machbaren. Was nicht heißt, dass er sich sofort erfüllen würde: Sebastian verkauft in der Popjazz-Band seines alten Freundes Keith (John Legend) seine Überzeugungen an den Erfolg, und Mia muss ihr eigenes Solo-Theaterstück vor leeren Rängen uraufführen.

Irgendwann stellt sich ihm wie ihr die Frage: Wird es überhaupt noch gelingen, dass ich meinen Traum leben kann? Oder kann ich am Ende nicht mal mehr mein Leben träumen? Im Finale, so viel sei verraten, wird eins ins andere fließen, die Grenzen öffnen sich – zwischen Sehnsucht und Wirklichkeit, Abschied und Neubeginn, Glück und Melancholie. Bis dahin ist man zwei Stunden lang bestens unterhalten, von einem bildmächtigen, beschwingten Musikmärchen, aber auch immer wieder angerührt vom Schicksal der beiden Glücksritter. Gosling und Stone geben sie zeitlos und heutig zugleich – und sie lassen sich nie doubeln, weder beim Klavierspiel noch beim Gesang oder Stepptanz. Das macht ihre Figuren so glaubwürdig und sie selbst zu Favoriten für die Oscars.

Bei den Golden Globes wurden sie bereits ausgezeichnet – wie gleich das ganze"La La Land": Noch nie gab es sieben Preise für einen einzigen Film (siehe BZ von gestern). Klar mag das auch daran liegen, dass dieses Musical auch die Traumfabrik Los Angeles feiert, wo Oscars wie Globes verliehen werden – und dass leuchtende Filme in düsteren Zeiten besonders gut ankommen. Aber wo sollte der alte Werbespruch heute überhaupt noch gelten, wenn nicht hier: Mach dir ein paar schöne Stunden, geh ins Kino!

"La La Land" (Regie: Damian Chazelle) kommt morgen in die Kinos. (Ohne Alterslimit)
von Gabriele Schoder
am Mi, 11. Januar 2017 um 00:01 Uhr

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