Brunch im dunkelblauen Speisewagen

Mit dem Nostalgie-Express, der Schnellzuglokomotive Ae 6/8 und den Eisenbahn-Freunden von Eurovapor auf Oldtimerfahrt ins Tessin.

O hne den Diesel-Fritz geht nix. Oder besser gesagt "nüüt", wie es auf Schwyzerdütsch heißt. Der Diesel-Fritz, der alte Haudegen der Bahn-Nostalgie, kommt nämlich aus Langenthal bei Bern. Und wenn er nicht gerade an Autos herumschraubt, den Selbstzündern vorwiegend, dann widmet er sich seinem eigentlichen Schmuckstück: Einem historischen, dunkelblauen Speisewagen der SBB aus dem Jahr 1924 - ein archaisches Stück Eisenbahngeschichte mit viel dunklem Holz, viel Plüsch und vor allem einer Kohlefeuerung in der Kombüse.

Das Schmuckstück hängt direkt hinter der Schnellzuglokomotive Ae 6/8 der BLS (Bern-Simplon-Lötschberg-Bahn), die von 1938 an am Lötschberg eingesetzt wurde. Jetzt, im Unruhestand, zieht sie mit ihren 5980 Pferdestärken den Nostalgie-Express der Eurovapor-Sektion Weil-Haltingen mit rund 290 Eisenbahn-Enthusiasten an Bord den Gotthard hinauf. Und der Diesel-Fritz wacht mit Argusaugen darüber, dass in der Kombüse des Speisewagens die Glut nicht ausgeht.

In dieser engen Pantry, in einem kaum entwirrbaren Geschlängel aus Tanks, Rohren, Leitungen und Absperrhähnen, haben kaum mal zwei Mann Platz. Die Stahlplatte des riesigen Herdes ist fast am Glühen, die heiße Luft steht wie eine Wand. Die 56 Plätze des noblen Speisewagens sind restlos gefüllt. Das Service-Personal verteilt Berge von Rührei, Speck und Würstchen, Platten mit Aufschnitt und Käse, Melonen und Trauben und schenkt literweise Kaffee aus. Die Gäste der "ersten Sitzung" genehmigen sich auf dem Weg ins Tessiner Locarno einen ausgiebigen Brunch und haben nur einen mitleidigen Blick auf die schier endlose Blechkolonne übrig, die sich tief unter den Gleisen auf dem Weg in die Osterferien vor dem Gotthard-Tunnel staut. Losgegangen ist die Nostalgiefahrt am frühen Morgen im Badischen Bahnhof in Basel, zunächst mit einem anderen Zugfahrzeug an der Spitze: mit der 1934 gebauten Schnellzuglokomotive Ae 4/7. Bis 1996 hatte die Lok bereits 5,8 Millionen Kilometer in Diensten der SBB zurückgelegt, bevor sie von dem Eisenbahnverein "Mikado 1244" gekauft und restauriert wurde. Der Verein Eurovapor, ein Zusammenschluss von Eisenbahnfreunden mit Sitz in Zürich, besteht bereits seit mehr als 40 Jahren, erzählt der Freiburger Josef Hipp von der Sektion Weil-Haltingen. Diese Sektion unterhält seit 1991 einen historischen Fernschnellzug aus den 50er und 60er-Jahren. Zur Zeit besteht der Zug aus fünf Personenwagen, einem Speise-, Gesellschafts- und einem Barwagen. Und da Kauf und Unterhaltung für so einen kleinen Verein nicht ganz billig ist, schickt Eurovapor seinen Zug regelmäßig mit Gästen auf Reisen.

Zum ersten Mal ging es im September 1991 mit einer Dampflok nach Straßburg, seither hat der Verein mehr als 100 solcher Reisen organisiert - und fast jedes Mal sind zwischen 200 und 300 "angefressene" Eisenbahnfans an Bord. Und die wollen versorgt sein: Da ist dann im Verein jede Hand gefragt, sei es als Lokführer, Reisebegleiter, Schaffner, Kellner oder Koch. Vor allem der Koch bekommt bei solchen Fahrten mehr als alle Hände voll zu tun, bis er Hunderte von Gästen zum Brunch und auf der Rückfahrt zum Abendessen durchgeschleust hat. Aber Reinhard, der Bruder von Joseph Hipp, der diesmal am dampfenden Herd steht, ist ein alter Profi in Sachen Zugkombüsen. "Ein Koch muss sich einfach zu helfen wissen", sagt er, stemmt sich gegen die Schräglage in den engen Kurvenradien und jongliert in dem engen, stickig heißen Kochabteil mit riesigen Töpfen und schaufelgroßen Spachteln herum. Putenbrust mit Reis und Leipziger Allerlei steht für den Abend auf der Karte.

Mittlerweile ist der Anstieg zum Gotthard geschafft, es geht entlang des Ticino hinunter ins Tal. In Faido kreischen die Bremsen, der Zug kommt zum Stehen: zehn Minuten Fotohalt. Grüppchenweise quellen die Fahrgäste aus den Wagen, umringen die Lok, Batterien von Kameraverschlüssen klicken, bis der Reiseleiter wieder alle zurück in die Wagen scheucht. Immer wieder muss der historische Zug unterwegs halten, um den schnelleren, fahrplanmäßigen Zügen der Schweizer Bahn Platz zu machen, und so vergehen dann rund sechs Stunden, bis der Zug um die Mittagszeit in Locarno eintrifft. Drei verschiedene geführte Ausflüge werden für die vier Stunden Aufenthalt am Lago Maggiore angeboten: Eine Fahrt mit der Centovalli-Bahn, ein Trip mit dem Postautobus ins malerische Verzascatal oder per Seilbahn und Sessellift hinauf nach Madonna del Sasso. Zeit genug für das gestresste Zugpersonal, in den Waggons wieder klar Schiff zu machen. Die Schrecksekunde kommt auf der Rückfahrt, als es wieder den Gotthard hinunter geht. Kurz vor Erstfeld, ein Schlag, ein Knall, dann steht die Lokomotive - nichts geht mehr. Ein Stein hat den Stromabnehmer der betagten Lok getroffen, ein Isolator ist kaputtgegangen.

Doch das kennen die Oldtimer-Fans, ein Problem, das mit Schweizer Präzision gelöst wird. Handys werden gezückt, die fahrplanmäßigen Züge auf ein anderes Gleis umgeleitet, keine Stunde später ist dann eine Diesellok zur Stelle. Die Fahrt kann weitergehen. Die Fahrgäste nehmen den Stromausfall mit Gelassenheit - schließlich wird der Küchenherd ja mit Koks beheizt und das Bier liegt glücklicherweise nicht im Kühlschrank, sondern auf Eis.

Hans-Walter Neunzig

Nostalgie-Rheinexpress: Die nächsten Fahrten am Sa. 1. Mai, nach Luzern mit Fahrt auf dem Dampfschiff "Gallia" und der Dampfbergbahn Rigi-Kulm und am Mi, 5. Mai, von Basel nach Neustadt a. d. Weinstraße; Info: [TEL] 0761/275330, 004161/ 3633532 oder im Internet http://www.nostalgie-rhein-express.ch

am Fr, 30. April 2004

Badens beste Erlebnisse